Graf Petöfy von Theodor Fontane.
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hätte nicht Lust, mir eine so gute Gelegenheit zum Zeitvertreib entgehen zu lassen. Und sieh', Kind, so liegt es wirklich. Ich gönne Dir alle mögliche Gesundheit, weil ich weiß, das Du Krankheit nicht leiden kannst, aber wenn ich ein bischen egoistischer wäre, so wünscht' ich Dir jeden Tag einen furchtbaren Wadenkrampf, so furchtbar und so heftig, daß ich Dich ganz in Senfpflaster einwickeln müßte. Das kenn' ich Alles noch von meiner seligen Mutter her, und war eigentlich schlimm genug, aber mitunter war es auch eine wahre Wonne, wenn's Einen so in die Augen biß, bis die Thränen kamen."
„Male den Teufel nicht an die Wand."
„Wegen des Krampfes oder wegen der Thränen?"
„Vielleicht wegen Beidem. Ich Hab' es nicht gern, wenn Du so sprichst, Franziska. Bedenke doch, ich kenne Dich von Klein auf und weiß nur zu gut, daß Dir ganz anders um's Herz ist. Es geht etwas in Dir vor und Du willst es nur nicht aufkommen lassen."
„Ach, Du bist eine Thörin. Aber lassen wir's. Ich will nun fort und nach Deinem Leidensgefährten sehen, er wird sonst ungeduldig. Hier stell' ich Dir die Medizin her und das abgebrauste Brausepulver. Und nun hast Du Alles, was Du brauchst, zur Hand. Oder soll ich Dir lieber noch die Josephine schicken?"
„O nein."
Und nach diesem Zwiegespräch ging sie treppab. In dem Zimmer unten lag der Graf aus einem Feldbett, nur mit einem Militärmantel zugedeckt. Er hatte so seine Vorstellungen von dem, was sich für einen alten Soldaten gezieme, wohin vor Allem auch ein künstlich genährtes Entsetzen vor dem Federbett gehörte. Nichts als das Ticktack der Uhr unterbrach die Stille. Die schweren Damastvorhänge der Fenster waren geschlossen, und nur vom Tisch her, ans dem eine mit einem Schleier verhangene Lampe stand, fiel ein mattes Licht auf das Lager des Kranken.
„Ei, das ist hübsch, daß Du kommst, Fränzl. Ich habe die Minuten gezählt. Es ist so leer und öde hier, so leer und öde für mich schon, und wie muß es erst für Dich sein! O dieser Regen! ,Es regnet, regnet immer noch? Vorzüglich! Ich kann diese Zeile von eurem französisch-preußischen Dichter gar nicht los werden. Aber nun setz' Dich und nimm den Lampenschleier fort, ich will Dich deutlicher sehen können. Oder laß ihn doch lieber, ich komme sonst auch in eine Helle Beleuchtung, und ein Kranker präsentirt sich am besten im Halbdunkel, wenn er sich überhaupt präsentirt. Ein vermaledeites Wetter! Und dreimal vermaledeit diese Neuralgie! Hier in der Hüfte sitzt es. Sie nannten es Ischias, die Herren Doktoren, aber das ist mir gleich, sie könnten es auch Inferno genannt haben oder geradezu Hölle. Judith, wenn sie davon hörte, würde sagen, es spuke vor. Aber es kann nicht Jeder in den Himmel kommen. Dazu muß man eben einen Beichtvater haben wie Feßler, der fromm genug ist, einen Lucifer loszubeten. Glaubst Du nicht auch? Apropos, ist ein Brief von Judith gekommen?"
„Nein."
„Ich finde, sie läßt lange damit warten, und
doch gibt es Situationen, in denen man umgehend schreiben muß oder doch in derselben Woche noch. Und nun sind es über zwei."
„Die Gräfin kann krank sein wie Du."
„Kaum. Wer sich jeden Tag so rein beichtet wie Judith, bei dem gedeiht keine Neuralgie. .Krankheit wächst nur auf dem Beet der Sündefi sagen die Frommen, und vielleicht haben sie Recht. Unter allen Umständen halten sie sich dessen gewiß, so lange sie nicht persönlich in die Zwickmühle genommen werden, und nur Eines ist mir noch gewisser, daß Du hier seit vierzehn Tagen ein elendes und tristes Leben führst und daß mit diesem Elend und dieser Tristheit ein Ende gemacht werden muß. Ja, Fränzl, ein Ende gemacht, und wenn ich die Ziegler aus Gastrollen, etwa ,Medea' zweimal täglich, oder euren Bismarck auf eine Bärenjagd in den Karpathen ein- laden sollte, — gleichviel, wir müssen heraus aus dieser Dumpfheit, in die kein Licht und keine Freude dringt."
„Ich bitte Dich, Petöfy, denk' an Dich und nicht an mich. Ich habe gute Tage."
„Gute Tage? Graue Tage hast Du."
„Nein, gute Tage, sag' ich. Und wenn sie nebenher grau sind, so laß sie; die grauen sind nicht die schlimmsten. Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen."
„Ist schon recht. Aber es hat's ein Mann gesagt, und ihr, ihr empfindet anders; ihr seid für Gegensätze, könnt schwarz ertragen, aber nicht grau, Tod und Unglück, aber nicht Langeweile. Kenne das und habe mir auch schon einen Plan ausgedacht. Sobald ich die Hand wieder rühren kann, schreib' ich an Phemi."
„Nein, Petöfy. Das unterlaß. Ich bitte Dich darum."
„Aber ihr stimmtet doch so gut zusammen, und so mich nicht Alles täuscht, hattest Du wirklich ein Herz für sie."
„Hatt' ich auch und Hab' ich noch. Ich bin ihr ganz aufrichtig zugethan, und wenn sie meiner je bedürfen sollte — sie wird es nicht, sie weiß eben für sich selbst zu sorgen — so werd' ich mich vor der Lächerlichkeit und vor der Undankbarkeit hüten, ihr gegenüber die Fremde herauskehren zu wollen oder wohl gar die Gräfin. Ich bin dessen überhaupt nicht fähig. Ich weiß das. Aber ebenso gewiß weiß ich auch, daß ich keine Veranlassung habe, diese Beziehungen ohne Noth wieder anzuknüpfen. Ich bin nun aus dem Kreise heraus und wünsche mich nicht wieder hinein. Am wenigsten aber wünsche ich ein zweilebiges Leben zu führen, ein zweilebiges, das nach meiner Meinung nicht viel besser ist als keins."
Er hatte den Kopf anfangs mißmnthig hin und her gewiegt, aber diese Mißlaune ging rasch wieder in eine freundlichere Stimmung über. „Und so soll es denn immer Hannah sein! Hannah und immer wieder Hannah. Weißt Du, Fränzl, ich bewundere Deine Genügsamkeit und daß ihr euch nicht ausplaudert."
„O, wir können uns nicht ausplaudern, weil wir, was Dich vielleicht überraschen wird, eigentlich überhaupt wenig plaudern."