Die Erbtante von Johannes van Vervatt.
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„Ich werde selbst hernach meinen alten Freund besuchen, selbst hören. — Um wie viel meinen Sie, daß es sich handelt in diesem Falle?"
„Je nun, im Grunde nur um einige hundert Thaler, wenn Alles bezahlt wird, er verlor wohl mehr den Kopf, oder will sich sicherstellen gegen die Kinder."
„Und haben Sie meine Schuldscheine bei sich?" fuhr der Präsident nach einigem Ueberlegen fort, eine Idee, welche er soeben hatte, wieder fallen lassend.
„Sie liegen in meinem Sekretär — es sind zweitausendvierhundert Thaler nebst etwas über hundert Thaler Zinsen, — hier habe ich eine kleine Notiz darüber."
Es fand dann noch ein längeres, intimeres Gespräch zwischen Beiden statt, der Präsident drückte dem Rechtsmanne Zuletzt einige Goldstücke in die Hand — den Lohn für eine Frist von etlichen Tagen, dann entfernte sich Jener.
Stöhnend sank der Präsident ans einen Stuhl und schlug die Hände über die Augen.
„Großer Gott! — warum verfolgst du mich so! . . ."
Eine furchtbare Bitterkeit trat in seine Seele, — einen Moment kam ihm die Idee, den Kampf mit dem Dasein aufzugeben und Gott die Verantwortung für die Folgen zuznschieben. Dann aber ermannte er sich, nahm seinen Hut und ging in's Freie. Er wollte allein sein, er mußte nachsinnen, wie ihm zu helfen sei — etwas mußte geschehen.
Unten an der Thüre stand John, in einer rothen Livröe heute, und nahm soeben das schöne Bouquet in Empfang, welches ein Diener des Kommerzien- rathes allmorgendlich hier abzugeben pflegte.
Ein Runzeln der hohen Stirn, ein Stich im Herzen und er schritt weiter und grüßte herablassend die Menschen, welche vor ihm den Hut zogen. Er verlor sich dann in die einsamsten Wege des Schloßgartens. Er bemerkte natürlicherweise die beiden jungen Damen nicht, welche an ihm vorüberfuhren und sich gegenseitig anstießen, als sie ihn erblickten und ihm nachsahen.. .
Sie stiegen vor einem Handschuhgeschäft unfern des Zwingers aus und gingen dann zu Fuß nach Haus. Diese nahmen nun ihrerseits nicht wahr, wie ein Herr, welcher sich mit ihnen in dem Laden befunden hatte, in die Thüre des Geschäfts trat und sie mit seinen Angen eine Weile verfolgte; es war das ein großer Mann von etwa dreißig bis drei- unddreißig Jahren, mit einer hohen Stirn und einem ernsten, offenen Gesicht, anscheinend keiner von den Männern, die allen hübschen Frauen Nachsehen.
In der Nähe des Hauses begegneten sie Karola und dem Diener, der einen Korb trug; sie begab sich aus den Markt. — Man begrüßte sich flüchtig, Marie nahm aber die Gelegenheit wahr, das gnädige Fräulein mit ihrer Pensionsfreundin Fräulein Wild bekannt zu machen, dieselbe, von welcher sie ihr schon gesprochen hatte.
Eine Viertelstunde später — Marie saß an einem der Fenster, die nach dem Hose hinausführten — sah sie den Lieutenant aus den Stall Zuschreiten.
Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 15.
Dort lungerte John herum, sein Priemchen in der linken Backe, die Hände ans dem Rücken, und sah dem Diener zu, welcher ein Pferd, welches die Decke halb verbarg, langsam ans und ab führte. Wie der Dragoner seinen Herrn kommen sah, Zog er die Hülle herunter und der Gaul stand nun, bloß mit Sattel und Zaumzeug bekleidet, da, ein Dunkelbrauner, mit violetten Lichtern auf dem glatten Haar, eine Schönheit, Alles Eisen und Stahl, mit einem kleinen trockenen Kopf, großen Nüstern und großen, feurigen Augen, die es jetzt, die Ohren spitzend und den schlanken Hals biegend, seinem Herrn aufmerksam entgegenwandte.
Der kleine graubraune Affenpintscher, der dem Lieutenant ungeduldig vorantrippelte, beroch erst den Burschen, dann John und zuletzt den Dunkelbraunen, offenbar freudig erregt, eine Art von Willkommen, reckte dann die Hinterläufe weit hinaus, so daß der ausgekratzte Sand davonflog, und lief aufgeregt seinem Herrn entgegen, in Einem fort dabei mit dem Schwanz- stümpfchen wedelnd, das man ihm gelassen hatte.
Der Bursche trat an den Kopf des Pferdes und nahm die Hacken zusammen, John zog den Hut, der Lieutenant faßte an die Mütze und nickte dem Schotten Zu, dann umging er das Pferd, that einige Fragen und schwang sich in den Sattel. Während er sich in demselben zurecht setzte und mit der linken Hand die Zügel anzog, faßte er mit der Rechten in die Brust, zog einen Brief heraus und reichte ihn dem Dragoner; dabei gab er demselben offenbar einen Befehl.
Der Affenpintscher kläffte gellend vor lauter Lust und sprang an dem Pferde empor.
Marie fühlte Elisabeths Hand auf ihrer Schulter. Ohne sich umzuwenden, sprach sie fröhlich:
„Gelt — das ist ein schmucker Offizier, der Herr Vetter! — Ich gäbe was darum, könnte ich auch so im Sattel sitzen."
„Hast Du es nie versucht?^ fragte Jene, geschützt durch die Vorhänge, mit Interesse dort hinunter sehend.
„Einmal in meinem Leben in Wien. — O! ich hatte sehr viel Angst dabei."
„Das glaube ich nicht."
„Ich bin auch in Baden aus einem Esel auf die Rauheneck und die Weilburg und einmal auch zu der Spinnerin am Kreuz geritten, aber ein Roß habe ich nur selten bestiegen, vierundzwanzig Lehrstunden in der Manege ausgenommen. — Du freilich, Du rittst auf Elephanten, Dromedaren und wer weiß auf was sonst noch für wilden Thieren."
„Er sitzt gut zu Pferde," sprach Elisabeth, in Einem fort hinunter schauend.
„Du, — verlieb' Dich nicht in ihn, sonst kriegst Du Deinen Onkel zum Schwiegervater und die arme Helene weint sich todt."
„Wer weiß denn, ob er mich möchte!"
„Eine so gute Partie!" versetzte Marie, sich herumwendend. Sie sprachen noch eine Weile von dem Vetter, während derselbe längst zum Thore hinaus war, dann öffnete Marie das Fenster und rief nach John, der unten mit dem Dragoner stand,
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