Die Erbtante von Johannes van Gewalt.
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von oben herab ansehen wollte, wenn sie erst eine reiche Erbin wäre. Der Assessor wurde sehr nachdenklich plötzlich, preßte die ansgespreizten Finger gegeneinander und lehnte sich langsam wieder zurück.
Mittlerweile fuhr Marie, anscheinend ohne diese Erregung der Gemüther zu bemerken, fort:
„Ein großer Theil des Vermögens steckt noch in Grund und Boden und in Unternehmungen, das Meiste aber ist in England sicher angelegt. Dort, sagt man, sei auch das Testament deponirt."
Man vernahm die Athemzüge der Einzelnen.
„Wir sind Ihnen sehr verbunden für Ihre freundlichen Mittheilungen, mein Fräulein," unterbrach die Stille zuerst der Präsident. „Wir waren bisher ohne jede speziellere Kunde über das Vermögen meiner theuren Cousine. Der Himmel möge sie noch lange gesund und im Genüsse ihres Besitzes erhalten, — aber immerhin, wir sind die natürlichen Erben, und..."
„Ich verstehe vollkommen; dieser Wunsch, etwas Genaueres zu wissen, ist ebenso natürlich als gerecht. Ich weiß zwar nur wenig, das, was ich gelegentlich von der Tante hörte oder durch ihre Gespräche mit ihren Anwälten dort und in London vernahm ..."
„Und darf ich mir die Frage erlauben, geehrtes Fräulein, wer diese Anwälte sind?" Marie zögerte eine Sekunde, dann versetzte sie mit einer entschuldigenden Geste:
„Das Ihnen Zu sagen, dazu möchte ich doch wohl erst die Erlaubniß Ihrer Frau Tante einholen, denn diese ist sehr mißtrauisch."
„Nein, — ich bitte dringend, thun Sie das nicht; es könnte mir falsch ausgelegt werden," fiel ihr der Präsident nicht wenig erschrocken in's Wort. „Ans der andern Seite... Sie werden mir das nachfühlen, mein Fräulein, nicht niedere Gewinnsucht oder Neugierde sind die Triebfedern . . . aber wenn man Kinder hat .. . man möchte doch wissen, woran man ist."
„Ganz natürlich!"
„Außerdem, — unser Dank gegen Sie würde ein warmer, ein unbegrenzter sein."
Hier schaute Marie ihm so unbefangen in's Gesicht, daß er stockte. Man verstand ihn nicht, — diese Unschuld mahnte zur Vorsicht. Man durfte nicht zu weit gehen mit einem Male.
Das Gespräch nahm bald wieder eine andere Wendung.
„Und sind nicht noch mehr Verwandte der Airs. Macduff am Leben?" fragte Marie im Laufe desselben.
Peinliche Verlegenheit malte sich ans allen Gesichtern.
„Noch ein Neffe zweiten Grades, ein Doktor Arnstein," versetzte der Präsident etwas obenhin. — „Wir stehen aber in so gut wie gar keinem Verkehr mit demselben, da der Herr ein sogenannter Freidenker ist . . . ein Demokrat."
„Und wo hält derselbe sich auf?"
„Er ist hier praktischer Arzt."
„Hier im Orte? — Aber mein Gott, warum hat er sich denn dann noch gar nicht blicken lassen?
— Ich finde das nicht höflich, es wird Mrs. Macduff sehr wunder nehmen."
Der Präsident bewegte verlegen die schmalen Schultern; aber seiner Nichte erwähnte er trotzdem mit keiner Sylbe.
„Nun, der Herr wird seiner Schelte nicht entgehen. Uebrigens habe ich heute die Freude gehabt, einer ehemaligen Pensionsfreundin zu begegnen, welche mich hoffentlich ab und zu besuchen wird."
Ein „So?" mit mehr oder weniger gut geheucheltem Interesse, dann kam man wieder auf die Tante und deren fabelhafte Schätze zurück, die Köpfe waren wie berauscht von den fünf Millionen.
Mit einem harmlosen Lächeln erzählte dann Marie von der kindischen Todesfurcht der Tante, und daß sie irgend etwas hinterlassen hätte, sie glaube ebenfalls in London, daß wenn sie einmal eines unnatürlichen Todes stürbe, ihr ganzes Vermögen an die Armen fallen sollte.
Wie die Gesichter sich entfärbten; welche Unruhe plötzlich, Schreck und Enttäuschung in Aller Mienen.
„Nun, — der Fall ist hoffentlich ausgeschlossen; diese kindische Furcht wird sich legen, sie ist Wohl nur eine Ausgeburt der tropischen Hitze und des vielen Alleinseins."
„Aber das ist ja fürchterlich!" gab Karola ihren Gefühlen Worte.
„Nennen Sie es lieber eine Kinderei, liebes Fräulein, bedenken Sie, daß Ihre Frau Tante in den Siebenzigern steht, und daß alte Leute eben wieder zu Kindern werden."
„Diese Vorsicht ist allerdings eine etwas übertriebene," sprach der Präsident mit Indignation, dann sah er plötzlich aus, soeben trat der Dragoner herein. Die vorschnelle Frida benützte diese Gelegenheit, um emporzuspringen und ihrem Bruder entgegen zu laufen mit dem Ruse:
„Egon, — die Tante hat fünf Millionen Thaler!"
Sie vergaß dabei ganz, daß sie sich vorgenommen hatte, mit demselben böse zu sein, aber bei der Beleuchtung von fünf Millionen verblaßten natürlich alle anderen Gefühle.
Marie erhob sich und nahm Abschied, wohl zufrieden mit ihrem Tagewerk. — Eine Stunde später fuhren beide Freundinnen im Mondenschein spazieren und nahmen nachher im Hotel ein reizendes kleines Mahl zu sich.
In der Familie des Präsidenten waren alle Gemüther noch in der höchsten Erregung. — Fünf Millionen Thaler! Das war mehr, als sie je geahnt hatten. — O!...die Tante mußte Ihnen Helsen, ans irgend eine Weise mußte es gelingen, sie dazu zu bewegen.
Man hielt einen langen Familienrath hernach und trennte sich erst spät und ohne zu ahnen natürlich, daß zwei reizende junge Damen im Hotel Bellevue soupirten und daß die Tante und ihre Begleiterin außerhalb schliefen.
Drin im wohlverhangenen Zimmer lag ein Haufen von Musselin auf dem Ruhebette, ohne sich zu regen, John und die Hindus aber ruhten auf ihren Betten und auf niedrigen Polstern und schliefen.