Graf Petöfy von Theodor Fontane.
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Hannah ging. Als sie fort war, beugte sich Franziska vor und sagte: „Du kannst Dir gratuliren und stolz sein, Phemi, bei Hannah in solcher Gunst zu stehen. Eigentlich hält sie nicht viel von uns. Ihr Vater war Todtengräber und davon ist ihr 'was geblieben. Und am meisten wundert es mich, daß sie mit dem Blondkopf so gut steht, mit der Lysinka. Sie hat ordentlich einen Narren an dem Kind und erklärt es rund heraus für einen Engel. Und das geht doch schlechterdings nicht, oder das ganze Kapitel von der Erbsünde..."
„Nichts davon! Um darüber zu sprechen, muß man so studirt sein wie Du. Das Alles ist nicht mein' Sach'. Aber wenn Du Dich über die Hannah wunderst, weil sie trotz all' ihrer Tugend an dem Kinde hängt und dem Kinde nicht die Mutter und der Mutter nicht das Kind anrechnet, so zeigst Du nur, wie wenig Du die Menschen kennst. Und bist doch an die Viernndzwanzig."
„Eben gewesen," lachte Franziska.
„Nun, siehst Du! Freilich, ich könnte Deine Mutter sein, oder wenn nicht geradezu Deine Mutter, so doch Deine Stiefmutter..."
„Dazu bist Du wieder zu gut und verwöhnst mich zu sehr."
„Also Deine Mutter. Und nun höre. Was ich Dir hinsichtlich Deiner Hannah und ganz speziell hinsichtlich ihrer Liebe zu dem Kinde zu sagen habe, das heißt einfach..."
„Nun?"
„Das heißt einfach: es lebt sich am besten mit der Tugend."
„Das hat einen Doppelsinn."
„Ich wollt' ihm den Doppelsinn nicht geben und stünde mir auch schlecht an. Es soll nur heißen: es lebt sich am leichtesten und am bequemsten mit guten und unschuldigen Leuten. An Tadel oder Vorwurf ihrerseits ist nie zu denken. Im Prinzipe sind sie streng und streng auch gegen sich selbst. Aber was von anders Geartetem an sie herantritt, dagegen sind sie mild, und es ist fast, als freuten sie sich, eine Bekanntschaft damit zu machen. Es soll sich ja, wie die Katholiken sagen, das Heilige durch Handauflegen sortpflanzeu etwa nach Art eines elektrischen Stroms, und so strömt auch vielleicht ein kleiner, prickelnder Strom des Unheiligen von unser- einem aus. Jeder nach seinen Mitteln und Kräften."
„Ach, Phemi, wie Du nur redest! Du bist ja gar nicht so."
„Man kann sich nicht unheilig genug machen. Eine durchgängerische Demnth ist das letzte Mittel, sich wenigstens einen Schimmer aus der ewigen Strahlenkrone zu retten . .. Aber um's Himmels willen, Fränzl, sieh' Dich um, da kommt ja Gras Egon."
Franziska hatte sich vorgebeugt und erkannte nun auch ihrerseits den Grafen, der eben drüben aus dem Hotel getreten war und noch einmal zurücksah, um nach einen: Balkon hinauf zu grüßen, der am ganzen ersten Stock entlang lief und durch Holzpfeiler getragen wurde. Sein Gruß selbst aber galt einer altei: Dame, der Gräfin.
Egon war allein, nur von einer Ulmer Dogge
begleitet, einem prächtigen Thier, das augenscheinlich ungeduldig seinem Herrn auf der chanssirten Straße bis an die Veranda hin vorauslief. Einen Augenblick später aber war auch der junge Graf heran und gewahrte die beiden Damen, die sich anscheinend in ihre Tapisserie vertieft hatten. Er fuhr ganz ersichtlich zusammen, als ob ihm die Begegnung mit ihnen mehr ein Schreck als eine Freude gewesen wäre, fand sich aber rasch wieder zurecht und trat an die Brüstung heran, um Beide mit aller Courtoisie zu begrüßen.
Phemi hatte sich zum Gegengruß erhoben und überstürzte den Grafen sofort mit einer Frageslut, die keine Dämme kennen zu wollen schien, an: wenigsten aber den der Diskretion. Endlich schwieg sie.
„Meine Gnädigste," lächelte Gras Egon, „Alles zu beantworten, müßt' ich den letzten Zug abwarten können, was mir leider versagt ist. Aber ein Anfang ließe sich wenigstens machen, immer vorausgesetzt, daß Sie geneigt sind, mir einen Platz an Ihrem Kaffeetische zu gönnen."
Er voltigirte, während er dieß sagte, leicht über die Brüstung hin und setzte sich in einen Gartenstuhl, den er selber aus einer Ecke herangeschoben.
„Ehe ich aber beginne," fuhr er fort, „denn Fragen sind einer Gegenfrage Werth, bitte ich, mir sagen zu wollen, was Sie nach diesem Erdenwinkel geführt hat?"
„Ich war krank," antwortete Franziska, „viele Wochen lang, und die stillen Tage hier sollen mich wieder gesund machen."
All' dieß war in einem durchaus ruhigen Tone gesprochen, .und doch klang ungewollt und ungewußt etwas wie Vorwurf darin. Egon gerieth denn auch in eine leise Verwirrung, an der die Sprecherin erst erkannte, welche Bedeutung er ihren Worten gegeben hatte. Sie fuhr daher rasch und mit so viel Unbefangenheit wie möglich fort: „Es ist erquicklich, die reine Lust hier zu genießen, am erquicklichsten aber ist doch die geistige, darin ich lebe. Wenn ich nicht irre, hat irgend ein alter oder neuer Philosoph ausgesprochen, es mache nichts so gesund wie Heiterkeit, und die Wahrheit dieses Satzes Hab' ich hier an mir selbst erfahren. Denn Sie müssen wissen, Gras Egon, es gibt nichts Heitereres und Vergnügteres als eine Tragödin. Nicht wahr, Phemi?"
Diese patschelte die Hand, die Franziska, während sie so sprach, ihr gegeben hatte, zugleich aber nahm sie selber das Wort und sagte: „Was das für Anwandlungen sind! Ich bitte Dich, ich soll mich nicht auf das Archidukale hin ausspielen, und Du spielst Dich auf das Sentimentale hin aus. Und nun wirst Du schließlich noch roth und scheinst als ,Naive' nicht einmal zu wissen, daß mit Hülfe solcher Anspielungen nie und nimmer das Geringste ver- rathen wird. Und wenn Graf Egon auch rathen wollte bis an den jüngsten Tag, er erriethe doch nicht, um was es sich hier handelt."
„Ich fürchte wirklich, nein."
„Nun, siehst Du. Zudem soll man an den kleinen Freuden des Lebens nicht ohne Noth vorübergehen, das verübeln Einem die Schicksalsmächte,, von denen