Die Erbtante von Johannes van Deivall.
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„Ich denke, daß es sehr traurig ist, solche Briefe von seinen nächsten Verwandten zu erhalten, bei denen man einen Unterschlupf sucht," versetzte Jene ernst.
„Der theure Vetter spricht eigentlich nur von dem Gelde, welches er nicht hat, und möchte Dich augenscheinlich nur erst dort haben, Erbtante."
„Weil er es nicht hat, darum überschätzt er es; aber vielleicht besitzt er neben dieser Schwäche bessere Eigenschaften, auf die ich rechnen darf."
„Du meinst, daß unter jedem Sumpfe fester Boden ist?"
„Ungefähr so, Marie. . . Gottlob! ich besitze die Mittel, diesen Sumpf ein wenig auszutrocknen."
„Du bist eine gute Seele und von einer fixen Idee beherrscht; wenn Du Dich nur nicht täuschest... Und der vortreffliche Egbert, der ehemalige Diplomat, der so bescheiden zurücktrat?"
Ein Schatten zog über Elisabeth's Stirn, aber er glich nur der flüchtigen Sommerwolke, schon lächelte ihr hübscher Mund.
„Im Grunde muß ich demselben dankbar sein, denn er vertrieb mich von Bern und wurde somit der Schöpfer meines Glücks."
„Er möchte herrlich schöpfen in diesem Glück, wenn er seinem Vater gleicht. Was übrigens der Herr Präsident für eine eckige, grausame Handschrift schreibt; einem Großinquisitor würde sie Ehre machen. Und bist Du nicht begierig, was der bescheidene Egbert schreibt?"
„Nicht gar zu sehr."
Dabei nahm Elisabeth die verschiedenen Einlagen, durchblätterte dieselben flüchtig und behielt die eine derselben in der Hand.
„Der junge Herr schreibt englisch — wahrscheinlich glaubt er mir eine besondere Ehre damit anzuthun."
„Ich vermuthe, um mit seinem Wissen zu prahlen. Sehr spanisch würde es ihm Vorkommen, wüßte er, wer hinter dieser Tante steckt."
„Eines Tages wird er es vielleicht erfahren, aber nun höre zu:
äsar rwnt! Obgleich einst Diplomat, bin ich dennoch ein geschworener Feind aller Umschweife und schönen Worte. Ich pflege zu reden, wie es mir um's Herz ist. So will ich denn auch Ihnen, theure Tante, offen und ehrlich, wie dieß meine Art ist, meine große Freude aussprechen, daß ich eine liebe Verwandte, von welcher ich seit meiner frühesten Kindheit an so viel und mit solchem Enthusiasmus sprechen hörte..."
Hier unterbrach Marie die Leserin durch ein leises: „Hm!"
„Nun in kurzer Zeit hier bei uns sehen soll. Was in meinen schwachen Kräften steht, Ihnen den Aufenthalt angenehm zu machen, wird mit Freuden geschehen und stelle ich mich Ihnen ganz zur Verfügung; gebieten Sie über mich.
„Ich zähle die Stunden bis dahin, und verbleibe in Liebe und Verehrung
Ihr gehorsamer Neffe
Egbert von Steinfurt."
„Ein etwas verblaßtes Abbild seines Vaters dünkt mich dieser Gründer Deines Glücks, liebe Elisabeth," sprach Marie, zu ihr aufsehend.
„Was willst Du — selbst wäre es so, wir müssen ihn entschuldigen: der Apfel fällt nicht weit vom Stamm."
„Du bist in einer so menschenfreundlichen Laune heute, daß ich Dich vor Dir selbst und Deinem Optimismus warne."
„Ich sehe allerdings einige Schattenseiten, lieber Schatz, aber ich denke, wo Schatten ist, da ist auch Licht."
„Nun, wie Du willst. Und die Anderen? ..."
Elisabeth nahm ein drittes Schreiben, entfaltete es und las. Es war der Brief der ältesten „Nichte" Karola. Sie sprach wie der Vater, sie drückte überschwenglich ihre Freude aus, die theure Tante zu sehen, die man sicherlich nicht wieder fortlassen würde, sie zählte dann alle ihre guten Eigenschaften auf und beklagte sich über die Entbehrungen, welche das schnöde Dasein den Unbemittelten auferlege, daß sie gar keine Aussicht hätte, sich zu verheirathen, und auf Bälle und ähnliche kostspielige Vergnügungen, an welchen andere junge Mädchen Gefallen fänden, ein- für allemal verzichten müßte. Sie sprach zuletzt von ihrem vortrefflichen Papa, von ihrer reizenden Wohnung und schloß mit der nochmaligen bestimmten Versicherung, daß man die theure Tante niemals wieder von sich lassen würde.
Die Beiden sahen sich in die Augen und lachten.
„Schöne Aussichten, Lisel . .. wenn sie Dich nun halt wirklich festhalten?"
„Ich lasse ihnen dann die Tante, die Nichte schlüpft davon."
„Und bewunderst Du nicht die Gleichförmigkeit der Gesinnung in dieser Familie?"
„Schilt nicht — Geld ist ein Dämon! Außerdem, warte nur, hier kommen noch zwei."
Auch jene Briefe wurden gelesen; der eine war auf Rosapapier geschrieben, mit einem Hündchen in der oberen Ecke und dem Motto: „llo in'attaells!"
Elisabeth lächelte ein wenig gezwungen.
„Dieß ist zum wenigsten eine kleine Erfrischung," sprach sie, nachdem sie die Zeilen schnell überflogen hatte; „hier tritt der Egoismus naiv und natürlich zu Tage. Sie spielt sich ein wenig auf als Kind, meine ,Nichte' Frida; sie will ihr trautes Kämmerchen verlassen und bei mir schlafen."
„Sie ahnt gewiß nicht, wie entsetzlich Du bist — ich lief beinahe neulich am Hellen Tage davon, und nun gar bei Nacht!"
„Sie hat einen leisen Schlaf und will gern meinen kleinsten Wünschen lauschen, auch bittet sie mich, ihr etwas Schönes mitzubringen, und freut sich auf die Gesellschaften, die Papa meinetwegen veranstalten wird."
„Das finde ich offen. — Unzweifelhaft hat der Papa diesen Brief nicht die Censur passiven lassen."
„Nun kommt der letzte. — Ei sieh', Der schreibt nicht minder naiv. Seine gezwungene Handschrift, die aussieht, als hätte er ein Linienblatt benützt, und der karge Inhalt der Epistel erinnern mich lebhaft an die Briefe, welche ich früher meinem Großvater zum Geburtstag und zu Weihnachten schreiben mußte: »Lieber Großvater, Du warst bisher mein Großvater, I diese Einrichtung bewährt sich, bitte, bleibe es auch