Graf petöfy von Theodor Fontane.
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Denn in der kleinen Stadt war Alles schottisch oder schwedisch, weil der Handel dahin ging. Nun, dieser Willy war eigentlich ein blondes Prachtstück, trotzdem er übermüthig und hochfahrend und ein vollkommener Tyrann war, der uns in Schrecken und blindem Gehorsam hielt. Wenn ein Streit ausbrach, so stand Alles auf seiner Seite, bloß aus Furcht vor ihm, und daß ihm irgendwer widersprochen hätte, kam eigentlich gar nicht vor."
Der alte Graf richtete sich auf, ersichtlich immer interessirter, weil er bei dieser Schilderung die Bilder seiner eigenen Jugend wieder vor sich aufsteigen sah.
„Und so war es auch au dem Abend," fuhr Franziska fort, „von dem ich erzähle. Kaum daß unser blonder Tyrann ausgeflogen und in seinem Versteck untergekrochen war, so war auch schon Alles hinter ihm her, hierhin, dorthin, und während er sonst darauf rechnen durfte, nie gefunden zu werden, und dann ganz zuletzt wie gutwillig zum Vorschein kam, um uns zu verhöhnen und ausznlachen, so hatten wir ihn heut in fünf Minuten schon. In einer der Kirchhossecken stand nämlich in schräger Stellung ein gußeisernes Monument, und in dem dreieckigen Winkel, der dadurch gebildet wurde, saß er und war nun gefangen. Unter einem ungeheuren Jubel holten wir ihn hervor, um ihn über den Kirchhof hin bis an die Anschlagstelle zurückzusühren. Als wir aber bis an die frisch gegrabene Grube gekommen waren, riß er sich plötzlich los, packte mich, die ich ihn besonders verhöhnt haben mochte, beim Zopf und schrie: ,Franze, Du bist schuld; Du hast geguckt. Du hast mich verrathen.' Ich sah, wie wüthend er war, und legte mich auf's Versichern meiner Unschuld, aber er wurde nur immer wüthender und schrie: ,Bekenn' es, sag' es, dann schenk' ich's Dir; sonst, sonst . . .' und nun fing er an zu schwören: ,sonst werf' ich Dich hier in's Grab? In meiner namenlosen Angst fiel ich vor ihm auf's Knie, gerad' als ob fich's um mein Leben gehandelt hätte, und wirklich, ich glaub' auch, ich hätt' es nicht überlebt. Aber er wollte von nichts hören und wissen und zerrte mich auch wirklich schon aus die Stelle zu, wo mitten in dem eben aufgeworfenen Sandhaufen das große Grabscheit des alten Stedingk wie ein Kreuz im Zwielicht aufragte. Von den anderen Jungen hatte keiner den Muth, für mich einzutreten; als er jetzt aber oben stand und mich unerbittlich nach sich zog, sprang Hannah vor und sagte: ,Laß sie los!' Er aber lachte bloß, und es war auch zum Lachen, denn Hannah, die jetzt so derb und gesund aussieht, war damals ein blasses und schwächliches Kind und so Mondscheinen, daß man sie durch und durch sehen konnte. ,Laß sie loß!' rief sie noch einmal und legte die Hand auf die Grabscheitkrücke. ,Dummes Ding, Du sollst mit hinein'.—,Laß sie los!' rief sie znm dritten Mal, während ihr die Augen wie aus dem Kopfe traten, und als er noch immer nicht abließ und mich weiter zerrte, riß sie Plötzlich das Grabscheit aus der Erde heraus und stieß es ihm mit solcher Gewalt vor die Brust, daß er rückwärts taumelte. Voll Geistesgegenwart griff er im Fallen noch nach einem Hagebuttenstrauch und
Deutsche Noman-Bibliothek. XII. 16.
hielt sich fest, während ihm zu unser Aller Entsetzen das Blut über die Turnjacke stoß; denn das nach oben hin ausgleitende Grabscheit hatte mit einer seiner scharfen Ecken ihm das Kinn bis an die Lippe hin ausgeschnitten. Und so hielt er sich eine Weile noch, bis er zuletzt ohnmächtig vor Schmerz und Blutverlust in denselben Hagebuttenstrauch hineinfiel, der ihn vor dem Niederstürzen in's Grab bewahrt hatte. ,Blut besiegelt', sagt das Sprüchwort, und das Blut, das an diesem Tage stoß, Petöfy, hat Hannah's und meine Freundschaft für's Leben besiegelt."
„Aber was wurd' aus dem Jungen, dem Zweiten Helden der Geschichte?"
„Nun, den haben wir vor drei Jahren in Leipzig mit dem ganz zerhauenen Gesicht eines alten Korpsburschen wiedergesehen. Er ließ sich bei mir melden, als ich dort zu Gastspiel war, war 8LN8 Mra8o reizend, und als er endlich auch Hannah's ansichtig wurde, brach er in einen wahren Höllenjubel aus und rief einmal über das andere: ,Sieh', Hannah, es ist immer so weiter gegangen. Aber die hier," und dabei wies er auf die Narbe am Kinn, „ist doch die beste.'"
Der Graf war ernst geworden und sagte: „Fränzl, ich könnte Dich um Deine Hannah beneiden, wenn beneiden meine Sache wär'. Aber das ist gewiß, sie ist ein Schatz für Dich, den Du festhalten mußt."
„Das will ich auch. Aber zunächst will ich Nachsehen, ob sie nichts versäumt und keine Thorheiten begangen hat. Denn sobald sie krank ist, ist sie, was Medizin angeht, voll Ungehorsam und Unvernunft."
„Ein Beweis mehr für ihre Vernünftigkeit. Ich werde schließlich auch noch ein Hannahschwärmer werden."
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Hannah schlief fest und athmete ruhig. Das Fieber hatte sichtlich nachgelassen, und leise, wie sie gekommen war, verließ Franziska, die wohl wußte, daß dieser Schlaf die Genesung bedeute, den Alkoven wieder, um in ihrem Wohnzimmer vor dem Kamin Platz zu nehmen.
Das Feuer darin war halb niedergebrannt, aber über dem Kamin befand sich ein Ofen, der seine Heizung von außen her empfing und trotz vorgerückter Stunde noch eine behagliche Temperatur ausströmte, was nicht überraschen durfte, denn der erst beim Beginn der Regentage zum Vorschein gekommene schnauzbärtige Slowake, dem das Heizungsdepartement unterstellt war, pflegte lieber zu viel als zu wenig zu thun.
Es war noch nicht spät, und Franziska nahm auf gut Glück ein Buch vom Bücherbord. Es war ein Band von Rousseau, die „Confessions", und sie sah im Durchblättern, daß wenigstens auf den ersten fünfzig Seiten viele dünne Bleistiftstrichelchen an den Rand gemacht worden waren. Die Leserin indeß, sehr wahrscheinlich die Mutter des Grasen, schien sich im Weiterlesen immer ablehnender gegen den Autor verhalten zu haben, denn der Strichelchen, die ganz unzweifelhaft Zustimmung ausdrücken sollten,
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