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Deutsche Roman-Bibliothek.
„Mein Herr!" sprach der Kellner etwas verlegen.
„Ich weiß in der That nicht . . . eine solche Art und Weise!" — weiter kam der Diplomat nicht,
— es war die höchste Zeit. Er steckte alle jene Aeuße- rungen der Entrüstung ein und gab eilig Fersengeld
er ward hernach nicht mehr gesehen.
Als der Schrecken und der erste Zorn vorüber waren, lachte Marie still in ihr Taschentuch.
„Den haben wir wacker heimgesandt," sprach sie, sehr zufrieden mit sich selbst.
„Ein unverschämter, schamloser Mensch!" versetzte Elisabeth noch etwas athemlos. „Wart' nur, Dir will ich es gedenken! — Ich kann Dir gar nicht sagen, wie ich jene Art von Männern hasse; sie verwehren uns Frauen geradezu, uns in der Welt zu bewegen, wie wir Willens sind. Man ist ja beinahe gezwungen, nirgends mehr öffentlich sich Zn zeigen."
„Nun — ich empsehle Dir den Herrn Neffen; er hat ja so noch einen Stein bei Dir im Brette," scherzte Marie. „Weißt Du, in Wien und Brünn, da sind sie auch nicht besser, aber man lernt sich wehren."
Das Konzert war aus, ein großer Theil der Gäste erhob sich, um den Heimweg anzutreten. Andere blieben sitzen, um noch länger die srische, seuchte Stromluft zu athmen.
Die Beiden sahen sich in die Augen, nickten sich zu und blieben — der Abend war gar zu bezaubernd. Sie sahen in das Gewühl der Aus- brechenden, schoben die Füße vor und lehnten sich bequemer zurück. Man hatte ja nun Platz auf einmal, man athmete freier. Sie hingen Beide eine Weile ihren Gedanken nach. In dem Herzen von Elisabeth war heute ein Durst nach Rache, welcher ihr sonst völlig fremd war, während Mariens leichtbeschwingte Phantasie in die Ferne schweifte.
„Weißt Du was?" Hub sie plötzlich an, „laß uns sortgehen von hier; die ganze Gesellschaft ist der Mühe nicht Werth . . . Wenn wir nach Paris führen, wo uns Niemand kennt, und erst das Leben einmal mit vollen Zügen genössen! — Sieh', Schatz, was haben wir denn eigentlich bisher gehabt vom Dasein? . . . Nichts wie Plackerei und Aerger, die Flügel waren uns bös verstutzt, wie jungen Raben, die das Plappern lernen, damit sie nicht fortfliegen.
— Nun ist das aus, — der Himmel hat ein Einsehen gehabt, er hat Dir einen hübschen goldenen Brocken herunter geworfen, — was plagst Du Dich also von Neuem? — Laß uns einen vernünftigen Entschluß fassen und vorerst die Freiheit einmal recht genießen, einen tüchtigen Flug machen durch die weite, schöne Welt!"
Elisabeth, das schöne Haupt in die Hand gestützt, hörte sinnend ihr zu; sie schien nachzudenken, die Verführung lag ja so nahe. Plötzlich aber schüttelte sie sanft mit dem Kopfe und sah zu Marien auf:
„Führe mich nicht in Versuchung," sprach sie lächelnd und drohte mit dem Finger. Dann richtete sie sich energischer ans und fuhr fort: „Aber in Einem hast Dn Recht, ich will mich nicht grämen und besorgen, weil es schlechte Menschen gibt und diese mir so nahe stehen. — Ich verfolge mein Ziel!
— Nur etliche Wochen noch und Dein Wunsch soll erfüllt werden. — Auch ich möchte fliegen!"
„Nun, das ist gescheidt! — Weißt Du, ich hatte schon Angst: früher warst Du immer die Lustige, Unternehmende — jetzt ist das umgeschlagen in's Gegentheil."
„Das machte die Verantwortung und die Sorge um die Zukunft."
„Verantwortung! — Wem bist Du eine solche schuldig? — Geh', verdirb mir den schönen Abend nicht. Weißt Dn, Lisel, ich bin heute so aufgelegt, ich wäre im Stande und machte noch einen recht dummen Streich."
„Was können arme Frauenzimmer wie wir beginnen? — kaum darf man es ja wagen, sich in's Freie zu scheu. — O, diese abscheulichen Männer!"
„Sag's nicht so laut, sonst kommt gleich wieder Einer gelaufen," warnte Marie mit einem fröhlichen Gesicht.
Sie standen auf, faßten sich unter und gingen Arm in Arm auf der Terrasse auf und nieder; dann, als sie bemerkten, daß es leerer wurde, bezahlten sie ihre Zeche und ließen sich vom Kellner ihren Wagen holen.
„Nach der Stadt!" befahl Marie. Sie wollte gern noch einen Umweg machen, sie, die Großstädterin, liebte es so sehr, durch die menschenerfüllten, von Gasflammen erhellten Straßen zu fahren. — Es war ein Glück, daß sie nicht den Namen ihres Hotels nannte, denn kaum zogen die Pferde an; als wie aus der Erde gewachsen drei Uniformen aus den: Dunkel austauchten. Offenbar hatte man den Glauben, eine leichte Eroberung Zn machen, noch nicht aufgegeben und ihnen aufgelanert.
Beide Mädchen bemerkten sie zu gleicher Zeit und erkannten sie wieder, wenigstens zwei von ihnen, den Husaren und den kleinen, grämlichen Reiteroffizier, nur der Dritte war ihnen unbekannt: ein großer, hübscher Mensch, mit aufgedrehtem Barte.
— Sie lächelten ein wenig belustigt, triumphirend, im Gefühl ihrer Sicherheit, aber sie lachten leider zu früh. Zu Fuß allerdings hätten diese auf Abenteuer erpichten Herren ihnen nicht Zu folgen vermocht, aber an der nächsten Ecke schon wartete ihrer ein Wagen und nun gab es eine Jagd.
Die Gesichter der beiden jungen Damen nahmen auf einmal einen ganz veränderten Ausdruck an; — was nun? . . . Wenn sie nach Haus fuhren. .. das war unmöglich . . . retteten sie sich in's Hotel, so erfuhr man ebenfalls, wer sie waren; das Mindeste war dann doch, daß Miß Herford ausziehen mußte, um allen Nachforschungen und Verfolgungen Zu entgehen. — Sie beriethen lebhaft hierüber mit halber Stimme, während die Offiziere hinter ihnen herfuhren.
„Wir fahren so lange die Kreuz und die Quer, bis sie es ausgeben," flüsterte Marie energisch.
„Um Gottes willen, sieh' Dich nicht um."
„Gewiß nicht. — Gib nur Acht, sie bekommen es satt."
„Wenn sie Zwei Stunden lang die Geduld hatten, ans uns zu warten, so fahren sie gewiß noch Zwei andere hinter uns her. — Das nützt uns nichts. Am besten ist's, wir fahren vor ein anderes Hotel."