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Deutsche Noman-Sibtiothek.
Hier legte Franziska die Feder nieder und überflog das Wenige, was noch folgte. Wo das sprachliche Verständniß einen Augenblick versagte, half ihr das Bild nur zu gut nach, und so wußte sie zum Schluß, daß das unglückselige Weib, „weil es den Barcsai geliebt", bei einem durch den Gatten veranstalteten Rachegastmahl diesem und seinen Gästen als brennende Fackel gedient hatte.
Sie schob entsetzt das Blatt beiseite.
In diesem Augenblick aber meldete der alte Czagy, daß der Graf die Frau Gräfin zum Thee bitten lasse. Sie ließ ihm ihr Erscheinen zurücksagen, und als sie sich gleich darnach in einem kurzen Gespräche mit Hannah wieder gesammelt hatte, kam ihr plötzlich der Einfall, ob 'es sich nicht empfehlen würde, das ganze Vorkommniß in's Scherzhafte zu ziehen und dem Grafen eine humoristische Szene daraus zu machen. Wirklich, es war ein vorzüglicher Stoff, aber sie fühlte doch allzu deutlich, daß es mißglücken werde. So gab sie denn den Plan wieder auf und begnügte sich damit, bei der Theeplauderei von Toldy zu sprechen und von der kleinen Marischka, die mit jedem Tage reizender und drolliger werde.
Zwanzigstes Kapitel.
Der Curatus, der am andern Vormittage wie gewöhnlich zum Unterricht kam, war mit der Ueber- tragung Zufrieden und erheiterte sich an Franziska's Entsetzen über den Inhalt der Ballade. Dabei nahm er zugleich Veranlassung, den Literarhistoriker zu spielen, Barcsai sei Lieblingsballade von alter Zeit her und seinem Stoffe nach nicht schrecklicher als andere. Das sei nun 'mal Balladenrecht, wenigstens in Ungarn. Es gäbe kaum ein altes Volkslied, darin nicht Verrath und Untreue vorkämen, denn das Lied spiegle das Leben. Allerdings verlange das Volksgefühl hinterher auch Sühne, ja, sei dabei ziemlich streng und gestatte meist nur die Wahl zwischen Eingemauert- und Angezündetwerden. Aber das Letztere werde bevorzugt, weil es bunter und lebendiger sei.
So ging das Geplauder, und alle Schrecknisse der Barcsaiballade waren aus ihrer Seele weggescherzt, als der Graf sie gleich nach Ablauf der Unterrichtsstunde zur Spazierfahrt abholte.
Diese Spazierfahrten, die meist in die Berge hinein, aber auch wohl um die nördlichen Bnchtungen des Sees gingen, blieben Franziska's besondere Freude, was nicht überraschen durfte. Der Graf war auf diesen Fahrten am gesprächigsten und plauderte dann viel von seinen Kinder- und Jugendjahren, von seiner geschwisterlichen Liebe zu Gräfin Judith und wie schön und reizend sie gewesen sei, bis endlich der alte Gundolskirchen, ein hausbackener Steyermärker, einer von Denen, die mit Reiterstiefeln zur Welt kommen, au die Stelle der ihr angeborenen magyarischen Grazie die deutsche Würde vulgo Schwerfälligkeit gesetzt habe, den Rest habe dann die Kirche gethan.
Allemal, wenn das Gespräch diese Richtung nahm, nahm Franziska wahr, daß es dem Grafen in der Neigung lag, über die kirchlich und zugleich schwerfälligdeutsch gewordene Schwester Judith in einen
spöttischen Ton zu verfallen, aber ebensowenig entging ihr, daß es diesem spöttischen Ton an Unbefangenheit gebrach. So viel er sich dagegen sträuben mochte, die Schwester hatte doch das, was ihm fehlte: Klarheit und Einheit. Sie war jede Stunde dieselbe, während er auf jedem Gebiete schwankte. Selbst sein prononcirt ungrischer Patriotismus, so voll und ehrlich er war, war doch schließlich nicht ganz das, wofür er ihn ausgab, und so kamen ihm selbst zum Trotz immer wieder Stunden, in denen er empfand, ohne Hof und Hauptstadt eigentlich nicht existiren zu können. Es ging eben ein Bruch durch sein Leben und seine Denkweise.
Wochen vergingen. Eine besondere Freude war ihm die Vorliebe, mit der Franziska ihren Studien oblag, und nur ein Schatten lagerte sich über diese glückliche Zeit: allerlei Herrenbesuch aus der Nachbarschaft kam, oft mehr, als lieb und bequem war, aber die Damen blieben aus und ließen mit jedem Tage deutlicher erkennen, daß man die Mesalliance betonen wolle. Der Graf ärgerte sich heftig und begann den Besuchern, ja selbst Szabo gegenüber, eine große Kühle zu zeigen, und ließ sich dann im Gespräche mit Franziska, wenn der Besuch endlich fort war, bis zu Bitterkeiten und Drohungen Hinreißen. Er sei nicht gewohnt, einen solchen Affront zu dulden; ob man ihn etwa zwingen wolle, sich an die Revision der ungrischen Stammbäume zu machen? Er habe lange genug gelebt, um das Wunderbarste darüber berichten zu können. In dieser erregten Sprache ging es weiter. Aber so heftig er war, so wurd' es doch schließlich Franziska nie schwer, die Zoruesfalte wieder wegzudisputiren. „Laß, Petöfy, Du zwingst mich sonst, Dir einen Cursus über vornehme Welt zu halten! Ich will Dir erzählen, wie's kommt. Eines Tages sind wir in Pest, und ein Erzherzog oder vielleicht die Kaiserin selbst ladet uns in ihre Cirkel. Andrassy reicht mir den Arm, und Prinzessin-Gisela geht eine Viertelstunde lang in irgend einem Poetensteig oder noch besser auf einer freien Parkwiese, wo wir hundert Zuschauer haben, mit mir spazieren. Sieh', ich biete jede Wette, den andern Vormittag weiß ich mich vor Besuch, auch vor Damenbesuch, nicht mehr zu retten."
Es war eines Morgens im September, als dieß Gespräch geführt wurde. Franziska zog sich gleich darnach in ihre Zimmer zurück und klingelte nach Josephinen. Diese war meistens guter Laune, hatte Neuigkeiten und erhielt jeden Tag einen langen und Zärtlichen Brief von ihrem Wiener Bräutigam, was sie freilich nicht hinderte, sich von dem halben Schloß Arpa den Hof machen zu lassen. Dieses beständige Kokettiren, und noch dazu nach allen Seiten hin, berührte Franziska wenig angenehm, aber der Wiener Brief und die Lust und Ungenirtheit, womit seitens der Empfängerin dcr Inhalt desselben jedesmal zum Besten gegeben wurde, ließen sie doch über Manches hinwegsehen und brachten es Zuwege, daß die Toilettestunde keineswegs zu den schlimmsten des Tages zählte.
„Nun, Josephine, was schreibt er heute?"
„Kein Brief gekommen."
„Aber die Zeitungen sind doch schon da. Vielleicht ist er Dir untren geworden."