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Deutsche Noman-Sibliothek.
Als die Thüre sich schloß, lagen sie sich in den Armen, ohne Zn ahnen, daß zwei kluge Mädchen- angen aus einem dunklen Winkel Zeuge dieses Ergusses ihrer Zärtlichkeit wurden.
Gleich daraus kam die Alte wieder herein und steckte Egon ein Päckchen Zu.
„Na, Tante, wenn Dn befiehlst," sprach Jener es einsteckend, „dann gehorche ich — dann sollst Du Deinen Willen haben."
„Recht so! — Und nun laßt uns wieder zu den Anderen gehen. Kein Wort davon! — Euren Arm, liebe Kinder."
Als die Tante Zurückkehrte, waren alle Augen aus sie und die Beiden gerichtet, voll Neugierde oder Neid. Diese rief sich den Doktor heran und begann mit diesem ein Examen.
„Ich habe mir sagen lassen, Du bist ein großer Arzt," begann sie, ihm fest in die Augen sehend.
Der Doktor konnte seinen Widerwillen gegen die indische Tante nicht los werden. Man kann weit her kommen und alt sein, braucht sich aber deßhalb nicht lächerlich Zn machen. Und dann der Tabak und der Grog und die rauhe Stimme und die Schminke, denn auch diese bemerkte sein scharfes Auge, trotzdem die Tante wohlweislich im Schatten saß.
„In Bezug auf das Maß meines Körpers — ja," versetzte er ernsthaft.
Es machte Elisabeth ein eigenthümliches Vergnügen, den großen, gesetzten Mann unter dem Schutze ihrer Verhüllung ein wenig zu peinigen.
„Deine Mutter, meine liebe Cousine Jenny, war eine sehr schöne Frau. — Ich finde, daß Dn ihr ähnlich siehst," sprach sie trocken.
Er zog ein wenig die Brauen zusammen und erwiederte:
„Das freut mich, Tante."
„Wie alt bist Dn?"
„ Zweiunddreißig Jahre."
„Und bist noch ohne Frau? — Hat Dein Herz niemals Feuer gefangen für die Ladies?"
„Bis jetzt noch nicht."
„Wuonderbar!"
„Ich finde dabei nichts Erstaunliches: ein Arzt' sieht die Frauen mit anderen Augen an, als andere Leute. Außerdem, ich hatte niemals Zeit, an so etwas zu denken."
Wie Marie und Karola herüberschauten, als er dieß mit seiner sonoren Stimme ruhig, fast geschäftsmäßig erwiederte.
„Ich wuill Dir was sagen: wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang, spricht der Dichter."
„Danke, liebe Tante."
„Und ich wuill Dir noch etwas sagen, ich wuill Dich zu meinem Hausdoktor machen."
„Darauf muß ich leider verzichten."
„Wie? ... Ich bezahle Dich gut!"
„Davon ist nicht die Rede; aber Sie sind eine alte Dame und ich finde es daher, verzeihen Sie mir, passender, wenn Sie sich einen älteren Mann zu Ihrem Hausarzt wählen."
„ViMl!... das ist stark!" ries die Tante entrüstet, während die Anderen erschrocken herübersahen.
„Ich würde Ihnen vor allen Dingen eine dem hiesigen Klima angemessene Kleidung verordnen und den Genuß aller Stimulationen verbieten, das würde Ihnen vielleicht nicht genehm sein."
„Ganz gewiß nicht, Du großer Unhold."
Hier fing der Doktor herzlich an zu lachen, erhob sich und setzte sich zu Marie, um mit einer gewissen Hartnäckigkeit auf's Neue von ihrer Freundin mit dem blauen Kleide zu sprechen.
„Herr Doktor, Herr Doktor! — ich glaube gar, meine Freundin hat Eindruck ans Sie gemacht, trotz dessen, was Sie soeben Mrs. Macduff sagten!" neckte ihn diese.
„Warum soll ich das leugnen?" versetzte er srei- müthig, „es ist ein Gesicht, was man so leicht nicht wieder vergißt."
„Ich danke Ihnen im Namen Elise Wild's. — Natürlich wird sich dieselbe unendlich geschmeichelt fühlen, wenn ich ihr das mittheile."
„Bitte, thnn Sie das nicht," unterbrach er sie ruhig, „aber thnn Sie etwas Besseres, geben Sie mir die Gelegenheit, sie zu sehen."
„Herr Doktor! — was denken Sie von mir?" versetzte die Schalkhafte, sich ganz in ihre weibliche Würde hüllend, dann aber plötzlich strahlte sie ihn offen und heiter an aus ihren schönen Augen, — der Assessor wurde ordentlich grün vor Zorn, — und sprach:
„Nun, — am Ende thne ich damit ja nichts Unrechtes. Aber wie und wo sollen wir Ihnen begegnen?"
„Ich bin ein stetiger Besucher des Theaters," versetzte der Doktor eifrig, mit einem dankbaren Blicke, „vielleicht..."
„Und auf welchem Platze pflegen Sie zu sitzen?" unterbrach sie ihn.
„Parketplatz links, die dritte Reihe, hart am Eingang."
„Herr Doktor, — ich werde thun, was in meinen Kräften steht — aber ich wasche meine Hände in Unschuld."
„Ihre Freundin ist doch ledig?" fragte der Doktor- erschrocken.
„Durchaus!" versicherte Marie mit einer kleinen Verbeugung und die Hand auf's Herz legend.
„Meinen Dank.. ."-
Hier unterbrach der Tante Stimme das leise geführte Gespräch. Dieselbe hatte sich erhoben — wie sich herausstellte Zu einem Speech und zu einem höchst sonderbaren noch dazu.
„Liebe Freunde und Verwandte," sprach sie mit seltsamen Kopsbewegungen, „ich bin müde und wuill zu Bett. Vorher aber möchte ich noch richten an euch einige Wuorte. . . Ich habe vergessen allen Kummer und früheres Unrecht und bin gekommen als eine einsame Frau zu euch, ohne Arg. — Nur: aber finde ich meinen nächsten Verwandten in Streit und Uneinigkeit, was mir macht großen Kummer und viel Sorge. Denn wuenn ich nun sterben sollte, so wäre mein Geld ein neuer Grund zu Feindschaft und thäte nur Böses, nichts Gutes. Das betrüben mir sehr! — Ich möchte euch deßhalb ermahnen, fortan in Frieden zu leben, als gute Verwandte,