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Deutsche Noman-Sibliothek.
„Je nun, was thut ihr denn?"
„Wir verstehen uns?'
„Das ist freilich viel."
„Beinahe Alles."
„Nun gut. Aber ist sie nicht etwas zu nüchtern, oder doch wenigstens nüchtern überhaupt?"
„Immer nur da, wo sie's sein darf, wo Nüchternheit ausreicht oder hingehört. Ich möchte sagen: nüchtern für alle Tage."
„lind Feiertags?"
„Ist sie vollMuth und Leidenschaft und liebt mich so, daß sie jeden Augenblick für mich sterben würde."
„Das glaubst Du?"
„Nein, ich weiß es und weiß es seit lange, seit meinem zehnten Jahr, da fing es an. Und wie sie sich damals gezeigt hat, so zeigt sie sich noch. Ich bin ihrer so sicher, wie daß ich lebe, ja, mein Zutrauen zu ihr ist grenzenlos. Sieh', um Dir nur ein Beispiel zu geben, ich ängstige mich beim Gewitter, aber in ihrer Gegenwart fällt alle Furcht von mir ab. Es ist mir dann, als stünde mein Schutzgeist neben mir. Eigentlich könnt' ich Dir von ihr erzählen, von ihr und meiner Kinderzeit. Aber sage mir, wenn der Anfall kommt und die Schmerzen; ich weiß, Du bist dann am liebsten allein."
„Erzähle nur; ich höre. Kinderzeit ist ohnehin unsere beste Zeit und die lehrreichste dazu. Da leben wir noch so recht eigentlich und zeigen uns, wie wir sind. In dem, was nachher kommt, ist so viel Zurechtgemachtes. Auch im Guten."
„^.vis au leotsur."
„O nicht doch, Fränzl, ich hasse das, hasse das Hinterrückssprechen in Winken und Andeutungen. Aber Du wolltest mir von Hannah erzählen und wie sie zuerst Dein Champion wurde, Dein Ritter ohne Furcht und Tadel. War es nicht so?"
„Ja. Du darfst es so nennen, denn es gab etwas von einer regelrechten Schlacht, und Blut floß. — Aber es ist kalt geworden. Erlaube mir also, daß ich zunächst für Feuer sorge, soweit die paar Kohlen dazu reichen, und vor Allem diesen Schirm beiseite schiebe. Das Halbdunkel hier ist nur gut für Gespenstergeschichten, und die wären das Letzte, was ich erzählen möchte."
„Gib Deiner Geschichte jede Beleuchtung, die Du für gut hältst, vor Allem aber gib die Geschichte."
„Nun, also Hannah's Vater war Küster an der Kirche, wo der meinige Prediger war..."
„ Ich entsinne mich..."
„Er war aber nicht bloß Küster, sondern auch Todtengräber, was ihm in meinen Augen noch ein besonderes Ansehen gab. Er hatte langes weißes Haar, viel weißer, als es- seinen Jahren nach hätte sein müssen, und sah eigentlich immer aus, als ob er irgend Einem das letzte Gebet sprechen wolle. Trotz allem Grauen aber, das mir sein Ernst und seine Hagerkeit einflößten, hatt' ich ihn gern oder doch nicht ungern, weil nur Alles an ihm apart vorkam und nicht zum wenigsten seine Wohnung, die dicht neben dem Kirchhofsgitter lag und eigentlich gerade so wirkte, wie der alte Stedingk selber. Denn das war sein Name, Tordeson Stedingk, und es hieß, daß er von den schwedischen Stedingks her
stamme. Sommers standen immer frisch angestrichene Bahren, die trocknen sollten, um sein Haus her, Grund genug zu Grusel und Angst, am meisten aber ängstigte mich ein kleines Gärtchen, das von Buchsbaum eingefaßt war und darin immer nur gelbe Studentenblumen blühten. Einmal sah er mich und rief mich heran, um mir eine dieser gelben Blumen zu geben, aber ich war wie starr vor Schreck und schüttelte nur den Kops. Als ich mich endlich wieder erholt hatte, lief ich fort und hatte dabei das Gefühl, als ob mich wer an den Hacken halte."
„Das wird aber doch eine Gespenstergeschichte."
„Nein, nein. Ich verirre mich bloß und krame mehr aus, als zu meiner Geschichte gehört, Alles nur, weil die Bilder von alter Zeit her wieder lebendig werden und so mächtig auf mich einstürmen, daß ich mich ihrer nicht ganz erwehren kann."
Und sie tupfte, während sie so sprach, mit ihrem Taschentuch über die Stirn hin und fuhr dann fort:
„Unser eigentlicher Spielplatz war ein großer Grasplatz um die Kirche her, auf dem Bauholz und allerlei Stämme lagen, die, wenn der Herbst kam, geschnitten werden sollten, Kiefern und Tannen und auch wohl Birken- und Eschenholz, in der Mitte des Platzes aber war ein Tümpel, durch den die Jungen, die gute Stelzenläufer waren, immer durch- marschirten, was mich so mit Neid und Entzücken erfüllte, daß ich's auch zu lernen ansing und nicht eher zufrieden war, als bis ich mit Allen um die Wette mitten im Wasser stehen und auf einer Stelze balanciren und mit der andern präsentiren konnte. Du kannst Dir denken, welche Wonne das war."
Petöfy nickte seine Zustimmung.
„Aber," fuhr Franziska fort, „was war der Kirchplatz im Vergleich zu dem Kirchhof, der dicht daneben lag und über dessen niedrige Mauer weg die Hagebuttensträucher bis in die Straße hineinwuchsen. An dem Kirchhofe hing unser ganzes Herz. Eigentlich war es kein rechter Kirchhof mehr, denn was starb, wurde seit Jahr und Tag schon vor's Thor hinausgetragen und auf einem abgesteckten und ummauerten Stück Haideland begraben, einzelne Familien in der Stadt aber hatten noch ein Anrecht an den alten Kirchhof, und so kam es, daß immer noch von Zeit zu Zeit auf ihm beerdigt wurde. Das war denn allemal ein Festtag für uns, und wenn am Abend vorher, so gegen Sonnenuntergang, der alte Stedingk aus seiner Hofthür trat und sich an's Graben machte, so fehlte Keiner von uns, weil Jeder neugierig war, ihn das Grab aufschütten zu sehen. Und einmal hatten wir auch wieder so gestanden und zugesehen, und als er zuletzt fertig war, unser schon draußen auf dem Kirchplatz begonnenes Spiel auf dem Kirchhof drinnen wieder ausgenommen. Es hieß »Hirsch und Jäger' — ich weiß nicht, ob ihr das Spiel hier auch habt — der stärkste Junge, wie sich denken läßt, war allemal ,der Hirsch', der aufgestöbert oder auch in seinem Versteck überrascht, umstellt und zur Kapitulation gezwungen werden mußte. Dieser stärkste Junge nun, der damals mit uns spielte, hieß Willy Thompson und war eines reichen Schiffsrheders Sohn, dessen Familie von Jnverneß oder Aberdeen herübergekommen war.