Heft 
(1885) 27
Seite
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Die Leibeigene von O. Ernst.

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seine Frage wiederholt,es wird mir nicht leicht, Sie auf verzweifelt Zarte Fragen der Schicklichkeit aufmerksam zu machen, Mr. Berrasch, über die unsere Ansichten am Ende gar weit auseinandergehen."

Reden Sie immerhin," versetzte der Maronit ungeduldig,und rechnen Sie auf mein Verständniß für die feinsten Schattirnngen der Lebensart."

Der Aankee lachte heimlich über den lächerlichen Anspruch des Orientalen, ein Mann von Welt zu sein, bemerkte dann aber ernsthaft:

Finden Sie es, zum Henker, wie sage ich gleich, ja doch, finden Sie es passend für ein so stark erwachsenes Mädchen wie Miß Grace, beim Abend- dunkel heimlich in das Zelt eines noch verzweifelt ansehnlichen Mannes, denn das ist Wellesley, zu schlüpfen und über dem Zwiegespräch im licht­losen Gemach mein Amt führte mich mehr als einmal daran vorbei die Zeit unseres Aufbruchs so lange zu überschreitend"

Der Effendi antwortete nicht gleich. Die von Everett angedeutete Möglichkeit, daß seine Schwester zu ihrem Pflegevater in einem andern als kindlichen Verhültniß stehen könne, war ihm bisher, trotzdem er den ausgesprochenen Empfindungen Wellesley's bereits mit skeptischer Sorge nachgegrübelt, nicht im entferntesten in den Sinn gekommen; jetzt aber analysirte sein so rauh geweckter polizeilicher Spür­sinn auch schon die Reden und Geberden Dibbeh's. Freilich in aller Stille nur, denn obwohl des Mäd­chens geringes Behagen an der Aussicht auf eine Heirath mit Everett und ihre lebhafte Ueberzeugung von des Pflegevaters grenzenloser Nachsicht und Liebe als Verdachtsmomente in seinem blitzschnellen Er­innern austauchten, hielt er doch zu Henry die Rolle des vertrauensvollen Bruders sorgfältig fest.

DerVorfall, dessen Sie erwähnen, Mr. Everett," sagte er nach einer Panse, die recht gut seinen Un­willen und seine Gekränktheit über dessen Zweifel ausdrücken konnte,erklärt sich ganz bestimmt auf's Natürlichste. Mr. Wellesley war leidend, und seine Pflegetochter gab ihm Tochterpflege."

Er lachte behaglich über das Wortspiel.

Mr. Wellesley war nur offiziell an diesem rasen­den Kopfschmerz erkrankt," bemerkte Evereit trocken.

So hatte der Besuch meiner Schwester bei ihm eine andere erklärliche Ursache," meinte Junis schon mit geringerer Zuversicht.Sie begreifen, Mr. Everett, daß ich keinen Makel auf ihrem Rufe dulden darf, am wenigsten einen von Ihnen erhobenen."

Wo will er hinaus?" fragte sich Henry. Sollte der Tölpel ein Duell beabsichtigend"

Ich muß Sie daher bitten, Mr. Everett, dem Verhör beizuwohnen, welches ich mit Grace bei erster Gelegenheit meinetwegen heute noch über diesen Punkt anstellen werde."

Alle Wetter, er will mich durchaus zum Schwa­ger!" kommentirte der Jaukee spöttisch den zahmen Vorschlag des beleidigten Bruders. Da er denselben aber nicht wohl ablehnen konnte, ritten die Beiden nun schweigend weiter der Hochfläche zu, in welche ihr Weg jetzt mündete, und welche Dibbeh und Cara- bet bereits früher erreicht hatten.

Es war ein fremdartiger, romantischer Anblick,

der sich den Reitern bot, als sie am Rande des Festplatzes hielten, um abzusteigen. Rechts und links im Buschwerk, von gebrechlichen Hürden eingezäunt, lagerten zahlreiche Ziegenheerden, von Hirten in rauher Gebirgstracht gehütet; vorwärts erhob sich, in seinen erhabenen Wipfeln mit dem Nachthimmel ver­schmelzend, der berühmte Cedernhain, dessen wenige hundert Bäume, zum Theil von riesigem Umfang, einen geräumigen Platz bestehen. Um ihre Stämme, die der unteren gewaltigen Aeste beraubt sind, be­wegte sich, beleuchtet von ungezählten, würzig duf­tenden Feuern, in denen Zapfen und Zweige der Waldkönige flammten, und von rauchenden Kien­fackeln, die wie Glühkäfer hin und her schwankten, eine lebhaft angeregte, phantastisch frohe Menge von Bergbewohnern, welche zu dem Nachtfest geströmt waren. Hier lagerten Gruppen bei ländlichem Mahl auf dem dicken Moosteppich; dort hockten schweigsame Raucher auf Baumstümpfen und Wurzeln, überall schlangen Kinderschaaren heitere Reigen.

Die hellbegläuzte Region unten hob sich mit ihren Millionen rother Lichtreflexe zauberhaft von der dar­über schwebenden finstern Kuppel des mächtigen Wald­domes ab. Dort oben schwirrte und brauste es wie Sturmesweheu, aber es waren nur die Heere der in den Cedernkronen nistenden Nachtvögel, der Dohlen, Naben und Eulen, die sich gegen das unwillkommene, lärmende, blendende Treiben der Menschheit in ihrem Reich krächzend empörten.

Wie harmonisch schwebte nun aber über all' dem Jauchzen und Lachen, Flattern und Kreischen der volle, reine Ton der frommen Gesänge, die aus der kleinen Nindenkapelle inmitten des heiligen Haines empor­klangen! Dort waren Maronitenmönche aus Kanobin in der Ausführung der feierlichen Liturgie des syri­schen Gottesdienstes begriffen, und andächtige Beter drängten sich zahlreich um die offenen Thüren, Weih­rauchduft und Kerzenschein zugleich mit heiligen Melodieen einzusaugen.

Dibbeh war mit ihrem Begleiter schon dem Fest­platz zugeschritten, als Junis und Everett ihre Neit- thiere den Leuten Abu Jschok's übergaben. Sie hatte vorwärts gedrängt, da sie wohl wußte, daß sie von Carabet's Seite leichter würde verschwinden können, als aus einer größeren Beschützergruppe. Als sie indeß mitten in der nächtlichen magischen Szene stand, die sich unter den Cedern entfaltete, vergaß sie, über­wältigt von dem malerischen Eindruck des phantasti­schen Gemäldes, eine Zeitlang sich selbst und den Zweck, der sie persönlich hergeführt, vollständig.

Wie ein köstlicher Rausch, aus Licht und Dust und Tönen gewoben, kam es über ihr Gemüth, daß sie die Arme hätte ausbreiten mögen, die Herrlich­keiten zu umfangen, die sie traumhaft umgaukelten. O, schön war das Leben, wenn man es so aus dem Vollen und Ganzen, abgesehen vom eigenen kleinen Ich, genießen durste; das empfand Dibbeh entzückt im Bann dieses poetischen Waldmärchens! Ewig hätte sie hier weilen mögen, in dem schwellenden Boden wurzeln als schlanke Ceder und mit dem Haupt die grüne Lockenpracht berühren, welche den Jahrtausende zählenden Greisen linier diesen Bäumell Jehovas noch die ehrwürdige Stirn schmückt.