Heft 
(1885) 32
Seite
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Graf Petöfy von Theodor Fontane.

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doch zugleich auch mit vielem Takt und ohne seiner Stellung etwas zu vergeben, zu behandeln wußte. Franziska zog oft Parallelen zwischen diesem Ton und dem, der ihr noch aus dem elterlichen Hanse her erinnerlich war, ein Ton, der trotz etwas per­sönlich Freiem im Auftreten ihres Vaters in Gegen­wart von Amtsbrüdern immer etwas schwerfällig Wichtigtuerisches und, was das Schlimmste war, auch etwas Salbungsvolles gehabt hatte.

Neben dem kleinen Geistlichen war es besonders der alte Toldy, zu dem sie sich mehr und mehr hin­gezogen fühlte. Beinahe täglich besuchte sie sein kleines, hinter einer Weinlaube verstecktes Wohnhaus, die Gärtnerei", darin seit einem Jahre die Mutter fehlte, kümmerte sich um die jüngeren Kinder und half dem Hauswesen auf, das etwas im Argen lag. Traf sie den Alten selbst, so wurde sie nicht müde, sich aus seiner Honvedzeit und von den Helden- kämpsen des Jahres 1849 erzählen zu lassen und dabei ruhig hinzunehmen, daß jede dieser Erzählungen mit einer Mut ungrischer Verwünschungen endigte. Nur einmal unterbrach sie diesen Redestrom, um ihm wie damals in der Bildergalerie begreiflich zu machen, in Ungarn wären sie Patrioten, in Wien aber Ver- räther gewesen, und auf Verrätherei stünde der Tod überall in der Welt, Auseinandersetzungen, die für ihn natürlich ohne Beweiskraft und durchaus in den Wind gesprochen waren.Ungar liebt Vatterland, und wer liebt Vatterland, ist Held." Und gleich darnach wie zur Bekräftigung dieses Satzes war er in's Rezitiren gekommen und hatte sein Leib- und Lieblingslied angestimmt:Es stehen Sieben vor Arads Thor."

Solcher Lieder ans der Revolutionszeit kannte Toldy sehr viele, daneben aber auch alte Lieder, die schon im Volksmnnde lebendig waren, als von Schloß Arpa, dem neuen Schloß Arpa, noch kein Stein auf dem andern stand. Ja, seines neunundvierziger Enthusiasmus unbeschadet, hielt er an diesem uralten Liederschätze fast noch fester als an dem neuen, und tagtäglich, wenn er in der Mittags- oder Abendstunde nach Hause kam und sich's unter der Laube bequem gemacht hatte, ließ er seine Kinder diese volksthüm- lichen Weisen singen und begleitete den Gesang der­selben ans der Geige. Denn er war, wie schon der Graf, als er mit Franziska das Programm entwarf, in aller Kürze bemerkt hatte, ein vorzüglicher Geiger und stand in dieser seiner Kunst nur um ein Geringes hinter dem unten im Dorfe wohnenden Zigeunerkönig Hanka zurück.

Einmal traf es sich, daß Franziska hinzukam, als die Kinder so mehrstimmig sangen, und wie ge­fangen genommen von der einschmeichelnden und zu­gleich doch so schwermüthigen Melodie, blieb sie hinter einer Buchsbaumhecke stehen und horchte, bis der Gesang zu Ende war. Nun erst gab sie ihren Versteck­platz aus und schritt auf das Gärtnerhaus Zn, vor dem im Halbschatten der nach vorne hin offenen Weinlaube die zwei ältesten und zwei jüngeren Töchter Toldy's saßen, jene mit dem Ausziehen von Paprika­schoten, diese mit dem Aushöhlen kleiner Kürbisse beschäftigt. Toldy selbst hielt noch die Geige in der Hand. Alles erhob sich, als man die Gräfin kommen

sah, und die beiden jüngeren Kinder, die Franziska's Lieblinge waren, eilten ihr entgegen, um ihr das Kleid zu küssen.

Ich habe Zugehört, Toldy. Das war ja wunder­schön, aber so traurig. Ist es wirklich so traurig, oder habt ihr es nur so gesungen?"

Ist traurig, Gräfin."

Und was ist es denn?"

Ist Lied von Barcsai."

Barcsai? Wer war das? Ein berühmter

Räuber? Oder auch piff, paff?"

Nix piff, paff. Barcsai Freund."

Freund? Von wem?"

Aber Toldy schwieg nur und fuhr mit dem Zeige­finger wie zum Stoß durch die Luft, augenscheinlich um auszudrücken, daß Barcsai erstochen worden sei.

Erstochen? Wer hat ihn erstochen?"

Graf."

Welcher Graf?"

Graf... Nix Name."

Franziska lachte.Der arme Graf. Da hat Barcsai mehr Glück gehabt, der hat doch wenigstens einen Namen. Aber weißt Du wohl, Toldy, daß ich das Lied haben möchte."

Sie sprach das so hin und war deßhalb einiger­maßen überrascht, eine Minute später den alten Toldy, der das bloß hingeworfene Wort als einen Befehl genommen hatte, mit einem mittlerweile hervor- gesnchten Blatt erscheinen zu sehen.

Ist Barcsai."

Sie nahm das Blatt und sah, daß es ein echter Jahrmarktsdruckbogen war mit einem noch viel echteren Jahrmarktsbilde daraus: eine mit Strohkränzen um­wickelte Frau, schon ganz in Flammen stehend.

Franziska fuhr zusammen. Aber ihre Neugier überwog doch, und so sagte sie:Habe Dank, Toldy. Morgen schaff' ich's Dir zurück oder bring' es selbst. Ich will es nur übersetzen und dem Herrn Curatus vorlegen, bei dem ich ungrisch lerne. Du weißt doch davon?"

Und damit erhob sie sich und kehrte durch den Park in's Schloß zurück.

Es lag ihr wirklich daran, den kleinen Geist­lichen in Verwunderung zu setzen, und rasch erkennend, daß ihr wenigstens der Anfang der Ballade, der aus lauter Alltagsworten bestand, nirgends Schwierig­keiten machen würde, setzte sie sich an ihren Schreib­tisch und schrieb, ohne daß sie das Wörterbuch zu Rathe gezogen hätte:

.Vater, Vater, lieber, guter Vater,

Meine liebe Mutter liebt Barcsai?

.Hörst du, Weib, was unser Kind da plaudert?'

,Hör' wohl, was es plaudert, liebster Gatte.

Thöricht ist es. Weiß nicht, was es redet?

Und er eilt von hinnen, fort auf Tolna,

Ging die Hälfte Weges, kam dann wieder.

.Oeffne, Weib, die Thüre, öffne, Gattin!'

,Ja, ich öffne, öffne schon, mein Gatte,

Laß den Nock nur um den Leib mich werfen,

Laß die Linnenschürze nur mich umthun,

Laß die rothen Stiefel nur mich anzieh'n?

Aber Jener sprengte schon die Thllre."