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Deutsche Noman-Sidliothek.
gar nichts vorgefallen, nahm Mariens Arm und watschelte hinaus.
Als Marie unmittelbar darauf wieder zurückkehrte, sah sie Entrüstung und Erregung auf allen Gesichtern, doch glätteten sich dieselben schnell bei ihrem Erscheinen, die höfliche, lächelnde Maske wurde vorgenommen.
Man glaubte zuerst, Marie habe ein Anliegen; wie angenehm überrascht war man aber dann, als Jene um die Erlaubniß bat, noch ein wenig gemüthlich mit der Familie plaudern Zu dürfen! Man bot ihr Platz und fragte, ob sie irgend welche Erfrischung beliebte. Sie dankte und erklärte freimüthig, sie fühle bisweilen das dringende Bedürfniß, unter anderen Menschen zu sein, der fortgesetzte Verkehr mit einer älteren Dame wäre nicht wenig eingreifend ans die Dauer.
Karola hatte ihre Handarbeit wieder vorgenommen, ihre schmalen Hände waren immer beschäftigt, während die Anderen müßig saßen.
„Ich hoffe, die gute Tante hat das etwas kindische Betragen meiner jüngsten Tochter vorhin nicht übel genommen," Hub der Präsident mit dem Wunsche an, jenen schlechten Eindruck zu verwischen.
Frida machte ein sehr pikirtes Gesicht und maulte.
„O, ganz und gar nicht," versetzte Marie lebhaft. „Mrs. Macduff ist eine viel Zu vernünftige und herzensgute Frau, um so leicht verletzt zu sein. Ich glaube, eher noch hat Ihre Frau Tante Ursache, sich bei Ihnen zu entschuldigen. Sie hat bisweilen ihre kleinen tyrannischen Launen, die Einsamkeit und das Klima haben sie schrullenhaft gemacht, außerdem ist sie noch befangen in den Vorstellungen ihrer eigenen Jugend."
„Sie leben schon lange bei der Tante?" fragte Karola, kaum von ihrer Nähterei aufblickend, mit leiser, schmeichelnder Stimme. Marie erröthete unwillkürlich, log dann aber tapfer:
„Ja, etliche Jahre schon."
„Daun waren Sie also auch mit ihr in Indien?" fragte Frida hastig.
„Welche Frage!" verspottete sie der Assessor, der genial nachlässig in einem großen Sessel lehnte, dessen hohes Rückenpolster seinem verlebten Gesicht als Folie diente. Offenbar machte der eitle Herr einen schwachen Versuch, den Eindruck, den er aus die hübsche Gesellschafterin vorhin gemacht zu haben glaubte, noch zu vertiefen.
„Allerdings," versetzte Jene mit einem hübschen Lächeln, „und ich danke Gott, daß ich das heiße, freudlose Land verlassen durfte."
„Freudlos? — Dann finde ich es von der Tante nicht gerade allzu freundlich, mich dorthin schicken zu wollen," sprach der Assessor geziert.
„Sie beurtheilen sie falsch. Ich möchte Ihnen denselben Rath ertheilen wie Ihre Frau Tante, mein Herr: man geht allerdings nicht nach Indien, um sich zu amüsiren, sondern um Schätze zu sammeln."
„Dann nimmst Du mich mit," rief Frida in ihrer vorschnellen Weise.
Marie, welche in der Absicht hereingekommen war, den üblen Eindruck, welchen ihre Freundin hinterlassen haben mußte, ein wenig abzuschwächen,
begann nun von der Tante zu sprechen und beobachtete dabei mit großer Aufmerksamkeit die Gesichter ihrer Umgebung. Sie lobte die alte Dame, sie wäre im Grunde eine so einfache und anspruchslose Frau — hier zog der Präsident unwillkürlich die blonden, schwachen Brauen in die Höhe — so wohlthätig und herzensgut; sie sähe nichts lieber als glückliche Menschen um sich. Der Präsident hatte sich neben Frida gesetzt, ein finsterer, vielsagender Blick bestimmte dieselbe, ihre Zunge Zu zügeln, aber sie maulte deßhalb nur um so mehr. Der Assessor schmachtete und kokettirte mit seinen Händen, Karola hatte die Nähterei in ihren Schooß sinken lassen, um kein Wort von dem zu verlieren, was Marie erzählte, von dem heißen Indien, von ihrem Leben dort und von dem seligen Kapitän Macduff.
Und ist sie wirklich so reich? — diese Frage schwebte aus jeder Lippe, aber Niemand wagte es, sie auszusprechen.
Dann begann der Präsident seine Eltern umständlich Zn entschuldigen, daß sie damals so gut wie gar nichts für die hülslose Waise hätten thnn können; sie wären selbst mittellos gewesen und im Besitz einer Zahlreichen Familie. Er und Karola sprachen dann ihr Bedauern aus, mit so warmen Worten und ehrlichen Mienen, als hätte gar keine Elisabeth Steinfurt existirt, die jetzt durch ihre Schuld vielleicht gestorben und verdorben war. So lief die Unterhaltung weiter, wie klares Wasser, das den Berg hinunterläuft, bis Marie wieder bei den guten Eigenschaften der Tante angelangt war und sie überschwenglich lobte.
„Sie kann es nicht leiden, wenn man sie beobachtet," sprach die Schlaue, „sie hat ein ewiges Mißtrauen gegen sich, denn ihre Schwächen sind ihr wohl bekannt, sie ist darin wie ein gut geartetes Kind. Bei ihrem kolossalen Vermögen ist sie ohne jede Prätension."
Wie hier die Augen leuchteten!
„Vor Allem weiß sie treue Anhänglichkeit und Rücksicht zu belohnen."
„Und ist sie wirklich..."
„Frida!"
„Sie fragen, ob die Tante wirklich so vermögend ist," versetzte Marie mit freundlichem Entgegenkommen, „nun, sie mag immerhin und zum wenigsten nach deutschen: Gelde vier oder fünf Millionen besitzen..."
„Fünf Millionen?" riefen alle drei Geschwister unisono, denn selbst der Assessor vergaß das Schmachten und fuhr empor aus seiner lässigen Haltung.
„Ja, — fünf Millionen sind es Wohl zum mindesten, vielleicht noch mehr."
„Mark?" fragte der Präsident.
„Nein, Thaler!"
„Thalerü"
Das war eine Summe zum Schwindligwerden, verblüffend! — Du lieber Gott, wie leicht konnte die Tante da all' ihrer Noth ein Ende machen! Der Präsident und Karola erblaßten bei dem Gedanken, Frida wurde roth, denn bei ihr mischte sich sogleich die Vorstellung mit ein von einer endlosen Kette von Bällen und Eroberungen und wie sie die Anderen