Heft 
(1885) 29
Seite
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Deutsche Roman-Bibliothek.

Fenster und sah zum ersten Male wieder auf das bunte Treiben der Stadt unten, und stehe da, noch ehe die Mitte des Mai heran war, war sie schon in einem jener reizend gelegenen, in weitem Halbkreise die Hauptstadt nach Süden hin umziehenden Villendörfer einquartiert und genoß hier die Wonne der Rekon- valescenz. Es hatte sich dabei so glücklich getroffen, daß eine befreundete Kollegin und zwar um so be­freundeter, als sie das Fach der hohen Tragödie kultivirte mit ihr in die Sommerfrische gegangen war, einer Molkenkur halber, die sie sich unter Hin­weis auf ihrtotal erschöpftes Organ" vom Theater­arzt hatte verordnen lassen. Eine Verordnung, in die dieser lächelnd, aber doch Zugleich auch mit der Bemerkung gewilligt hatte:Wollte Gott, Fräulein Phemi, daß ich mich annähernd Ihres Organs er­freute."

Natürlich war auch Hannah mit draußen, und alle Drei bewohnten ein halbes Parterre, das nach der Rückseite hin einen einfachen Garten mit Kaiser­kronen und Feuerlilien, in Front aber eine durch Glasfenster und Leinwandwände geschützte Veranda hatte. Schräg gegenüber von ihnen befand sich ein großes, mit Oleanderbäumen umstelltes Hotel und zwischen hüben und drüben lief ein chaussirter Straßen­damm, auf dem, die heißen Mittagsstunden ab­gerechnet, ein beständiges Fahren war. Denn der Ort war nicht nur Eisenbahnstation, sondern von alter Zeit her auch Knotenpunkt vieler Straßen, die von hier aus strahlenförmig in die steyrischen Vor­berge hineinsührten, ein entzückendes Hügelland, über das hinweg, sobald die Sonne zu sinken begann, das Hochgebirg in blauem Dämmer aufragte.

Heute jedoch war der Abend noch fern, und beide Freundinnen saßen Frühnachmittags in der Veranda, deren Glasfenster man ausgehoben hatte, weil es nach einer kurzen Regenzeit in den letzten Tagen wieder sehr warm geworden war. Auf einem hart an der Brüstung stehenden Tische lagen Muster, Decken und Wollknäuel umher, und die Tapisserie­nadel beider Damen, welche Letzteren an einer großen Stickerei beschäftigt schienen, ging hurtig hin und her. Dabei war eine rechte Nachmittagsstille, nichts wach und nur aus dem Garten kamen ein paar gelbe Schmetterlinge, haschten sich und flogen dann weiter die Straße hinunter/ Franziska sah ihnen nach, bis sie schließlich über die Dächer hin verschwanden^ und war noch in ihrem Sehen und Sinnen ver­loren, als vorn Flur her ein reizender Blondkopf erschien, ein etwa Zehnjähriges Mädchen, das an ihnen vorüber in Hast und Sturm auf die Straße zulief, einen Tonnenreisen vor sich, den es mit dem Handgriff eines allem Anscheine nach sehr eleganten Fächers schlug. An dem Reisen selbst waren kleine Blechstücke befestigt, und bei jedem Schlage gab es einen Klang, als ob ein Tambourin oder ein Kinder- janitschar geschüttelt würde.

Lysinka," rief die Tragödin und lachte.Sieh' nur, Franziska, sie hat meinen besten Fächer ge­nommen, ein Geschenk von Graf Pejevics von der letzten Redoute her. Ein wahres Prachtstück, ich meine den Fächer. Und nun hantirt der Unhold, damit, als ob es ein Trommelstock wäre... Lysinka!"

Aber die Kleine hörte nicht mehr, sondern jagte schon die chaussirte Straße weiter hinauf und auf das große mit Oleanderbäumen umstellte Hotel zu, vor dem eben ein paar gelbe Reisewagen mit zurück- geschlagenem Verdeck hielten. Man sah ordentlich, wie das schwarze Leder in der Sonne brannte, während ein paar Hühner, die sich vom Hofe her eingefunden hatten, die Körner aufpickten, die zer­streut umherlagen. Hier machte Lysinka Halt, sah sich inmitten der pickenden Hühner einen Augenblick um und jagte dann in geschickter Biegung und die Veranda, wo Phemi und Franziska saßen, auf's Neue passirend, nach der andern Seite hin die Straße hinunter.

Ein reizendes Kind!" sagte Franziska.Du mußt es sehr lieben. Thust Du?"

Gewiß ihn' ich's. Oder glaubst Du, daß der hohe Styl der Tragödie dergleichen ausschließt? Auch Medea..."

Nichts von Der. Ich will von Medea nichts wissen. Ich will nur wissen..."

Ein Geheimniß."

Unter Schauspielerinnen gibt es keine Geheim­nisse. Das solltest Du wissen, Phemi. Zudem Hab' ich Dir Alles aus meinem Leben erzählt, Abenteuer und Nichtabentener."

Nun gut; so rathe."

Gräflich? Hocharistokratie?"

//Höher." ^

Ah, ich seh' schon, Du willst Dich auf einen Erzherzog hin ausspielen. Aber ehe ich Dir das glaube..."

Hannah's Erscheinen machte hier dem Gespräch ein Ende. Sie kam mit einem großen Tablett, das sie vorläufig auf die rechtwinklige Brüstung der Veranda setzte, legte dann sorglich ein Tuch und arrangirte den Kaffeetisch.

Und nun, Hannah, Juwel unserer Krone," hob Phemi wieder an,schaff' uns auch etwas Krausgebackenes oder einen Napfkuchen, oder um auch in Oeslau gut wienerisch zu bleiben, einen Gugelhupf. Denn Du mußt wissen, ich habe heute den Lammbraten vorübergehen lassen er hat immer so etwas Ungeborenes und so klingt es denn in den Tiefen meiner Seele: -Was du vom Lamm zu Mittag ausgeschlagen, bringt nur der Gugelhupf zu­rück'. O, ein himmlisches Wort, bei dem ich ordentlich fühle, wie's hier mithupft. Und nun geh', Hanning, geh'; ich habe ein drittes Haus von hier etwas appetit­lich Braunes im Schaufenster stehen sehen, heute früh, als wir von der Promenade kamen, und die leere Straße sieht mir nicht darnach aus, als ob sich Oeslau mittlerweile daran vergriffen haben könnte. . . Hier mein letzter Fünfguldenschein!"

Ach, Fräulein Phemi, wenn Sie nur nicht immer vergessen wollten, daß wir Krachzeiten haben."

Unsereins hat nie Krach, Hannah. Uebrigens wecke keine traurigen Gedanken in mir, denn schließ­lich und auf einem Umwege bin ich doch daran be­theiligt. Und nun geh', ehe es zu spät ist. Wir leben zwar in einer gedankenarmen Zeit, aber die Noth einer Oeslauer Kaffeestunde macht auch den Aermsten erfinderisch. Also vite, vite!"