Heft 
(1885) 29
Seite
684
Einzelbild herunterladen

684

Deutsche Noman-SibUothek.

Gewiß," antwortete Franziska,das dürfen sie, das ist Ihr gutes Recht. Und wenn ich an Ihrer Stelle wäre, so würd' ich es auch haben. Aber unsereins ist doch mehr oder weniger genirt und empfindet leicht eine Verwandtschaft heraus, die schließlich bedenklich ist."

Sie scherzen," sagte der Gras,oder wenn es wirklich Ihr Ernst ist, so möcht' ich fast von Em­pfindelei sprechen dürfen."

Empsindelei vielleicht. Aber Scherz, nein. Ich nehm' es ganz ernsthaft. Auch glaub' ich kaum, daß ich damit vereinzelt dastehe."

Phemi?" lachte der Graf.

Nein, Phemi nicht. Aber Andere, wobei mir eine kleine, dasselbe Gefühl ausdrückende Lenau- geschichte wieder in Erinnerung kommt, die mir Bauernseld letzten Winter erzählte."

Darf ich sie wissen?"

Gewiß. Ich habe die Namen und näheren Umstände vergessen, aber gleichviel. In irgend einem Wiener Restaurant, in dem Lenau verkehrte, befand sich eine junge Person, die nicht bloß die Gäste be­diente, sondern auch Verse machte. Diese Verse nun wurden bei bestimmter Gelegenheit an Lenau gegeben, der sie las und sofort in eine befangene Stellung zu der neu entdeckten Dichterin gerieth. Alles, was sie geschrieben hatte, war unter mittelmäßig, aber sich auch fernerhin von ihr bedienen zu lassen, erschien ihm nichtsdestoweniger unmöglich oder doch im höch­sten Grade peinlich. Er sah in ihr die Kollegin, die Mitschwester und wußte sich schließlich nicht anders zu Helsen, als daß er fortblieb. Es hat das, als mir Bauernseld davon sprach, einen großen Eindruck aus mich gemacht, und ich würd' es einen seinen und liebenswürdigen Zug an Lenau neunen, wenn ich mir nicht selber damit eine Schmeichelei sagte."

Die Sie sich mit gutem Gewissen sagen dürfen," antwortete der Gras und nahm einen Augenblick ihre Hand.Uebrigeus freut es mich aufrichtig. Sie so lenaubcgeistert zu finden. Heute schon zum zweiten Male."

Wie das? Zum zweiten Male?"

Nun, meine Gnädigste, Sie werden doch allen Ernstes nicht glauben wollen, daß ich das schöne .Nach Süden'-Lied, wie Sie's damals nannten, und seine Schlußstrophe vergessen haben tonnte?"

Welches?"

.Hörbar rauscht die Zeit vorüber an des Mäd­chens Einsamkeit' .. . Ich glaube, so hieß es. Es hat mich damals in seiner melancholischen Schönheit eigenthümlich ergriffen und war der erste Plauder­abend bei der Tante. Nur Feßler war zugegen und draußen Schnee gefallen. Entsinnen Sie sich noch?"

Franziska war betroffen, aber es gelang ihr, ihre Verlegenheit zu verbergen, und in einem immer

lebhafter werdenden Gespräche schritten Beide die Berglehne hinunter und auf die Vudengasse zu.

Sollten wir nicht lieber einen Umweg machen?"

O, nicht doch," antwortete die Gräfin, an die sich seitens Franziska's diese Frage gerichtet hatte. Mein Leben verläuft viel zu still und einsam, als daß es mir nicht eine Freude sein sollte, von un­gefähr unter Menschen Zu kommen. Ich such' es nicht aus, aber wenn es sich gibt, so heiß' ich es jedesmal willkommen."

Und so mündete man denn wirklich in das bunte Fest- und Iahrmarkttreiben ein.

Eine Menge großer Schaubuden war da, Pano­ramen, an denen sie, dem Menschenzuge folgend, rasch vorübergingen, bis ihnen zuletzt ein kleines Zelt auf­fiel, über dessen Eingang in Transparent die Worte standen:Einzige Verkündigung der Wahrheit" und darunter in kleiner Schrift:Fünfzig Kreuzer".

Ah!" sagte Phemi,da muß ich hinein. Ost ist mir die Wahrheit umsonst gesagt worden, aber sie war auch darnach. Nichts ist umsonst, nicht ein­mal die Wahrheit."

Und sie schickte sich wirklich an, in das Zelt ein- zutreteu.

Aber Franziska zog sie wie mit Gewalt Zurück und sagte:Du bleibst!"

Eine momentane Verlegenheit trat ein und schwand erst wieder, als man aus der Budengasse heraus war.

Ich war überrascht, Sie so heftig zu sehen," nahm endlich Egon das Gespräch wieder auf.So heftig und so bestimmt."

Und noch dazu gegen Phemi," setzte Franziska lachend hinzu.Phemi selbst aber wird mir am ehesten verzeihen. Ich konnte nicht anders und habe nun 'mal einen tiefen Widerwillen dagegen. Unser ganzes Leben ist eine Kette von Gnaden, aber als der Gnaden größte bedünkt mich doch die, daß wir nicht wissen und nicht wissen sollen, was der nächste Morgen uns bringt. Und weil wir's nicht wissen sollen, sollen wir's auch nicht wissen wollen."

Auch nicht einmal im Scherz, im Spiel?"

Auch nicht einmal im Spiel. Denn es ist ein Spiel mit Dingen, die nicht zum Spielen da sind. Ich muß es wiederholen, ich hasse jede Neugier, die den Schleier von dem uns gnädig Verborgenen weg­reißen will; aber am meisten widerstreitet mir doch die Neugier, die nicht einmal ernsthaft gemeint ist. Es gibt der tückischen Mächte genug, und ihre listig lauernde Feindschaft auch noch durch Spiel und Spott herausfordern zu wollen, thut nie gut und ist der Anfang vom Ende."

Der Graf schwieg.

Bald darnach aber trennte man sich vor Phemi's und Franziska's Veranda, bis wohin die Gräfin in Artigkeit gegen die jungen Damen diese begleitet hatte. (Fortsetzung folgt.)