Heft 
(1885) 27
Seite
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Deutsche Roman-Bibliothek.

und freuten sich des Wiedersindens, ohne aber dabei ganz unthätig zu sein. Sie dachten und sprachen sich in jener Zeit immer tiefer in ihre Nöllen hinein; Elisabeth kam als die Begum, als Erbtante, welche Deutschland und den lieben Verwandten einen Be­such abstattete, Marie war ihre Gesellschafterin. Einer Entdeckung durch Unbefugte mußten sie Vor­beugen, ihre Komödie mit Kunst und Nachdruck spielen; vor etwaigen Indiskretionen seitens der Dienerschaft waren sie sicher, denn Asta und Ben sprachen nur ihre Landessprache und John war ein alter, verschlossener Kerl und seiner jungen Dame treu ergeben. Diesen Letzteren hatte Elisabeth mit kurzen Worten in ihre Pläne eingeweiht, und die Aussicht auf die Komödie schien dem verwitterten Burschen nicht wenig Spaß zu machen.

Einige Konferenzen mit dem Anwalt und Korre­spondenzen mit London abgerechnet, so machte die Erbin sich Feiertage, eines Morgens aber, zu Ende August, setzte sie sich hin und diktirte Marie den verhängnißvollen Brief. Derselbe wurde über London an ihre Verwandten geschickt.

Die Begum ließ den lieben Vettern und Basen in ihrem Kauderwälsch mittheilen, sie sei in England und beabsichtige sie zu besuchen für etliche Zeit und ihre Heimat wiederzusehen. Sie fragte an, ob man sie aufnehmen wollte, verbat sich aber sonst jede Aufmerksamkeit, namentlich ein Entgegenreisen oder Aufsuchen. Sie trat dabei von Hause aus sehr prätentiös aus, sie verlangte vier bis fünf Zimmer für sich, die ineinandergehen mußten und die sie ganz für sich allein mit ihrer Begleitung bewohnen könnte, auch mußte diese Wohnung ihren besonderen Aufgang haben. Wäre das nicht zu ermöglichen, so könnte sie nicht kommen. Sie machte ebenso Bedingungen über die Verpflegung und über den Verkehr; sie sei eine alte, kränkliche Frau und be­dürfe der Schonung, ließ sie schreiben, sie spreche nicht gern viel und lange und sehe nur zu gewissen Zeiten Menschen. Wenn sie das nicht haben könnte, würde sie sortbleiben, andernfalls aber würde sie gern die Kosten, die sie verursachte, vergüten.

Eine Rückantwort wurde xo8ts restants London erbeten, sie habe jetzt keinen bestimmten Wohnsitz, sondern besuche Verwandte ihres Mannes.

Diese Antworten ließen nicht lange auf sich warten, wie sie lauteten, kann man sich unschwer vorstellen.

Zuerst sandte Herr Plawner in London einen Brief von dem Präsidenten von Steinfurt, ein ganzes Aktenstück, denn nicht nur der HerrVetter", sondern auch die lieben Nichtchen und Neffen hatten es sich nicht nehmen lassen, derthenren Tante" ihre Freude auszusprechen über die frohe Kunde, welche sie ihnen geschickt hatte.

Beim Frühstück erbrach Elisabeth dasselbe und las es der getreuen Freundin vor, zuerst das Schreiben des Herrn Vetter. Derselbe drückte seine freudige Ueberraschung aus in der überschwenglichsten und umständlichsten Weise, die nur denkbar ist, und ver­sicherte der thenren Consine, er wäre lange nicht so beglückt worden, als durch ihren liebenswürdigen Brief. Er hätte die Hoffnung bereits ganz auf­gegeben gehabt, daß ihm dieses größte Glück noch

dazu einem solchen Vielgeprüften wie er sei im Leben zu Theil werden könnte, um so größer sei nun seine Freude.

Es verstände sich von selbst, fuhr er fort, nirgends anders als bei ihm dürste sie wohnen; er würde selber nach London gereist sein, um sie abzuholen, wenn sie es nicht ausdrücklich in ihrem Briefe sich verbeten hätte. Sein Haus und Alles, was sein wäre, stünde zu ihrer Verfügung und allen ihren Wünschen würde man selbstverständlich mit der größten Bereitwilligkeit entgegenkommen. Er sei glücklicherweise in dem Besitz einer großen und sehr schönen Dienstwohnung und könnte die Cousine sich die gewünschten Räumlich­keiten dort ganz nach Gefallen selbst aussuchen. Mit brennender Ungeduld sehe mau der Ankunft der lieben Verwandten entgegen. Er sprach dann von der Unbill, welche derselben einst zugefügt worden sei, an welcher er aber natürlicherweise nicht die geringste Mitschuld trüge, er verurtheilte streng die Handlungsweise einer nun bereits dahingeschiedenen, engherzigen Generation und drückte zugleich die bestimmte Zuversicht aus, daß die liebe Cousine viel zu edelmüthig sei, um das den Lebenden nachzutragen.

Er deutete dann in zarter Weise an, er selbst sei ja ebenfalls nicht auf Rosen gebettet, denn das Leben mache sehr große Ansprüche an einen höheren Beamten heutzutage, sprach dann von seinen vor­trefflichen, wohlgerathenen Kindern und nannte deren Namen und Eigenschaften.

Seine vortrefflichen, höchst wirthschaftlicheu und mit allen inneren und äußeren Reizen begabten Töchter, Karola neunundzwanzig Jahre und Frida einundzwanzig Jahre alt, wären trotz aller dieser begehrenswerten Eigenschaften noch unverheiratet, man freie ja in dieser egoistischen Zeit nur nach Geld und das besäßen seine Kinder natürlich nicht. Egbert, achtundzwanzig Jahre alt, habe früher in der diplomatischen Karriere sich ausgezeichnet, sei aber aus Mangel an Vermögen bescheiden zurück­getreten und ziehe jetzt im Joch, arbeite als Assessor beim Stadtgericht, Egon, fünfundzwanzig Jahre alt, sei wie sein Bruder eine schöne, ritterliche Erscheinung, stehe als Lieutenant bei den Dragonern und koste ihn natürlich vorläufig noch ein schweres Geld.

Unter diesen Umständen sei er gezwungen, sich einzuschränken, ja sich sogar schwere Entbehrungen aufzuerlegen, aber trotzdem sollte der theuren Ver­wandten in seinem Hause nichts mangeln und müßte er gegen eine Vergütung für seine Gastfreundschaft feierlich protestiren.

Sie möchte nur kommen und sie würde wie da­heim sein.

Klingt das Alles nicht ein wenig wie eine ver­steckte Anleihe?"

Und von Dir selbst schreibt er nicht?" sprach Marie, sich aufrichtend in ihrer bequemen Ecke und den zierlichen, von dem kurzen Aermel des leichten Morgenkleides nur halbverdeckten Arm nach dem Schreiben ausstreckend, welches Elisabeth noch nach­denklich in der Hand hielt. Ihr Auge hatte dabei, trotz alles Ernstes, ja trotz des Widerwillens, den das Gehörte ihr eingeflößt hatte, einen Ausdruck von Laune und Schelmerei.