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Deutsche Nsman-Sibliothek.
ich schon von Metier wegen zu reden weiß. Und zu diesen kleinen Freuden des Lebens gehört es auch, in Geheimnissen und Anspielungen zu sprechen. Einige sagen freilich, es sei schlechter Ton und nicht artig. Aber was ist artig? Eine Beschäftigung für arme Leute."
„Gut, es mag so sein, aber Du hast umgekehrt eine zu stark ausgeprägte Neigung, Dich unter Jgnori- rung der armen Leute mit Deinen Königinnen zu verwechseln. Ist es nicht so, Graf Egon?"
„Im Gegentheil, meine Gnädigste. Bedaure, widersprechen zu müssen. Ich meinerseits bin immer nur überrascht, unsere Freundin in so genialer Weise die Rollengebiete wechseln und aus der Sprache der Königinnen in die der echtesten Weiblichkeit übergehen zu sehen."
„Eine Genialität," lachte Phemi, „die Sie muth- maßlich überschätzen. Immer, mit Ausnahme der Pastoren, ist es einem Jeden ein Liebes und. Leichtes, aus dem Ausgesteiften in das Natürliche zu verfallen. Erinnern Sie sich der mythologischen Gottheiten, und wie begierig dieselben allezeit waren, aus ihrer Göttlichkeit herauszutreten. Und nun gar erst die Götter und Göttinnen dieser Welt! Als Hoff mann sollten Sie wissen und wissen es auch, wie schwer arme junge Königinnen an ihrem Hermelin zu tragen haben. Da haben wir beispielsweise die Königin Anna von England, allerdings nur in einem historisch angekränkelten Stück. Aber gleichviel, die Figur soll echt sein. Und nun beobachten Sie, woran hängt sich dieser Königin Anna königliches Herz? An einen Fähnrich. Dabei verwechselt sie die zwölf Millionen Staatsschulden mit den Todten bei Mal- plaquet. Zwölf Millionen Todte! Viel, sehr viel; aber am Ende warum nicht? Ihr Fähnrich blieb ihr ja, und so rollt ihr die Zahl so gemüthlich von der Lippe, wie wenn's eine Bagatelle wäre. Da haben Sie Königinnen! So sehen wirkliche Königinnen aus, und einer armen Sklavin gleich mir, die nur die Königinnen spielt, sollt' es schwer werden, aus der Szepter- und Kronensprache herauszusallen? Und noch dazu hier, hier in Oeslau. Hier bin ich Mensch, hier will ich menschlich fühlen, ja, Graf, auch danu noch, wenn Sie sammt Franziska superior über mich lächeln, weil ich muthmaßlich wieder einmal falsch zitirt habe, was aber Ihre gerechte Strafe dafür sein mag, daß wir immer noch nicht wissen, um was sich's handelt und um was Sie hier waren. Und nun dring' ich alles Ernstes auf eine Generalbeichte."
„Die wir sicherlich längst hätten, Phemi, wenn Du dem Grafen nur einen Zoll breit Raum zum Niederknieen gegönnt hättest."
Egon verneigte sich zustimmend und erzählte nun in Kürze, daß die Tante seit etwa acht Tagen hierin Oeslau sei, drüben im Hotel. Er sei gekommen, ihr Briese zu bringen, darunter auch Briese voll Graf Adam.
„Und wie geht es dem Grasen?" fragte Franziska.
„Gut. So nehm' ich wenigstens an. Es geht ihm überall gut, wo sich eine große Oper und eine operu eomigus vorsindet. Freilich fehlt ihm das napoleonische Regiment, und die Regierung im schwarzen Frack ist nicht gerade sein Ideal. Er liebt das >
Bunte, darin ganz Ungar, aber zuletzt bleibt doch Paris Paris und spottet jeder Kleidersrage. Mit der Viardot hat er die Freundschaft erneuert und mit der Sarah Bernhardt dinirt, ein Diner, von dem sich mindestens eine Woche lang in enthusiastischer Erinnerung zehren läßt. Mitte Juni will er nach Trouville, wenn nicht nach Biarritz, er ist aber unberechenbar und hält eigentlich jeden Tag für verloren, den er, etwa Schloß Arpa abgerechnet, außerhalb Wien zubringt."
In diesem Augenblick hörte man aus der Ferne her den Pfiff einer Lokomotive. „Das ist mein Zug, meine Damen, und ich muß eilen."
„O, Sie haben noch sieben Minuten."
Und er setzte sich wirklich wieder. Aber die Dogge, die sich all' die Zeit über vor die kleine Verandathür gelagert und den Kops zwischen die Pfoten gesteckt hatte, gab jetzt so sichtliche Zeichen von Ungeduld und schlechter Laune, daß ihr Herr unter scherzhaftem Hinweis aus den malcontenten Begleiter sich wieder erhob.
„Ein schönes Thier!" sagte Phemi. „Fast zu schade..."
„Für sein Coups?" ergänzte lachend der Graf. „Gewiß. Und würd' es auch sehr übel nehmen, sich darin nntergebracht zu sehen, denn er steckt ganz und gar in Standesvorurtheilen. Ich muß es eben mit dem Schaffner versuchen. Mißglückt es, so macht er die vier Meilen zu Fuß. Apropos, ich darf doch der Tante von Ihrem Hiersein melden? ^u rsvoir."
Und er ging rasch die Straße hinunter, an deren nahem Ausgange das Bahnhofsgebäude gelegen war. Eben fuhr der Zug ein. Eine Minute darnach aber gab die Glocke schon wieder das Abfahrtszeichen, und beide Damen sahen nur noch die Weiße Dampfwolke, die sich verflüchtigend über die lchteu Häuser hinzog.
Weder Phemi noch Franziska sprach. Jede hing ihren Gedanken nach.
Sechstes Kapitel.
Graf Egon hielt Wort, und schon den zweiten Tag darnach, als beide Freundinnen von einem Mittagsspaziergang zurückkehrten, fanden sie zwei Karten vor, die von einem Lohndiener abgegeben waren, während die Gräfin selber in einem Zurück- geschlagenen Wagen vor der Veranda gehalten hatte. Phemi drehte die für sie bestimmte Karte hin und her und las mit Betonung jeder einzelnen Sylbe: „,Neichsgräfin Judith von Gundolskirchen, geborene Gräfin Petöfy? Wundervoll, und kommt in der Schale, wenn ich erst wieder in Wien bin, obenauf. An Grasen ist kein Mangel bei mir, aber Gräfinnen sind desto seltener. Glaube mir, Fränzl, dergleichen ist nicht nur hübsch, sondern auch nützlich, und man muß jede gute Brise benützen. . . Und in einem Wagen sagtest Du, Hannah?"
„Ja, in einem Wagen," bestätigte Hannah. „Und es war eigentlich nur der Hotelwagen von drüben, aber Alles herrschaftlich zurecht gemacht und der Kutscher mit Handschuhen. Er sah so feierlich aus, daß mir das Lachen ankam. Und dazu der lange