Heft 
(1885) 31
Seite
739
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Die Erbtante von Johannes van AervaU.

Zweiundzwanzigstts Kapitel.

Der Abend kam und mit ihm die Gäste, Zuerst der Kommerzienrath und Helene, demnächst auch Doktor Rudolph.

Nichts Unbehaglicheres kann es geben, als eine solche ZusammenbeorderteGesellschaft naher Verwandter, die in Unfrieden mit einander leben und deren Wünsche und Interessen diametral anseinandergehen. Die von St.einsnrts, bis ans den Lieutenant, hielten sich stolz zurück, namentlich Egbert, während der Kommerzien­rath mit einem höhnischen, triumphirenden Gesicht gerade diesen häufig fixirte (er hatte den Artikel ge­lesen und gönnte ihm die Schande), wohinter sich allerdings sein Neid und sein Zorn nur schlecht ver­bargen; denn im Grunde hatte er eine große Angst, die Sippe dort drüben könnte sich in das Herz der Tante hineinintrigniren und ihm vor der Nase das Fett von der Suppe abschütten.

Da die Tante ihn trotz allen Austürmens nicht vorließ, bombardierte er sie mit Briefen, voll offener und versteckter Warnungen, guter, geschäftlicher Nath- schläge, Anerbietungen und dergleichen.

Jetzt unterhielt er sich lebhaft und überaus freund­lich mit dem Doktor, bloß um die Anderen zu ärgern, obgleich die Beiden sich nicht einmal grüßten aus der Straße und Jener ein sehr zurückhaltendes Wesen beobachtete.

Der Präsident war zerstreut und niedergeschlagen, das freute den Stiefbruder; den Schuldenmacher drückte wohl wieder irgendwo der Stiesel. Der ehemalige Diplomat sah gelangweilt und mißmuthig drein und Frida konnte ihre innere Unruhe kaum beherrschen. Dagegen thronte aus Karola's Stirn heute ausnahmsweise ein Schimmer von Heiterkeit. Machte das der Doktor? Die Herzen der Frauen sind ja wunderbar, unergründliche Räthsel. Aber war denn der Doktor nicht ihr Vetter und lebte jahrein jahraus in derselben Stadt mit ihr?

Der Präsident, einmal in die Nothwendigkeit ver­setzt, mit den Verhaßten zusammen zu sein, machte die Honneurs seines Hauses mit Würde und schien selbst das provozirende Benehmen seines Bruders nicht zu bemerken. Er bat Platz Zn nehmen, man reichte Thee. Aber erst mit dem Erscheinen Mariens kam ein anderer Hauch in diese Gesellschaft. Man wußte, daß die Gesellschafterin bei der Tante außer­ordentlich in Gunst stand, hatte selbst erfahren, daß Jene derselben ein ganzes Vermögen geschenkt hatte, dank der Indiskretion eines hiesigen Rechtsanwaltes, welcher die Schenkungsakte ausgenommen hatte. Sie war deßhalb eine Person von großer Wichtigkeit. Ein Jeder suchte ihre Gunst zu gewinnen und durch sie zur Tante zu gelangen; sie war außerdem hübsch und liebenswürdig. Der Diplomat blickte aus, als sie hereintrat, sein eingesunkenes Auge bekam einen Schimmer von Feuer und er begann alsbald in seiner Weise mit dem hübschen Mädchen zu kokettiren, sie anzuschmachten. Diese wandte sich aber nicht au ihn, sondern an Helene und demnächst an Egon, den sie bald in eine heitere Plauderei verstrickte.

Wo haben Sie denn Ihr schönes Pferd?" fragte sie ihn unter Anderem

Welches, mein Fräulein?" versetzte der Offizier.

Den Dagomar."

Er wunderte sich, daß sie den Namen kannte.

Den habe ich verkauft," sprach er und sie sah es ihm an, daß es ihm weh that.

Das ist schade; ich hatte so viel Freude daran, das schöne Thier zu sehen. Trennt man sich denn so leicht von einem solchen Freunde?"

Doch nicht, mein Fräulein, nur wenn man muß."

Sie sah ihn an, es klang verhaltener Schmerz und Bitterkeit aus diesen Worten heraus, das gab ihr zu denken.

Sie wandte sich dann an den Doktor und be­freite diesen von dein wenig beliebten Onkel.

Sie müssen Mrs. Macduff noch ein wenig ent­schuldigen," sprach sie zu ihm,sie ist ein wenig übler Laune heute und ihre Korpulenz macht sie schwer­fällig. Sie ist noch beim Ankleiden."

Auch diesen verwickelte sie schnell in ein heiteres Gespräch.

Dem Assessor schien es, daß die junge Dame tausend Reize dabei entwickelte. Sie war heute mit ganz besonderem Geschmack gekleidet, ihr rosiges Ge­sicht war belebter noch als sonst, und ihre dunkel­blauen, großen Augensterne sprachen beredt. Dabei hatte sie eine so graziös-üppige Figur und so hübsche Bewegungen ... es war ein Skandal, daß Fräulein Werner alle Anderen berücksichtigte, nur ihn nicht. Aber man kennt diese Art weiblicher Koketterie. . . Wie beim Scheine der Lampen die Solitäre in ihren rosigen Ohrläppchen blitzten!.. . Wetter! zum min­desten hunderttausend Thaler sollte sie besitzen .. . das war ein schönes Geld! Sie war zwar nur ein Fräulein Werner, eine Art von Bonne oder Gouvernante, aber ihr Vater war Offizier gewesen und sie selbst eine gute Partie.

Er wandte sich zu Karola und begann leise mit dieser zu sprechen, ohne Marie mit den Augen zu verlassen. Die Schwester sah plötzlich ungläubig, bei­nahe erschrocken zu ihm aus und machte eine schnelle Erwiederung. Dann blickte sie nachdenklich ans Marie, als erwäge sie etwas, und begann von Neuem leise und eifrig zu sprechen.

Frida maulte in einer Ecke, der Lieutenant hatte sich Helene genähert. Nun kam der Thee. Marie bat dringend, ohne die Tante zu beginnen; in Folge dessen nahm man Platz. Als die Ungemüthlichkeit ihren höchsten Grad erreicht hatte, erschien John in Livree und hoher Binde und meldete:Lady Karolitte Macduff."

Die dicke Masse schwankte herein, auf Ben und Asta gestützt, scheuchte die lieben Verwandten, welche sich herandrängten, mit einer Handbewegung und einem Kopsschütteln zurück, verbeugte sich und nahm dann schwerfällig, mit einem Stöhnen in einem Sopha Platz, in einem der entferntesten Winkel des Saales.

Sie ist ein wenig unpäßlich lassen Sie sie," flüsterte Marie den Anderen zu.

Alle waren aufgesprungen; der Lieutenant stand zufällig neben dein Doktor.

Fabelhast!" sprach er mit einem Blick aus die Goldtante.