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Deutsche Noman-Sibliothek.
„Lieber Vater!"
„ Ich kämpfte wie ein Mann, — es war allezeit gerade genug, um nicht Zu erliegen, aber mehr wie zu viel, um mir jedes Lebensglück im Keime zu ersticken . .. Als ich endlich mein erstes Gehalt bekam, mußte ich zur Seite legen von dem Wenigen, den Löwenantheil für die Wucherer; feit ich denken kann, arbeitete ich nur für diese Vampyre, gab ich ihnen mein Herzblut, mußte ich mit ihnen kämpfen Schritt für Schritt, um Leben und Ehre, lebte ich in einem fortwährenden Banne der Angst, der moralischen Folter und der Verfolgung! . . . Davon ist dieses Haar vor der Zeit ergraut."
„Armer Vater!" sprach Egon tief ergriffen und drückte diesem die Hand.
„Ich heirathete dann, — ich glaubte, nun begännen bessere Tage; ich knüpfte ein anderes Geschick an das meine. — Ich Thor! — Mit dem Wenigen, was meine Frau zur Aussteuer erhielt, tilgte ich einen Theil meines Defizit, das Andere wollte ich nach und nach abtragen. — Damals sah ich Land, ich athmete auf. — Aber es war eine Fata Mor- gana, trügerischer Schein! ich hatte gerechnet ohne jene Blutsauger. — Es ist ein langes Bild des Kampfes und des Elends, was ich entwickeln müßte, wollte ich das Alles erzählen! — Kurzum, ich zahlte und zahlte, das Vermögen meiner Frau und mein Gehalt, es floß in diesen Abgrund und kaum so viel blieb uns übrig, das elende Leben, das wir führten, zu fristen, um anständig nach außen zu existiren... Damit aber nicht genug, die Bürde, anstatt sich zu verringern — sie wuchs, wuchs mehr und mehr!... Jetzt drückt sie mich zu Boden — meine Kniee tragen mich nicht mehr... ich bin am Ende!..."
Noch niemals hatte Egon seinen Vater so gesehen, erschrocken und in der tiefsten Seele ergriffen betrachtete er den keuchenden, nach Athem ringenden, in Schweiß gebadeten Mann.
„Ich bin gezwungen, einen Entschluß zu fassen," fuhr Jener scheinbar gefaßter fort, „meine Gläubiger drängen mich. Wenn etwas von den Beziehungen zu solchem Gelichter in's Publikum dränge, meine Reputation, Autorität und Stellung wären für immer dahin .. . Man setzt mir Daumenschrauben an, rechnend daraus, nun die Tante aus Indien angekommen ist, wäre der Augenblick da, ihre Ernte zu halten... Ich muß erwägen, ob ich noch einmal temporisire, jene Hyänen zu beschwichtigen versuche, oder ob ich mich der Tante Karoline eröffne. — Ehe ich beschließe, möchte ich euren Rath hören."
„Ich bin der Meinung, Du sprichst offen mit der reichen Frau," Hub Karola unverzüglich an und umschlang den Arm ihres Vaters fester. „Dieser Zustand der Sorge reibt Dich auf. Wenn sie nur einen Funken von Gefühl hat, so muß sie Dir Helsen!"
„Mein liebes Kind, Du weißt nicht, wie schwer der Mensch bei Lebzeiten sich vom Besitz trennt, von einem kleinen Partikel selbst, und säße er bis über die Ohren im Golde," erwiederte der Vater mit Bitterkeit und nickte nachdrücklich, starren Blickes einige Male mit dem Kopfe.
„Ich will mich ihr zu Füßen werfen, sie flehentlich bitten..."
„Thue das nicht," unterbrach er sie stirnrunzelnd, „sie scheint keine Liebhaberin von Erregungen des Gemüths zu sein. Sie ist alt und wunderlich . .. Was sagst Du, mein Sohn?"
Egon hatte tief erregt, mit nachdenklicher Miene bis jetzt dagestanden; diese Leidensgeschichte seines Vaters, wie erinnerte sie ihn nicht an sein eigenes Loos!... Doch nein, er wollte nicht undankbar sein. Der Himmel hatte bisher ihn gnädig genug behandelt, nur in Einigem glich es ihm. — Jetzt sah er auf.
„Lieber Vater," versetzte er mit Festigkeit und Wärme, „ich an Deiner Stelle würde alles Andere versuchen, che ich diesen letzten, verzweifelten Schritt thäte, die Tante ist kaum im Hanse, wir kennen sie kaum in ihren Eigenthümlichkeiten. Ein jeder Mensch will richtig genommen sein, wenn er Geld geben soll, vor Allem eine alte Dame. — Wenn Dein Appell an ihre Güte nun vergebens wäre, die Folgen wären ernst, das letzte Pulver verschossen. Die Tante verließe vielleicht das Haus, die Gläubiger, ihrer letzten Sicherheit beraubt, drehten die Schraube vollends Zu und Alles wäre aus. — Ich schlage deßhalb vor, noch einmal zu temporisiren, den Schuften die Mäuler Zu stopfen, um Frist zu gewinnen, die Tante näher kennen zu lernen und zu erfahren, tvie und wo man die Hebel ansetzt, um das Herz derselben zu rühren."
Dieser verständige und von Erfahrung zeugende Rath des Sohnes machte Eindruck auf den Vater. Es lag Dank und Anerkennung in seinen Mienen, als er diesem jetzt die Hand reichte.
„Du hast Recht, Egon," sprach er etwas mühsam, denn sein Stolz blutete in diesem Augenblick unsäglich, „ich danke Dir für Deinen guten Rath und werde ihn befolgen. Es ist nur ein schwieriger Punkt noch vorhanden: ich soll jenen Schurken die Mäuler stopfen, — aber womit? — Ich brauche dazu zum mindesten tausendfünfhnndert Thaler und ich besitze, außer fünfzig Pfund, welche mir heute die Tante gab, nur etliche Goldstücke, im Ganzen vielleicht fünfhundert Mark."
„Nimm die Scharteke da und zeig' sie den Halunken oder mache sie Zu Geld, Vater, und gib es ihnen, und reicht es nicht, ich habe vier Pferde im Stall, ich kann ohne Noth zu leiden eins davon entbehren."
Gerührt reichte der Präsident dem Dragoner noch einmal die Hand.
„In der Noth, mein Sohn, erkennt man seine Freunde," sprach er ergriffen, mit unsicherer Stimme. „Ich weiß, Du spielst nicht mit Worten; — ich nehme Dein Anerbieten an, bedauernd, daß ich Dir dieses schöne Spielzeug rauben muß."
„O, Egon hat ein gutes Herz!" rief Karola mit glänzenden Augen. „Nimm auch meines, Vater! Alles sei Dein, nur athme wieder auf, lächle wieder, werde nicht krank! ..."
Ihr Auge hatte einen schwärmerischen, beinahe fanatischen Ausdruck, als sie sich dem Vater erst und dann dem Bruder an die Brust warf.
„Der Himmel segne euch, meine theuren Kinder," sprach der Präsident beinahe weich, legte seine Hände auf ihre Häupter und ging hinaus.