Die Erbtante von Johannes van Dewali.
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Dreizehntes Kapitel.
Die Thüre hatte sich hinter den beiden Freundinnen geschlossen, an der nächsten verabschiedeten sie John und die braune Dienerschaft. — Noch eine Thüre und sie waren unter sich, sie fielen sich in die Arme und fuhren dann ebenso plötzlich wieder auseinander.
„Du lachst?!" sprach Elisabeth.
„Du weinst, ehrwürdige Lady Macb . . . verzeihe, Macduff?" fragte Marie, ihr Erstaunen hinter einem Scherze verbergend. „Du weinst, daß Dir die Thränen über Deine graue Schminke träufeln?!..."
„O, spotte nur!... Mir ist so elend zu Muthe... ich möchte mich hinlegen und klagen... wie ein Kind!"
„Und warum das in aller Welt nur? — Eben wollte ich Dir die größten Komplimente sagen über die vortreffliche Durchführung Deiner schwierigen Rolle, und nun verdirbt der Schluß die ganze Censur! Was sicht Dich an, Lisel?"
„Frag' Dich selbst. . . diese ganze unwürdige Komödie ... die Erkenntniß der Menschen ... nicht gleichgültiger, sondern meiner nächsten Verwandten! Der Präsident ist meines Vaters leiblicher Bruder, seine Kinder sind meine Vettern und Cousinen."
„Ich bitte Dich, zuerst nur aus dieser Hülle heraus, dann wirst Du hoffentlich wieder ein anderer Mensch. Ich fürchte immer, Du möchtest ersticken," drängte Marie.
„Das heiße Klima Indiens hat mich verwöhnt, mir geht es wie John und den Anderen, ich friere hier."
„Nun wahrhaftig, — bei dreißig Grad Hitze!"
„Aber weißt, mein treuer Bundesgenosse," fuhr Elisabeth lebhafter fort, mit einem Aufathmen und indem sie der Freundin Hände ergriff und ihr in die Augen sah, „ich danke dem Himmel dennoch! — Ich meine, so ganz vergebens ist diese Komödie und Alles, was drum und dran ist, doch nicht; — ich glaube zwei gute Menschen zum wenigsten heute gesunden zu haben —"
„Wenn Du wüßtest, wie komisch Du aussiebst!... Soll ich Dir sagen, was für Entdeckungen ich gemacht habe? Vielleicht stimmen sie überein mit den Deinen, mein Liebling."
„Nun?"
„Erst zieh' Dich aus — ich werde Dir helfen."
Die Metamorphose war nicht ganz leicht, denn die Schminke und der Puder hafteten fest an der zarten Haut; dennoch saßen die beiden reizenden Mädchen in bequemen Hauskleidern von Tibet und Seide sich bald darauf einander traulich gegenüber, bei halboffenen Fenstern, und schütteten ihre Herzen aus, eine in der andern Busen.
„Neben vielem Neid, häßlicher Habsucht, Haß und anderen niedrigen menschlichen Leidenschaften fand ich, wie Du, zwei gute Seelen, Lisel: den ehrlichen Dragoner und Helene —"
„Du sprichst mir aus der Seele. Während die fiebrigen so waren, wie ich gefürchtet hatte, scheinen mir Diese gute, einfache Menschen zu sein," versetzte Elisabeth mit einem Schimmer von Glück und leuch
tenden Augen. „Wäre dem so, so hätte ich gefunden, was ich suchte, so hätte ich einen Anknüpfungspunkt, eine Basis für die Zukunft, die, wenn auch nur..."
„Nicht so eilig, lieber Schatz!... dieser Hoffnungsschimmer dünkt mich vorläufig noch viel zu schwach, um ihm entgegen zu jubeln und Pläne für die Zukunft daraus zu bauen... Aber weißt Du, daß ich noch eine zweite Entdeckung machte?"
Elisabeth nickte lächelnd mit dem Kopfe.
„Ich glaube, daß der kleine Knabe Cupido Contre- bande treibt."
„Ganz recht und trotz des Grimmes der Anderen."
„Du hast das auch bemerkt?"
„Ich gab gut Obacht. Ich sah, wie, während alle Anderen neidisch oder sauer drein sahen, als ich Helene den Ring gab, der Dragoner mit vorgestrecktem Halse und dem unbewachtesten, strahlendsten Lächeln dastand und offenbar eine aufrichtige Freude darüber empfand, daß seine Cousine bevorzugt wurde."
„Ganz dasselbe beobachtete auch ich."
„Diese Entdeckung, Marie, gibt mir eigentlich den Muth, die abscheuliche Komödie den Meinen gegenüber mit Konsequenz durchzuführen. — Und was für ein liebes, hübsches Gesicht die Kleine hat und wie besorgt und zärtlich sie manchmal verstohlen hinter dem breiten Rücken des Vaters fort nach den: Vetter hinübersah."
„Das ist echte Liebe... das freut mich herzlich! — Jst's nicht drollig, Lisel, die alte Geschichte wieder: die feindlichen Brüder! — Siehst Du, das war die Komödie in der Komödie! Im fiebrigen kannst Du nicht viel Staat machen mit Deinen Verwandten, besonders die anderen Damen und der Diplomat gewähren gerade keinen herzerquickenden Anblick."
»Ich gestehe das zu."
„Der arme anoion Diplomat, — wie Du ihn Zappeln ließest und ihn dann nach Indien schicken wolltest, bei dieser Hitze... dorthin, wo der Pfeffer wächst! — Du bist rachsüchtig, Lisel."
„Von Allen ist mir dieser der Unangenehmste, noch verhaßter wie der kalte, überstolze Vater, dessen Züge ein Schatten der Sorge wenigstens veredelt."
„Richtig — er hat etwas von einem Blutrichter; bewahre mich der Himmel davor, jemals in seine Klauen zu fallen!" So sprechend ging Marie an einen Schrank, holte eine zierliche Flasche und zwei Gläser aus demselben und stellte sie nebst der Wasserflasche auf den Tisch. „Ein wenig branä^ anä ovaler?" fragte sie schelmisch lächelnd.
Elisabeth nickte.
„Und was beginnen wir nun? — Du wirst mich doch nicht ewig in diesem Käsig schmachten lassen?"
Elisabeth trank und lachte. Sie war eine überaus liebliche Erscheinung so, mit den strahlenden, dunklen Augen, dem in schweren Wogen zwanglos herabfallenden Haar, den kirschrothen Lippen, hinter denen die gleich Perlschnüren glänzenden Zähne hervorschimmerten mit einem feuchten, appetitlichen Glanz. — Sie fand plötzlich ihren ganzen gewohnten Humor und ihre Energie wieder.
„Wir müssen etwas erfinden, Schatz," versetzte