Graf Petöfy von Theodor Fontane.
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„O nicht doch, gnädigste Gräfin, das kann nicht sein. Ich Hab' einen Charme von Klein aus, und wer den Charme hat, von dem kann Keiner wieder los."
„Er könnt' aber doch gehört haben, daß Du hier herumkokettirst und sogar mit dem Andras Dein Wesen treibst."
„Mag er. Da wird er bloß eifersüchtig, und mit der Eifersucht wächst der Charme. Das weiß ich. Uebrigens brauchen wir heute keine Briefe, gnädigste Gräfin, denn wir haben genug mit uns selber Zu thnn. Ist ja seit gestern Abend, als wäre der Böse los im Gebirg und auf dem See."
„Was gibt es denn?"
„Ein Wildschwein hat dem Försterssohn von Szent-Görgey die Seit' aufgerissen; liegt auf den Tod. Und ans dem See gestern Abend, als die Fähre von Nagy-Förös nach Mihalifalva hinüber wollt', ist das Boot umgekippt, und ihrer Elf sind ertrunken. Und der Elfte war der Kaplan, das heißt ein junger Kaplan, hübsch und blaß, der einem Kranken die Sterbesakramente bringen wollt'. Und hat das Allerheiligste hoch in der Hand gehalten, immer über dem Wasser. Aber es hat ihn auch nicht retten gekonnt. "
„Ich begreife nicht, daß mir der Graf nicht davon gesprochen hat."
„Es kommt eben erst auf's Schloß, und der Herr Graf wissen es noch keine Viertelstund'. Es ist das Neueste."
Einundzwanzigstes Kapitel.
Die Nachricht von dem Unglück aus dem See hatte Franziska wirklich erschüttert, aber Josephinen, als sie nach einer halben Stunde das Zimmer wieder verließ, war es nichtsdestoweniger gelungen, das Gleichgewicht in ihrer Herrin Seele wenigstens so weit wieder herznstellen, daß alle vorerzählten Ereignisse nur noch nachwirkten, als ob sie sich im vorigen Jahrhundert oder weit weg in einem überseeischen Laude zugetragen hätten. In keinem Falle nahm Franziska Veranlassung, ihre Tagesordnung dadurch stören zu lassen, die für heut einfach lautete: Brief an Gräfin Judith.
Unmittelbar nach ihrer Ankunft hatte sie bereits an diese geschrieben, aber doch nur wenige Zeilen, Zeilen, aus die weder eine Antwort erwartet noch eingetroffen war. So lag denn eine wirkliche Schreibepflicht vor.
„Schon seit einigen Tagen, meine gnädigste Gräfin, war ich Willens, meiner ersten Benachrichtigung von hier einen längeren Brief folgen zu lassen, sah mich aber immer wieder an der Ausführung meines Vorhabens verhindert.
„Auch der heutige Tag schien mich durch ein schweres Unglück aus unserem See, das dem Geistlichen von Nagy-Förös das Leben kostete — selbst das Allerheiligste versank in die Tiefe — meinem Vorhaben abermals untreu machen zu wollen. Ich entreiße mich aber der dadurch hervorgerusenen Stimmung und schreibe.
„Vierzig Tage sind es heute, daß ich auf Schloß Arpa bin, und die lauge kurze Zeit liegt hinter mir
wie ein Traum. Die Güte des Grasen gegen mich ist grenzenlos, seine Nachsicht rührend, seine Meinung von mir beschämend. Er findet, daß mir nicht ausreichend gehuldigt wird, und zürnt darüber mit der Nachbarschaft, die sich seiner Ansicht nach mehr als statthast zurückhält; es gelingt mir aber immer wieder, einen Ausbruch seiner Empfindlichkeit zu hindern und ihm den gegenwärtigen Zustand als einen erklärlichen, entschuldbaren und sehr wahrscheinlich auch vorübergehenden darzustellen.
„Ich habe mich nun hier völlig eingelebt und so mag es mir gestattet sein, Ihnen, meine gnädigste Gräfin, ein Bild dieses Lebens zu geben.
„Den Morgen verbring' ich mit Petöfy; dann folgen viele Stunden, in denen ich mir allein gehöre. Das Zimmer, das ich bewohne — das Zweifensterige neben dem großen Eßsaal — gönnt mir einen Blick über den See, dessen Schönheit mich immer wieder entzückt. Anfänglich jeden. Tag und jetzt jeden zweiten Tag kommt der Herr Curatus von Szegenihaza heraus und gibt mir eine Sprachstunde (magyarisch), die sehr oft eine Doppelstunde wird. Gescheidt und fromm, dabei persönlich ohne jedweden Anspruch, gehört er ganz jenen selbstsuchtlosen und aller Eitelkeit entkleideten Geistlichen zu, denen man in Ihrer Kirche häufiger begegnet als in der unsrigen. Ich disputire mit ihm beinahe mehr, als ich konjugire, woraus mir der Vortheil wird, im Ungrischlernen auch zugleich die katholische Kirche kennen zu lernen, von der ich offen gestanden bis dahin sehr unausreichende Begriffe hatte.
„Neben dem Geistlichen ist es der alte Toldy, der meine Zeit am meisten in Anspruch nimmt. Er lebt mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart, und unter den Gegenständen seiner Adoration steht Comtesse Judith obenan. Ein wahres Kreuz könnte mir sein bei jeder Gelegenheit hervortretendes Magyarenthum sein, wenn nicht die Naivität, mit der sich dasselbe gibt, etwas Versöhnendes und oft etwas geradezu Rührendes hätte. So nehm' ich ihn denn als Type, folg' ihm liebevoll auch in seinen Schwächen und vervollständige durch mein Geplauder mit ihm die Sprachstudien, zu denen der Geistliche von Szegenihaza die Fundamente legt. Meine Fortschritte setzen mich beinahe selbst in Verwunderung, aber mehr noch, als sie mich verwundern, beglücken sie mich. Denn ich gehöre nun diesem Lande mit meinem Herzen, und wenn vielleicht nicht voll mit meinem Herzen, so doch mit meinen Entschlüssen an und will das ganz sein, was zu sein ich mir an jenem mir unvergeßlichen Tage vornahm, der mir zuerst Ihr schönes Herz und Ihre wohlwollenden Gesinnungen für mich offenbarte. Nach dem nur kurzen Diner, sechs Uhr, folgen Fahrten über Land, ein paarmal auch schon über den See. Das schönste Wetter hat uns bis jetzt begünstigt; nicht einmal ein Gewitter zog in den heißen Tagen herauf. Den Thee nehmen wir abwechselnd aus der Plattform in Front des Schlosses oder auf der obersten Gartenterrasse, die sich mehr und mehr in einen Blumengarten verwandelt hat. Ich erzähle dann, was ich von Josephine gehört oder auch in den Zeitungen gelesen habe, wobei mich immer wieder die schöne Milde des Grafen überrascht und ein Gerechtigkeitssinn, der,