Die Erbtante von Johannes van Vervatt.
741
sämmtlich vorherrschend an Mariens Adresse gerichtet waren.
Diese hatte, wie erwähnt, schon früher bemerkt, daß der junge Herr einen Anlauf nahm, ihr zu gefallen, heute nun war die Absicht eine so bestimmte, daß Marie ein wenig darüber erschrak. Sie hätte nichts gegen eine kleine Courmacherei in allen Ehren gehabt, zum Beispiel mit dem Lieutenant, aber der dachte an Helene, oder mit dem ernsten langen Herrn da, dem Doktor, doch der sprach von blauen Kleidern und erkundigte sich nach ihrer Freundin, der Assessor aber war ihr geradezu widerlich und sie kannte die Gemeinheit seiner Gesinnung; sie verabscheute ihn gründlich und fürchtete den fatalen Menschen. Sie nahm deßhalb von demselben und seinen Manövern nicht die geringste Notiz, dagegen reifte in ihrem kleinen Kopfe mehr und mehr jener andere Plan, — der nämlich, ihn grundaufsitzen zu lassen, wie die Wiener sagen, Zur Strafe für viele Sünden.
Mittlerweile setzte dort drüben die Tante Helenen mit allerhand, oft recht indiskreten Fragen zu, welche Zn beantworten dem schüchternen, wohlerzogenen Mädchen noch schwerer wurde durch die Gegenwart des Vetters. Dann plötzlich wandte sie sich an diesen:
„Warum hast Du verkauft Dein schönes schwarz- braunes Pferd?" fragte sie diesen.
Den Lieutenant wunderte es, diese Frage schon wieder zu hören.
„Weil ich mußte, liebe Tante," versetzte er finster.
„Mußte? ... Es war ein so schönes Pferd, ich sah es mit Freuden."
Der Lieutenant sah vor sich auf die Erde und antwortete nicht, wohl aber bemerkte er, wie Helene ihn anblickte, denn man fühlt manche Blicke, ohne sie zu sehen. Mitleid und Sorge lagen in den Zügen so deutlich und verrätherisch ausgeprägt, daß selbst die alte Tante sie gewahr wurde.
„Was sagst Du dazu, mein Kind?" fragte sie plötzlich Helenen, „nicht wahr, solch' eine schöne Pferd?"
Helene erröthete und fand nicht sogleich eine Antwort.
Die Tante guckte Einen nach dem Andern an. — Ach, wie gut ahnte sie das Opfer, welches der Sohn gebracht hatte! Ihr kam ein großmüthiger Gedanke.
„Komm'," sprach sie plötzlich, „gib mir Deinen Arm, mein Sohn, Du bist stark, und Du, mein Kind, komm' mit uns."
Mit Verwunderung sahen die Anderen die Tante mit den Beiden in den Gemächern verschwinden, welche außer dem Doktor sonst noch kein Fuß betreten hatte.
Drinnen blieb die Alte stehen, keuchte, nahm eine Prise Tabak und sprach in einem traulichen Flüsterton:
„Hast gewiß Geld gebraucht — Schulden gemacht? he! ... Kannst mir's sagen, ich weiß, daß ihr Mannsleute alle nichts taugt..."
„Nein, Tante, — die habe ich nicht gemacht — wenigstens..."
„Will Dir was sagen — mein Kapitän hat als junger Mensch auch locker gelebt, aber das gibt sich mit den Jahren — werden meistens Alle solide. — Ich
hatte meine Freude an den schönen Thieren und nun hast Du in der Zeit schon zwei davon verkauft."
„Ja — leider, Tante."
„Ich aber sehe gern schöne, englische Pferde. — O, ich war früher selbst eine große Reiterin, auf Dromedaren, Elephanten und Pferden, am liebsten auf rae6N8 . . . wie der Wind!"
Der Lieutenant und selbst die verständige Helene verbissen sich kaum ein Lächeln: diese Maschine da aus einem Rennpferde, der Gedanke war aber auch gar zu absurd.
„Jetzt ich nicht mehr reiten kann, aber ich sehe gern schöne Thiere. Sehr bös bin ich, daß sie fort sind, die schönsten gerade. — Wuill haben zu sehen wieder englische Rassepferde, so schön wie möglich. — Wuill ich Dir schenken zwei, weil Du bist ein schmucker Junge und gefällst mir."
Der Offizier schnitt ein ganz besonderes, un- definirbares Gesicht, freudiger Schreck und Widerwillen stritten in seiner Seele. Helene horchte und sah mit verhaltenem Athen: ihn an.
„Du bist sehr gütig!" sprach der Neffe, aber freudig kamen die Worte gerade nicht heraus, trotzdem er ermaß, welches Glück sich ihm hier bot und trotzdem er ein leidenschaftlicher Reiter war.
„O nix da! — alte Leute sind egoistisch! Wuill haben meinen Spaß und Du sollst haben den Deinen, nicht wahr, Kleine?"
„Ja, liebe Tante," sprach Helene fest und gab ihrem Geliebten heimlich einen sanften Stoß. „So nimm doch!" sprach dieselbe. Sie kannte ja nur zu gut seine Lage und wußte, wie schwer er sich von Dagomar getrennt hatte.
„Liebe Tante, — das ist aber eine theure Geschichte," Hub der Lieutenant also gezwungen an.
„Theuer? — wnas heißt theuer?" rief Jene aufschauend.
„Rennpferde kosten viel, viel Geld, liebe Tante, will Egon damit sagen."
„Macht nichts!... bescheiden sein ist gut, aber nicht zu sehr, meine Kinder. Ich bin eure Tante. Will Dir 'mal gern eine Freude machen. — Befehle Dir also, Du gehst hin und kaufst Dir die beiden besten raesrs, wo Du kannst haben hier, und ich bezahle sie — kosten sie was sie wollen. Ist tausend Pfund Sterling ausreichend? — sonst sage zweitausend, mein Sohn."
Sie sah ihn lebhaft erröthen. Plötzlich nahm er ihre Hand und führte sie an seine Lippen.
„Du bist wirklich sehr gut, liebe Tante. Ich danke Dir, ich werde aber Deine Güte nicht mißbrauchen."
Er wunderte sich, welch' eine zierliche kleine Hand in dem Handschuh stak.
„Wirst sie nur mißbrauchen, wenn Du nicht bringst die schönsten Pferde, wo Du kriegen kannst," versetzte die Tante nachdrücklich und zog ihn leise am Ohrläppchen, „wuill sehr schöne, sehr schöne Pferde!"
Egon sah Helenens glänzende Augen, wie gern hätte auch sie der Tante gedankt! Welch' eine schwere Sorge wälzte sich von ihrem Herzen, aber wie konnte sie es thun, ohne sich zu verrathen?
Die Tante watschelte hinaus und ließ sie allein.