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Deutsche Noman-Sidliothek.
fernerhin; ich bin gesund, Du bist gesund — der Himmel erhalte Dich noch lange so, — Deine Dich liebende Enkelin Elisabeth?"
„Vortrefflich! Laß sehen, ich will den Lieutenant lesen, — hm! Der gefällt mir! Dieser Brief gähnt, Elise, — er trägt ordentlich Falten in der Stirn. In dem Neffen ist noch Urnatnr — ich glaube sogar, der rauhe Krieger hat etwas wie Scham und Widerwillen empfunden, als er der Millionentante diese Zeilen schrieb. — Wenn Der wüßte!"
Sie sah die Freundin an und lächelte.
„Dein Herz ist doch noch frei?"
„Ich höre es zum wenigsten nicht klopfen. Der Vetter ist leider für ein altes Mädchen, wie ich bin, zu jung."
„Nun, bei der anständigen Mitgift, wer weiß! — Doch da kommt Dein juristischer Beistand —
js INS 8UUVS."
Etliche Tage später kam dann auch ein Brief vom Vetter Kommerzienrath, derselbe schnob Wuth über seinen Bruder, der ihm den Brief der Cousine, welcher gewiß doch ebensosehr für ihn als für Jenen bestimmt gewesen wäre, erst so spät übermittelt hätte, daß er nachhinken müsse. Aber das sei so recht dessen Art. — Vielleicht wisse die Cousine, welch' ein unangenehmer, hofsürtiger Egoist sein Herr Bruder sei. So sehr er sich freue, sie unverhofft wiederzusehen, so sehr beschwöre er sie, ihren Aufenthalt nicht in der feuchten Dienstwohnung Zu nehmen, einem alten, steinernen Ban, in welchem es in hohem Maße ungesund sei.
Marie lachte laut und lustig auf.
„Dieser gute Vetter, liebes Herz, geht der Sache ohne Umschweife zu Leibe — fast ein wenig brutal. Ich gratnlire Dir zu dieser neuen Acguisition."
Gedankenvoll, mit bewölkter Stirn fuhr Elisabeth fort:
„Du würdest dort auch wenig Ruhe finden, liebe Cousine, und nicht den nöthigen Comfort, an welchen Du gewöhnt sein wirst bei Deinen Mitteln, der Herr Bruder und seine Herren Söhne stecken nämlich bis über die Ohren in Schulden und die hochnäsigen Mädchen machen einen großen Staat, vom ersten Tage an würdest Du ihren heimlichen und offenen Angriffen auf Deine Börse und Deine Gutmüthigkeit ausgesetzt sein, Du würdest dort des Lebens nicht froh werden.
„Bei mir hast Du Aehnliches natürlicherweise nicht zu gewärtigen, denn ich lebe seit dem Tode meiner Frau mit meiner Tochter Helene allein in dem großen, komfortablen Hause, in welchem übergenug Raum für Dich und Deine Begleitung ist und Du solchen Zumuthungen nicht ansgesetzt sein wirst, da ich selbst ein Mann in erträglichen Vermögensverhältnissen bin. — Wenn dieser Wunsch Dir selbstsüchtig erscheint, Du wirst noch nicht drei Tage hier im Ort sein, so wirst Du Dich selbst von der Nichtigkeit meiner Worte überzeugt haben. Mein Bruder ist ein so schroffer Egoist, daß ich mich ge- nöthigt gesehen habe, allen Verkehr mit ihm und seiner Familie zu meiden, auch war ich hiezu gezwungen, um seinen ewigen Geldsorderungen mich zu
entziehen. Verzeih', wenn ich Dir gleich vor Deiner Ankunft so unangenehme Eröffnungen mache, aber ich konnte dieß nicht wohl umgehen, in Deinem eigenen Interesse. Ich erwarte sehnlich nähere Nachricht. Meine Tochter schreibt Dir ebenfalls," und so weiter.
„Welchem gibst Du nun den Vorzug von den feindlichen Brüdern, arme Lisel?"
„So ungefähr hatte ich mir diese Verwandten gedacht," erwiederte Jene düster... „die Tante hat mich gewarnt."
„Und hast Du noch mehrere solche Verwandte?"
„Ich weiß es wahrhaftig nicht, wer noch am Leben ist. Es existirte damals noch ein Vetter meines Vaters, welcher Kinder hatte, und eine alte, aber beinahe taube Tante. Ich war so lange fort aus der Heimat — über sieben Jahre, und habe in der ganzen Zeit nie etwas von den Meinen gehört."
„Da ändert sich freilich Manches, aber sei überzeugt, daß sie schreiben werden, wenn sie noch leben, oder sonst sich einfinden, das Geld ist ein mächtiger Magnet; Du brauchst nur ein wenig mit dem Beutel zu klappern."
Nachdenklich nahm Elisabeth, ohne zu antworten, den letzten Brief und las denselben. — Eine leichte, offene Handschrift war es und nur wenige Zeilen. Ihre Stirn entwölkte sich ein wenig.
„Ein Schimmer von Hoffnung — eine Seele, Marie," sprach sie ausathmend.
„Helene schreibt mir einen einfachen, würdigen Gruß. — Sie kenne mich Zwar nicht, sie habe aber von mir gehört. Man wäre nicht freundlich gegen mich gewesen in meiner Jugend, da der Himmel es Zum Guten gelenkt, möchte ich das alte Leid vergessen und mit einem warmen Herzen die Heimat umfangen. — Sie könnte ahnen, was ich empfände nach so langer Trennung und so vielen Schicksalen — ich sei willkommen."
„Das ist hübsch — das freut mich!" rief Marie lebhaft, „so ungefähr hätte ich auch geschrieben in einer ähnlichen Lage. Dem Mädchen bin ich gut, ohne es zu kennen!"
„Also doch eine fühlende Menschenbrust vielleicht
für mich ist das viel, unendlich viel, Marie, ein Hoffnungsschimmer, den ich freudig begrüße, für den ich dem Himmel danke!"
„Du machst mich eifersüchtig — in der Thai!"
„O, Du! — das ist ganz etwas Anderes, Du bist ein Theil von meinem eigenen Ich — Dich kann aus meinem Herzen Niemand verdrängen, mein treuer Freund, mein Kampfgenosse! Was mir gehört, gehört Dir, Du bist meine Stütze und meine Hoffnung — Du wirst mich nicht verlassen!"
„So tief erregt?" fragte Marie beinahe besorgt, als sie die hochgespannte Gemüthsversassung der Freundin gewahrte. — Sie schlang ihre Arme Zärtlich um deren Nacken und zog sie an ihr Herz.
„Ich stehe zu Dir!" ries sie mit Wärme und sah sie an aus ihren leuchtenden Augen, „wir thun wie Du willst, ich spiele mit Dir Komödie. Hoch lebe Tante Macduff! und möge sie guten Erfolg haben und niemals aus der Nolle fallen, möge sie unter den Larven ein fühlendes, braves Menschenherz finden