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Deutsche Noman-Bibliothek.
Marie vernahm das Wort und unterdrückte nur mühsam ein Lächeln. Der Doktor schüttelte den Kopf, der Aufzug der alten Dame war heute noch grotesker wie sonst. Ihre Gewänder schimmerten, die bunt gewirkte, glatte Seide glänzte wie eine Schlangenhaut; wo ein Lichtschein sie traf, spielten sie in allen Farben des Regenbogens. An ihrem umfangreichen Gürtel hingen Fächer und Tasche, ihre behandschuhten Hände hielten Dose und Tuch und an ihrem Turban prangten Juwelen und Federn.
Offenbar hatte sich die Tante des Familienabends wegen so kostbar geschmückt, vielleicht war es nur Rücksicht, vielleicht aber wünschte sie auch zu im- poniren. Dazu kam, daß ihr braunrothes Gesicht hinter den weißen Tüchern und Schleiern, welche wie gewöhnlich den unteren Theil ihres Gesichts verhüllten, schier unheimlich aussah, — man konnte sich vor ihr fürchten.
„Ich bitte, laßt euch nicht stören," sprach sie dumpf, „ich fühle mich heute nicht ganz wohl; die schwere Lust... uff!. .. Ich hoffe, ihr unterhaltet euch gut. Nehmt Alle Platz . . . John! ... Zit ms lli'Lnclv anä evatsr."
Mit Erstaunen sah der Doktor, wie John ein Glas mit einer gelben Flüssigkeit hereintrug, welches die alte Dame mit Zwei großen Zügen leerte.
„So macht sie es immer," flüsterte ihm der Lieutenant zu.
„Helene, mein Kind . . . setz' Dich her Zn mir," kommandirte die Tante.
Helene nahm ihren Stuhl und trug ihn zu dem Sopha, der Lieutenant bemerkte dieß kaum, als er aufsprang und ihr behülslich war.
„So," sagte die Tante, ihn mit großen Augen ansehend, „Du bist galant, das kleidet einen jungen Mann sehr gut, besonders einen Offizier. Mein Mann war auch galant, sehr galant... zu galant!"
Sie begann alsbald mit der Gesprächigkeit des Alters eine lange Geschichte dem Lieutenant und Helenen zu erzählen von ihrem Kapitän, die manchmal ein wenig seltsam klang. Von den klebrigen, da Niemand sich Zn nähern wagte, hörten nur die Zunächstsitzenden etwas von derselben, die anderen von Steinsurt begannen in Folge dessen mit leiser Stimme unter sich zu sprechen, während der stämmige Kommerzienrath, stolz über die Ehre, die die Tante seiner Tochter anthat, trimnphirend dasaß, mit dem Theelöffel spielte und unverwandt dort hinübersah.
Jene Geschichte begab sich in Afghanistan, und wilde Thiere und Reitdromedare spielten darin eine große Rolle. — Der Kapitän, damals noch ein lediger Mann, hatte eine Gesellschaft vornehmer Engländer begleitet, Herren und Damen, worunter eine herrliche, dunkeläugige Miß, und alle Minen springen lassen, um deren Herz zu gewinnen.
Die Geschichte klang an einigen Stellen so fabelhaft, daß der Lieutenant nicht umhin konnte, die Tante im Stillen der Uebertreibung anzuklagen. „Sie schnurrt," dachte er und sah dann Helene von der Seite an, welche mit großen, glänzenden Augen Zuhörte.
Der Assessor saß Marie Werner gegenüber, welche mit einer kleinen Arbeit beschäftigt war. Er be
wunderte deren kleine Hände, mit den feinen, zugespitzten, rosigen Nägeln, das reiche blonde Haar und den hübschen, von Grübchen umgebenen Mund, welche dort ein unbewußtes, neckisches Spiel trieben.
„Auf Ehre, sie ist reizend!" sagte er sich und fand alle Augenblicke neue Vorzüge dazu, Zum Beispiel ihren Augenaufschlag, wenn sie langsam ab und zu die schweren Wimpern hob, welche bläuliche Schatten auf ihre frischen Wangen warfen, und nun das dunkle, glänzende Augenpaar mit einem Ausdrucke von Sanstmuth und Schelmerei auf ihre Umgebung richtete, um gleich daraus hinter jenen Wimpern sich wieder zu verstecken.
Er fühlte wahrhaftig ein lebhafteres Gefühl unter der Weste — oder bildete er sich das nur ein? — Weßhalb denn einbilden? — War die Gesellschafterin nichteine wirklich reizende Erscheinung? Er brauchte ja nur seine Schwester mit derselben zu vergleichen — wahre Fratzen, Vogelscheuchen nach seiner Meinung! — Er verglich sie dann auch noch im Geiste mit verschiedeneil anderen Damen seiner Bekanntschaft und sie dünkte ihn reizender, verlockender und pikanter wie jene. — Beim Zeus! sie war eine Schönheit, vermögend außerdem und der Liebling der Tante.
Er dachte dann an seine Lage: im Grunde ging es ihm doch schauderös! .. . Ein Alaun mit seinen Gaben und Vorzügen in solcher pitoyablen Situation; mit seinem Vater ewig im Kampf, der im Grunde ihn haßte wegen seines genialen Lebenswandels, bei seinen Oberen schlecht angeschrieben, lauter Esel und Pedanten! . .. Ein armer Teufel war er, der sich nothdürftig durch das Spiel und allerhand andere Kunststücke über Wasser hielt und der, seit die Gläubiger Wind bekommen hatten von der Ankunft der reichen Tante, keinen Augenblick inehr Ruhe hatte. Konnte er der ganzen Misere nicht mit einem Male ein Ende machen — wenn er heirathete?
Er blickte auf und heftete sein Auge abermals aus Marie. Er studirte sie, kritisch, skeptisch; — aber wahrhaftig, an dem Mädchen war äußerlich kein Mangel, Alles war hübsch, niedlich, frisch und reizend. Karola lobte obendrein ihren Charakter. Marie blickte auf und sah sein forschendes Auge aus sich gerichtet; sogleich begannen die Grübchen uni Mund und Kinn zu kommen und zu verschwinden, ein überaus reizendes Spiel. Sie guckte zur Seite, sprach einige Worte mit dem Kommerzienrath und wurde etwas roth. Er sah das sanfte Inkarnat heraussteigen, der weiße, volle Hals, Kinn, Wangen und selbst die kleinen Ohren mit den Brillanten wurden nach einander von demselben überzogen. — Sein Herz fühlte eine gewisse Erregung, — er hatte Eindruck gemacht. Seine Eitelkeit feierte einen Triumph. Er hob die schmale Rechte, mit den langen, gepflegten Nägeln kokett zum Bart empor und kräuselte die mageren Spitzen desselben.
Er hatte keine Ahnung davon, wie lächerlich und widerwärtig er dem Gegenstand seiner Huld vorkam und wie derselbe sich im Stillen über ihn lustig machte, und das um so mehr, als er nun begann geistreich zu werden, Karola und Frida allerhand Bemerkungen und kleine Geschichten znznflüstern, welche