Die Erbtante von Johannes van Dewalt.
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„Woher ich das weiß, das kann Dir gleichgültig sein, verstehst Du. Das Uebrige magst Du dem Vater sagen, dem ich diese saubere Geschichte unverzüglich mittheilen werde..."
„Egon, das thust Du nicht!" rief das Fräulein tödtlich erschrocken.
„Damit er Dir schamlosen Person ebenfalls seine Meinung sagt über ein solch' unwürdiges Betragen, womit Du Dich und Deine Familie lächerlich machst und kompromittirst. . . Als ob es nicht so schon genug Elend gäbe!..."
Die Stirn des Bruders sah so drohend aus und seine Stimme klang so entschieden, daß Frida eine wahre Todesfurcht empfand. — Wenn der Vater das erfuhr, war sie verloren. Sie legte sich deßhalb auch auf's Bitten und gab Erklärungen. Rothkirch mache ihr den Hof schon seit dem vorigen Winter und in allem Ernst. Nur auf sein wiederholtes und dringendes Bitten hätte sie ihm dieses eine Rendezvous neulich Abends gegeben, mit Zittern und Zagen. Er wolle sie heirathen, aber er sei augenblicklich noch nicht in der Lage, erst müsse sein Onkel sterben; sie wolle es ja auch in ihrem ganzen Leben nicht wieder thun, sie verspreche das feierlich, nur möchte Egon doch ja dem Vater nichts davon sagen.
Der Dragoner war stehen geblieben, die Füße auseinander gespreizt, die eine Hand im Brustausschnitt, die andere hinten in der Tasche, den Kopf ein wenig gesenkt, mit finsterer Stirn hörte er ihr zu.
„Ich soll nichts sagen? — hättest Du jetzt zum wenigsten die Wahrheit gesprochen, ich hätte vielleicht geschwiegen," fuhr er zornig auf, „aber Du lügst, Mädchen, Du lügst, Du bist falsch und verlogen durch und durch, darum werde ich handeln! Nicht wahr, unsere Familie in Schande stürzen, jedes halbe Jahr, — was sage ich, auf jedem Ball einen andern Courmacher haben, Augen verdrehen und kokettiren."
„Das ist nicht wahr!" rief Frida, mit den Füßen stampfend.
„Und schließlich mit Leuten, wie Rothkirch, wie eine Grisette durch die Felder gehen, Abends beim Mondschein, sich Du nennen!" — Hier stockte ihm der Athem. — „Daß Du es nur weißt, — der Vater hat Kummer genug, den möchte ich durch diese angenehme Mittheilung nicht noch tiefer darnieder beugen, aber Karola werde ich bitten, Dich besser zu beaufsichtigen, und morgen früh werde ich den Herrn besuchen und ihn..."
„Egon — um Gottes willen!"
„Und ihn bitten, den geehrten Herrn, mir zu sagen, was er eigentlich mit Dir beabsichtigt, und ihn entweder niederschießen, wie einen tollen Hund, oder ihn zwingen, Dich zu heirathen. — Eine größere und passendere Strafe wüßte ich für euch Beide nicht!"
„Egon! — das wirst Du nicht thun!..." rief in höchster Aufregung das leichtsinnige Mädchen, „lieber Egon, so höre doch!... Ich verspreche Dir es heilig — o Gott, er hört mich nicht!"
In der That hatte der Dragoner mit einer kräftigen Bewegung sich von den Händen seiner Schwester frei gemacht und ging nun mit großen Schritten
der Gartenthür zu, sie mit ihrer Angst und ihren Vorwürfen allein lassend.
Als er hinaus auf die Straße trat, begegnete er — eine andere angenehme Ueberraschung — seinem Bruder Egbert, mit einem älteren, nicht eben allzu respektabel aussehenden Herrn; dieser Anblick verleidete ihm den Entschluß, jetzt noch frische Luft zu schöpfen, er trat wieder in's Haus und begab sich hinauf zu seiner älteren Schwester, um mit dieser ein langes, sehr ernstes Gespräch' zu führen.
Vierzehntes Kapitel.
Am nächsten Morgen kaufte Marie in der Stadt Portieren und dergleichen, auch miethete eine Miß Herford, eine junge Dame, welche draußen in den nahen Villenstädten wohnte, ein elegantes Absteigequartier im sogenannten Fremdenviertel, im Hotel Bellevue. An demselben Tage verhandelte auch der Präsident mit seinen Gläubigern und erhielt nach vielen Opfern und Mühen eine neue Galgenfrist. Der Dragoner besuchte seinen Kameraden, den Courmacher seiner Schwester.
„Ist Ihr Herr zu Hause?" fragte er den Husaren, der ihm öffnete.
„Nein, Herr Lieutenant," versetzte dieser, mit einem Ruck die Drillichjacke glatt ziehend und die Hacken aneinanderschlagend, „ist noch nicht vom Dienst zurück."
Egon dankte und ging zum Cafe Stephanie, durch die hohen Spiegelscheiben erblickte er viel hellblaues Tuch dort, eine Menge Leute, darunter den Gesuchten und seinen Bruder. — Er kannte die Lokalität, er trat in den Hausgang, der zwischen dem Restaurant und der Konditorei hindurch nach dem Hofe führte und zu den Hinteren Räumen, und guckte in das Privatzimmer. Es war heute ausnahmsweise leer.
Er stellte sich an das Fenster, schrieb etwas auf eine Karte und klingelte dem Kellner.
„ Geben Sie dieß Herrn von Rothkirch, mit einer Empfehlung von mir," befahl er und sah dann dem jungen Manne nach, bis er die Thüre nach vorn geöffnet hatte, damit er nicht etwa den Neugierigen spielte. — Mit einem heiteren, völlig ahnungslosen Gesicht trat unmittelbar darauf Herr von Rothkirch herein.
„Mein Gott, liebster Steinfurt — warum spielen Sie hier Verstecken, — warum kommen Sie nicht vor und trinken ein Glas Wein mit uns?" fragte er liebenswürdig, ein wenig geröthet von dem reichlichen Genüsse des Traubensaftes.
„Weil ich Sie gern allein sprechen wollte," versetzte der Dragoner finster, mit zusammengezogenen Brauen und sehr zugeknöpft. „Ich erlaubte mir, Sie in Ihrer Wohnung aufzusuchen, ich fand Sie aber nicht zu Hause — ich habe Nothwendiges mit Ihnen zu verhandeln."
Der Husar ahnte noch immer nichts. Ihm war das Courmachen zur zweiten Natur geworden und er hatte bisher immer Glück gehabt. Wer denkt denn auch gleich daran, wenn er ein Mädchen küßt, daß dasselbe raufsüchtige Brüder oder Vettern hat? Er meinte, es handle sich um Sport oder Schulden; —