Die Erbtante von I
John in seiner krebsrothen Livree erscheinen und mit der Karte verschwinden. Beinahe unmittelbar darauf trat statt seiner eine blühende, blonde junge Dame herein.
Sie erkannte den Doktor augenblicklich: in einem Handschuhladen hatten sie ihn neulich Morgens getroffen. Frauen haben Augen aus dem Rücken: sie hatte recht wohl bemerkt, daß der lange Herr mit dem klugen Gesicht ihnen nachsah. Auch der Doktor erkannte sie augenblicklich wieder; sein Gesicht bekundete ein erhöhtes Interesse und er erhob sich.
„Fräulein Marie Werner, gestatten Sie, daß ich Ihnen den Doktor Rudolph Arnstein vorstelle, unfern Vetter," sprach Karola förmlich, — „die Gesellschaftsdame der Tante Karoline."
„Wenn ich nicht irre, hatte ich schon einmal das Vergnügen, Sie zu sehen, mein Fräulein," Hub der Doktor an, „Sie waren in Begleitung einer andern jungen Dame in einem blauen Kleide und kauften Handschuhe."
Marie lächelte schalkhaft. Ei, ei! Der lange Herr wußte die Farbe des Kleides, welches Elisabeth getragen hatte? Das war ein großes Kompliment, das heißt für Jene — offenbar also galt das Nachsehen Jener und nicht ihr.
„Ganz recht, mein Herr, und ich meine, ich erinnere mich jetzt Ihrer auch — es war am Markt," versetzte Marie.
„Und jene jnnge Dame?"
Hier sah Marie dem Doktor zwar lächelnd noch, aber ansmerksam in die Augen.
„Eine Freundin von mir. — Wir gingen in Wien Zusammen in die Schule. — Doch entschuldigen Sie, Mrs. Macduff möchte Sie gern sehen, sie ist aber noch bei der Toilette. Verzeihen Sie, bitte, nur einige Minuten, ich eile ihr zu helfen."
Gleich darauf erschien sie strahlend und lachend vor Elisabeth. „Wahrhaftig, Lisel, wir haben eine Eroberung gemacht!" rief sie, in die Hände klatschend. „Du schaust kalt und ungläubig drein? — Dießmal eine moralische, einen großen, hübschen, praktischen Arzt, Doktor der Medizin — Deinen eigenen Vetter!"
„Was redest Du da für Zeug?" versetzte Elisabeth, welche eben Grau aus Wangen und Stirne auflegte.
„Noch besser — wenn ich ,wiw sage, so meine ich eigentlich Dich. Der Herr neulich früh im Handschuhladen, der große hübsche mit dem Vollbart, er wußte sogar die Farbe Deines Kleides noch — ein Doktor!" —
Elisabeth drehte sich herum.
„Der ist mein Vetter?" fragte sie ungläubig.
„Sitzt vorn im Salon. — Willst Du die Schminke nicht lieber abwischen und als Fräulein Wild Dich präsentiren?"
„Thorheiten, Schatz!"
Sie nahm den Schwarzstift und dann die Puderquaste.
„Komm', schau' mich an, ob Alles gut ist."
Sie sprach dann einige Worte zu Asta, welche alsbald die Vorhänge zusammenzog, so daß sich ein Dämmerlicht im Zimmer verbreitete.
Deutsche Roman-Bibliothek. LII. 18.
Hannes van Dewall. 737
„Alles in Ordnung," versetzte Marie nach kurzer Prüfung. „Aber willst Du ihn denn hier drin empfangen?"
„Hier — ja. Ein Doktor hat ja überall Zutritt, und hier bin ich sicherer vor seinen requirirenden Blicken, als im Salon."
In Eile wurde die Toilette beendet und aufgeräumt. Als alle Akteure bereit waren, wurde John entsandt, um den Vetter herein zu holen.
Mit einigem Erstaunen sah der Doktor die zum Theil fremdartige Einrichtung in den Zimmern, die er durchschritt, die Gewänder, welche hier und dort an einem Nagel hingen, und den braunen Ben, der sich mit der seiner Rasse eigenen Grandezza verbeugte, als er vorüberschritt. Im dritten Gemach empfing ihn Marie, im vierten endlich, im Dämmerlicht der Vorhänge erblickte er eine dicke, dunkle Masse, welche sich bewegte, und ein braunes, schlankes Hindumädchen, dessen dunkle Augensterne mit sanftem, aber ausdrucksvollem Schimmer auf ihn gerichtet waren.
,JV6leoms 1117 ellilä," sprach eine tiefe, etwas heisere Frauenstimme. Er sah im Dunkel zwischen allerhand seltsamen Verhüllungen zwei Augen rollen. „Ich bin Dein altes amw Karoline und Du bist der Sohn von meine Vetter Ernst, dem Schwestersohn meines verstorbenen Vaters."
„Der bin ich," sprach der Doktor und nahm auf einen Wink Mariens Platz, „ich komme hieher, um Ihnen meine Freude auszusprechen, daß Sie leben lind wohl sind und daß Sie in die alte Heimat zurückkehrten."
„Lebendig ja, aber wohl nicht, denn Du mußt wissen, das Klima da unten ist ein mörderisches und ich habe erduldet viele Strapazen, auf die Reisen mit mein Mann," versetzte die Alte dann kopfschüttelnd.
Der Doktor betrachtete mit Erstaunen und Be- sorgniß die dicke Maschine, die träge in den Kiffen lehnte; er unterschied einen Haufen Kleider und allerhand Umhüllungen, welche bei der herrschenden Hitze entschieden schädlich waren, auch roch es so eigen- thümlich nach Rum im Zimmer.
„Aber Du bist geworden ein hübscher, großer Jung'," fuhr die Tante fort, „Dir geht es gut?"
„Ich danke verbindlich, ich bin zufrieden. Ich habe Praxis und bin gottlob gesund."
„Das sein die Hauptschache," kaute die Alte durch die Zähne. Sie sah dabei den Doktor unverwandt an und überlegte im Stillen, wie sie sich ihm gegenüber benehmen sollte. Er war jedenfalls ein ernster, gescheidter Herr, dieser Vetter — man sah es ihm an — sie that deßhalb gut, sich zu menagiren.
Marv "
,Mrs. Macduff."
Sie flüsterte der jungen Dame etwas in's Ohr, woraus diese verschwand.
Elisabeth betrachtete ihr Gegenüber immer noch aufmerksam. Es war ersichtlich, daß sie Gefallen an demselben fand, und je langer, desto mehr. Der Doktor war aber auch ein Mann, der sich sehen lassen konnte, eine stattliche, sympathische Erscheinung. Sie fand ihn hübsch, und weil er klug und charaktervoll
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