Die Leibeigene von O. Ernst.
645
„Frommer Howadji," sagte Abu Jschok geheimniß- voll Zu dem Harmlosen, „Ihr kennt Land und Volk in Syrien doch und wisset daher selbst, daß kein Druse je erlittene Unbill verzeiht. Jullah, wenn dieser Assad der Verhaßten in Eurer Gegenwart schmeichelte, so geschah es nur, um sie sicherer Zu verderben."
„Du sagst mir höchst bedenkliche Dinge, Freund," rief der Missionär, den plötzlich eine große Angst befiel; „aber ich kann in der That kaum glauben, daß nach einem so vertraulichen Begegnen Assad noch Nachepläne zu hegen vermöchte. Kein Zweifel, daß die Vorstellungen, welche Dibbeh ihm über seine Thorheit machte, sein Herz gerührt haben."
„Jullah," sagte höhnisch der Fremdenführer, „davon bemerkte ich nicht viel, als ich ihn gleich darauf sah."
„Wo das? Bei Deiner Seligkeit beschwöre ich Dich, Freund," rief der Erschrockene dringlich, „mir Alles zu sagen, damit ich drohendes Unheil noch abwenden kann, so der Herr will."
„Frommer Howadji, gütiger Wohlthäter des verlassenen Armen, wie gerne wollt' ich es thun, wenn ich sicher wäre, daß die Verfluchten vielmehr Eure christlichen Freunde, die Amerkans, mich später nicht entgelten ließen, was ein Anderer gefrevelt."
„Ich verspreche Dir in ihrem Namen Verzeihung für alle Versäumnisse," rief ungeduldig der Missionär, „aber nun zaudere auch nicht länger!"
„Und ich soll ferner im Lager bleiben dürfen, nicht mehr von dem abscheulichen Quälgeist — dem jungen Howadji, mein' ich, fortgeschickt werden?"
„Ich stehe Dir dafür, wenn Du mir endlich die Wahrheit bekennst," rief Carabet, der hier eine Aufgabe vor sich sah, welche alle anderen gänzlich in Schatten stellte.
„Jullah! Ein Draufgeld auf den armseligen Handel mit den Amerkans, ein treffliches Zeugniß wären mir auch hochwillkommen, würdiger Howadji," steigerte der Freche seine Bedingungen.
Carabet verlor die Geduld.
„Du willst meine Verlegenheit ausbeuteu, Freund," sagte er tadelnd, „doch ich darf in Versprechungen für Andere nicht weiter gehen. Leb' wohl."
„Werther Howadji, nicht so eilig! Der bescheidene Mann begnügt sich mit dem Schimmer der Hoffnung, heißt es im Sprüchwort. So will denn auch ich —"
„Gedenkst Du endlich zu reden, Freund?"
„Jullah, wenn es denn sein muß! — Ich sah also den Abu Musa um die Dämmerstunde hier unter die Bäume treten, wo ein Weib, in dem ich seine Schwester errathen, mit ihrem Kram saß. Ich feilschte gerade um ihre Waare, als er glühend, als wär's von heftigem Lauf, und mit wogender Brust zu ihr herankam. Der Sohn einer Hündin — der arme Sünder erblickte mich kaum, werther Howadji, als er, der Ehrfurcht vor dem älteren Manne spottend, mich Unschuldigen wütheud anfuhr und mir irgend welches alte Unrecht vorwarf, das ich begangen haben sollte. Erschrocken flehte ich vergebens um Schonung, bis Thaljeh beschwichtigend mahnte, er solle seine Rache nicht zerstückeln. Da ließ er mich drohend
los, und ich hörte ihn nun sich zu dem Weibe der Gunst des Amerkan-Mädchens rühmen. Er jubelte, daß sie heute Nacht zu ihm in den Cedernwald kommen wolle, um wieder seine Sklavin zu werden."
„Unmöglich!" stammelte der erbleichende Missionär.
„Jullah, ich hörte es deutlich, als ich mich auf den Boden gekauert, auch sah ich die mörderische Hand mit dem Messer tändeln, werther Howadji, und Thaljeh lachend ihren Hals befühlen."
Carabet stieß einen Schrei aufrichtigen Entsetzens aus und drehte sich wie vom Schwindel gefaßt auf den Fersen.
„Wo ist das Drusenweib?" keuchte er daun.
„Voran nach den alten Klansnerhöhlen im Berge; da bleibt sie, bis Assad ihr Dibbeh bringt."
„Herr, Herr, du wirst diese Miffethat nicht dulden!" schrie der Missionär mit gerungenen Händen. „Auf, Abu Jschok, zur Kapelle, wo Dibbeh meiner wartet. Dort ist sie sicher, hoffe ich, er kann sie doch nicht aus den Beterschaaren reißen."
„Jullah, werther Howadji, die liebestolle Hündin — das arme Mädchen geht ihm wohl freiwillig in's Garn."
Carabet rannte schon vorwärts, die Menge rücksichtslos mit Ellenbogenstößen theilend, wo sie sich vor seinem eiligen Nahen nicht freiwillig spaltete. Auf den Cedernnadeln gleitend, von Funken versengt, hetzte er sich selbst zurück zu dem Platz, auf dem er Dibbeh gelassen und von wo sich die Andächtigen jetzt verzogen, denn die Nachtmesse war aus.
Plötzlich stieß der athemlose Missionär einen Freudenruf aus; er hatte Junis und Henry erkannt, die am Hinteren Eingang des Kirchleins standen. Im nächsten Augenblick war er an ihrer Seite.
„Ist sie drinnen?" pustete er, nach Luft schnappend.
„Wer? — Miß Grace?" fragte Henry erstaunt.
„Meine Schwester?" wunderte sich Junis. „Ist sie denn nicht mit Ihnen, Mr. Carabet?"
„Sie ist mir entschlüpft," schluchzte der Gebrochene, und dann mit schaudernder Hand auf den finsteren Theil des Gehölzes deutend, durch den der rauhe Pfad nach Ainat führte, ries er fiebernd vor Augst und Gewissensbissen: „Rettet sie vor Assad — vor ihrem Mörder!"
„Alle Teufel!" rief Everett, der sich verfärbte, als er nun auch Abu Jschok, den Vertrauten des Drusen, verstört herbeieilen sah.
„Was wollen Sie mit dieser befremdlichen Warnung sagen?" mäkelte Junis an der ihm unbegreiflichen Mittheilung.
Hastig berichteten der entsetzte Missionär und der Djehal aus Arabisch von der Gefahr, in der Dibbeh schwebe. Verstand auch Everett den Inhalt der Rede nicht, so begriff er doch rascher, was vorging, als der Effendi, welcher von dem Begegnen zwischen seiner Schwester und ihrem Feinde am Morgen nichts erfahren hatte. Ein furchtbares Gefühl bitterster Beschämung überkam den Jankee, als ihm klar wurde, daß seine niedrige Jntrigue, die einzig darauf berechnet gewesen, Dibbeh einen unwürdigen Liebhaber zu geben, sie in die Gewalt eines Rachsüchtigen gebracht hatte. So weit hätte ihm sein Ehrgefühl das