Heft 
(1885) 30
Seite
712
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Deutsche Roman-Bibliothek.

Sechzehntes Kapitel.

Fünf Millionen! das war das große Thema zu einem sehr langen und wichtigen Gespräch, welches den Präsidenten und seine Tochter bis lange nach Mitternacht noch wach hielt. Wie ungleich sind doch die Gaben ans dieser Erde vertheilt, und wie un­gerecht!

Die alte Frau besaß Summen, daß Einem schwind­lig wurde bei dem bloßen Gedanken, bei dem Aus­denken derselben, und Andere mußten jeden Pfennig zu Rathe halten, kämpften einen erbitterten Kamps um's Dasein, um die äußere Würde zu retten, und sanken trotzdem täglich tiefer in den Sumpf!

Der Präsident war abgehärteter durch das lang­jährige Ringen, ihn blendete mehr die Summe, von der möglicherweise einmal, vielleicht morgen schon, die Hälfte sein eigen sein konnte, Karola hingegen fühlte eine unendliche Bitterkeit im Herzen. Warum mußten sie gerade so arm sein, warum mußte ihr Vater so namenlos leidend!... Mit welchem Recht konnte ein Gott die Gaben so planlos vertheilen, und war es nicht ein schweres Unrecht von der Tante, so viel Geld für sich allein zu behalten, war es nicht eine Pflicht, eine pure Menschenpflicht, ihnen davon abzugeben!?

Endlich legte sie sich zu Bette. Nun, wenigstens für die nächsten Wochen hatte der Präsident Ruhe vor seinen Gläubigern, er hatte ihnen die Mäuler gestopft; was nachher kam je nun, da mußte sich Rath finden. So etwas stumpft ab Zuletzt, durch die Gewohnheit, schon gar Zn oft hatte er vor dem Zusammenbruch gestanden und es hatte sich immer bisher eine Rettung gefunden. Solche Schulden­macher werden Fatalisten.

Er entschlummerte mit dem Gedanken an die fünf Millionen, sie verwoben sich in seine Träume: er sah Tonnen Goldes, das gelbe Metall quoll heraus und rollte ihm vor die Füße, und daneben stand die Cousine in ihrer lächerlichen Tracht und wackelte mit dem dicken Kopfe und rollte mit den Augen und nickte ihm auffordernd zu: nimm doch, nimm doch!

Er griff hinein mit beiden Händen, aber die Goldstücke verwandelten sich alsbald in Silber und Kupfer, in ganz kleine Scheidemünze, und seine Gläubiger standen daneben und lachten über ihn und seinen Zorn.

Mit finster zusammengezogenen Augenbrauen lag Karola mittlerweile wach und sann und grübelte mit Hartnäckigkeit, ja mit einer förmlichen Verbissenheit zuletzt. Es war ein fester Entschluß, der in ihr reifte, die Tante mußte ihnen helfen. Sie durfte nicht so unbeschreiblich reich sein, während ihre nächsten Verwandten, ihr armer Vater mit dem Aeußersten rang, mit der Noth und mit der Schande. Wie schon gesagt, die Liebe zu ihrem Vater war das einzig versöhnende Element in dieser herben, harten Mädchen­seele, aber der Kreis ihrer Liebe war ein enger, dar­über hinaus reichte nicht einmal ihr Mitgefühl und so vergaß sie ganz, während sie selbst den Himmel anklagte, daß es auf Erden ein Wesen gab, welches man grausam, ohne auch nur eine Hand für es zu rühren, ein Kind noch, hiuausgestoßen hatte in dieses

trügerische Leben. Wo war sie jetzt, ihre Cousine Elisa­beth ihre Blutsverwandte? Nicht einmal der Gedanke an sie, geschweige denn ein Vorwurf unter­brach den Gedankengang Karola's, den sie mit einer fatalen Hartnäckigkeit verfolgte. Eine gute Eingebung kam ihr nicht, trotz allen Grübelns, etwas, was Aus­sicht aus Erfolg versprochen hätte, denn den Gedanken, der Tante Zu schreiben, einen Fußsall vor ihr zu thun und dergleichen, gab sie als hoffnungslos, ja schädlich bald wieder auf. Ein Schimmer von Hoff­nung blieb ihr nur sie wollte Mariens Vertrauen Zu erwerben suchen und deren Vermittlung in An­spruch nehmen.

Wenn man von kleinem Gelde träumt, so bedeutet das bekanntlich großen Aerger. Die Freidenker mögen dagegen sagen, was sie wollen, die Sache hat seine Richtigkeit und bewährte sich am andern Morgen auch bei dem Präsidenten.

In der Frühe schon ließ sich ein Herr bei ihm anmelden, mit einer Geschästsmiene, der halb frech, halb verlegen hier auftrat in den hohen, weiten Räumen.

Mit wem habe ich die Ehre?" fragte der Präsident bolzgerade und mit seinem gewöhnlichen Vonobenherab.

Mein Name ist Schütz, Rechtskonsulent Schütz," versetzte Jener.

Der Präsident verfärbte sich leicht, natürlich wieder eine Geldsache.

lieber das Vermögen des Kalkulators Schmelzer wurde gestern der Konkurs augemeldet; ich bin der Verwalter der Masse."

Der stolze Nacken ward plötzlich krumm, das Auge glanzlos, fast gebrochen stand er da, der stolze Präsident, und lehnte sich an die Ecke der Fenster­nische, denn er bedurfte einer Stütze. Er hatte in großer Noth Geld geliehen von einem Unter­gebenen , einem Subalternen. Nun machte Der Bankerott. . . o, hinterlistiges Spiel der Hölle! Anstatt ihn zu mahnen, erklärte er sich für zahlungs­unfähig, und seine Wechsel und Verschreibungen er hatte seit Jahren nicht einmal die Zinsen bezahlt kamen mm nicht nur in die Hände dritter Per­sonen, nein, er mußte auch zahlen, unverzüglich die Masse befriedigen, sonst war er um Amt und Ehre!

Er taumelte unter diesem Schlage, der Kon­sulent sah es, wie er schwach wurde und erschrak.

Aber in dem alten Herrn steckte eine stahlharte Zähigkeit die Abhärtung, die Gewohnheit, wie gesagt, er erholte sich schnell, er reckte sich und gewann wieder Würde und Sicherheit.

Ich bedaure den Sachverhalt, Kalkulator Schmelzer war mir mehr wie ein bloßer Unter­gebener, er war ein Freund," sprach er.Gibt es denn gar kein Mittel, das Letzte von ihm abznwenden, mein Herr?"

Der Konsulent zuckte mit den Achseln.

Sein ältester Sohn hat es gar zu arg getrieben, und die verheirathete Tochter nicht minder," ver­setzte er.

Das geht mir nahe sehr nahe!"

Glaube ich wohl," murmelte der Andere in den Bart.