Die Erbtante von Johannes van Nerval!.
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Roman
von
Johannes van Deivall.
(Fortsetzung.)
Elftes Kapitel.
ein Sterblicher hätte in der Karikatur, die sich gegen fünf Uhr desselben Nachmittags der Familie feierlich prüsentirte, in der langersehnten Erbtante, jenes gefühlvolle, liebliche Mädchen wieder erkannt, das heute früh diesen sentimentalenAnflug hatte. Marie hatte diese Stunde für das Zusammentreffen mit dem Präsidenten selbst verabredet, hatte ihm ein versiegeltes Couvert überreicht und die bestimmte Erwartung im Namen der Tante ausgesprochen, den Vetter Leopold und seine Tochter ebenfalls hier zu sehen.
„So sei denn dieser Saal ein neutrales Terrain," hatte der Präsident mit einiger Förmlichkeit erwiedert und dann die nöthigen Befehle gegeben, um den verhaßten Bruder zu benachrichtigen.
Auf diesenr neutralen Boden, einem großen, drei- fenstrigen Gemach, standen die beiden Parteien jetzt ansmarschirt, der Onkel Leopold, welcher seit Jahren seines Stiefbruders Haus nicht mehr betreten hatte, stand kühl, ein wenig herausfordernd in einer Ecke, mit erhobenem Kopf, den Hut in der Hand, etwas hinter ihm Helene, drüben, durch den Tisch von ihnen getrennt, die Uebrigen.
„Gib Acht, ob ich meine Sache nicht gut mache," sprach Elisabeth, eingehüllt in jene fabelhaften Gewänder der Tante, kaum sichtbar unter den Shawls, gepudert, geschminkt und mit langen dänischen Handschuhen bewehrt. „Ich komme mir vor wie ein Zweiter Diogenes, Marie — ich suche Menschen."
Ein Wink dann, langsam öffnete sich die Thüre und geleitet und gestützt von ihrer indischen Bedienung, erschien die Tante in der Oeffnnng derselben, ein zweiter Wink, die Diener traten zurück, der biedere John erschien auf der Schwelle, dort gleichsam Schildwache stehend, während die Begum sich, schwerfällig aus ihrer Gesellschafterin Arm gelehnt, einer Pagode gleich mit dem Kopfe wackelnd, einige Schritte nach vorn bewegte und sich verneigte.
Nur mit der größten Mühe unterdrückten die Verwandten ihre große Bewegung, der Diplomat bog den Kops herab und biß sich spöttisch auf die Lippen, Frida wandte das Gesicht zur Hälfte beiseite, um ihren Abscheu Zn verbergen, während der Lieutenant unwillkürlich ein: „Aus Ehre, die alte Person sieht toll ans!" murmelte.
In der That, in der Nähe, beim Hellen Tages
lichte bot die Tante einen ebenso lächerlichen wie abschreckenden Anblick. Mit einem schlichten Geschmack sondergleichen — zur Feier des Tages anscheinend, — hatte sie ein kostbares, funkelndes Schmuckstück an ihren Turban geheftet, in den Händen trug sie eine Dose, diese ebenfalls mit Juwelen besetzt, und ein langes, goldgesäumtes Taschentuch, die Füße dagegen staken in Filzpantoffeln wie im tiefsten Winter, und von dem Gesicht waren durch die Umhüllungen fast nur die lebhaft funkelnden Augen und einige graue Haarsträhne zu sehen, das Uebrige verschwand hinter den Falten. Man hatte allgemein das Gefühl, als müßte die Alte ersticken.
Während ihre Augen lebhaft hin und her wan- derten, begann sie zu sprechen, die Pagode, ebenfalls seltsam und unheimlich, die Laute klangen, als kämen sie aus dem Grabe, und dabei kaute die Alte das ihr ungewohnte Deutsch durch die Zähne, daß man merkte, sie war völlig aus der Uebung, die überall cingeschobenen englischen Brocken machten obendrein ihre Sprache noch unverständlicher.
Dabei sah die alte Person aber beinahe lustig aus, die Aeuglein funkelten immer Heller, ihre Hände singen an sich zu bewegen, auch machte sie allerhand seltsame, zum Lachen reizende Bewegungen mit den Hüften und Füßen, so daß der erste Schrecken der Versammelten bald einer etwas heitereren Stimmung wich. Sie war entschieden ein gutes Frauenzimmer und durchaus nicht nachtragend, das bewiesen ihre ersten Worte schon. — Wie ganz anders hatte man sich doch die indische Tante vorgestellt!
„Ich bin komme in nv wtllertavä," Hub die rauhe, tiefe Stimme an, „um noch einmal zu sehen die Plätze, wo ich war ein Kind und die liebe ratattons" (hier nickte sie Allen der Reihe nach freundlich zu). „Ich bin lovg ttins gewese abroaä und komme zurück aus tlls Ivätes, wo ich Hab' begrabe meine gute Mann. Ilis soul bs iv Ileavev !" Hier nahm die Alte eine große Prise, reckte die Nase ans der Binde und schnaubte sich höchst umständlich.
„Eine charmante Person, das Gesellschaftssrän- lein," rannte der Diplomat seiner ältesten Schwester in's Ohr. Deren ungeduldige Bewegung mit den Schultern hieß ihn schweigen.
„Ich Hab gemacht die lange Reise über die See," fuhr die Tante etwas fließender fort, „um zu sehn das deutsche Vaterland noch einmal, ehe ich sterbe; hoffe aber zu leben noch lange Zeit in Gesundheit."
Diesen Zusatz schien sie für einen Witz zu