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Deutsche Noman-Sibliothck.
unterhielten sich angelegentlich in der Zwischenpause, dabei war das Gesicht des Doktors ihnen zugewandt.
„Er ist wirklich ein lieber Fratz," sprach Marie neckisch, „nur leider ein wenig kurzsichtig. Wir werden gehen müssen, ohne von ihm bemerkt zu sein. Er ahnt gar nicht, wie nahe ihm sein Glück."
„Das wäre mir leid," versetzte Elisabeth mit voller Natürlichkeit, „denn ich machte gern mit ihm ein wenig nähere Bekanntschaft. Sollte er uns aber dennoch bemerken und uns mit seiner Gegenwart beehren, dann vergiß nicht, wer ich bin."
„Ganz gewiß nicht! Ich werde nicht aus der Rolle fallen; — Fräulein Elise Wild aus Wien, wenn ich nicht irre?"
„Zu dienen, meine schöne Dame."
Der Doktor hätte vielleicht im Leben nicht aufgesehen, wäre es nicht plötzlich neben ihnen etwas laut geworden in einer Loge, die sie nicht sehen konnten, da die hohe Zwischenwand sie ihren Blicken entzog. Es sprachen einige Herren dort lebhafter, als gerade üblich ist in solchen geheiligten Räumen. Beide Damen horchten auf: eine auffallend dünne, nasale Stimme und eine andere, die ihnen ebenfalls bekannt vorkam.
Die Leute sahen herüber und heraus, unter diesen auch der Doktor. Und nun plötzlich gewahrte er die Damen dort oben und erkannte sie... Er brach das Gespräch mit dem Unbekannten plötzlich ab und machte Miene, sich zu erheben. In demselben Moment aber rauschte der Vorhang abermals herauf, der Zweite Akt begann.
Die Beobachtungen wurden fortgesetzt, aber mit etwas mehr Heimlichkeit und Vorsicht. Elisabeth bemerkte eine gewisse Unruhe an dem bisher so feierlich dasitzenden Doktor, und daß er einige Male verstohlen herüberblickte, war ganz offenbar. In Folge dessen wagte sie ihr Ausschauen nicht in demselben Maße fortzusetzen wie vorhin. Marie ob- servirte die Bühne und ihre Freundin zugleich, aber da diese jetzt ebenfalls mehr nach den Schauspielern sah, mußte sie ihre Neugierde bezähmen. Das herrliche Spiel und der prächtige Gesang Marcel's nahmen außerdem ihr Interesse mehr und mehr in Anspruch. So verging der zweite Akt.
Im nächsten Zwischenakt erhob sich der Doktor, blickte herüber, verbeugte sich und verließ dann den Raum. Er begab sich hinauf, um die Damen zu begrüßen. Im Foyer des ersten Ranges begegnete er seinem Vetter, dem Diplomaten, und Lieutenant von Pfeil.
„So schweigen Sie doch still — muß Sie sonst schneiden," sprach der Kleine ärgerlich. „Habe eben erst fünf Tage Stubenarrest gehabt Ihretwegen, und nun fangen Sie schon wieder Dummheiten an."
Sie standen abseits etwas, neben der Garderobe, und der Kümmerliche sprach so leise, wie ihm möglich war in seinem Zorn. Ihre Stirnen waren geröthet, — sie kamen offenbar von einem Diner, wo es scharf hergegangen war.
Der Assessor sah verstört und wüthend aus, biß die schmalen Lippen zusammen und starrte zu Boden.
„Ist vielleicht eine Perle, dieses Fräulein Salo- mon," fuhr der Lieutenant fort mit einem etwas
lauernden, sarkastischen Gesicht, „haben doch allemal einen verd ..... ten Anlauf, Steinsurt, erst die Tante..."
„Hol' Sie der Böse!" fuhr der Andere auf, da sah er den Doktor und froh, einen Grund zu haben, seinem Quälgeiste zu entfliehen, wandte er sich sofort an diesen. Er reichte ihm sogar die Hand und bemerkte nicht, wie kühl sie ergriffen wurde. Er fragte, wo der Vetter hin wollte, und erfuhr, Fräulein Werner und eine Freundin derselben säßen nebenan in der Loge, er beabsichtige sie zu begrüßen.
Der Assessor stutzte zuerst und wurde dann plötzlich sehr roth und nachdenklich; es flackerte auf, wie ein Licht in seinen Augen, diese wurden beinahe stechend.
„Fräulein Werner. . . hier?" fragte er mit Interesse. „Ich gehe mit!"
Dem Doktor konnte gar nichts unangenehmer sein, als diese Begleitung, um so mehr, als der Vetter stark nach Wein roch und die Spuren einer starken Libation in seinem Aeußern zeigte. Er machte deßhalb eine stumme Geste, zog die Brauen fest zusammen, sprach aber kein Wort und schritt voran.
In der Loge war man ans sein Kommen gefaßt, nicht aber auf das eines zweiten Herrn. Die freundlichen Gesichter nahmen sogleich einen ganz andern Ausdruck an, als man den Assessor hinter dem Doktor erblickte. Dieser selbst prallte nicht wenig zurück, als er Elisabeth sah, und wnrde abermals sehr roth... Verflucht! . .. jene Freundin, war das nicht eine alte Bekannte und noch dazu eine, die ein Lied von ihm zu singen wußte? — Oder täuschte er sich? ... In der That, die Aehnlichkeit war groß... aber nein... sie war es doch wohl nicht... unmöglich, sie war stärker und sah bedeutender aus, als die Lutz aus Bern.
Der junge Herr war gewöhnt an allerhand Stöße und Tücken des Schicksals und hatte gelernt, denselben zu begegnen. Auf alle Fälle wappnete er sich mit Frechheit: unschuldig thun, nichts wissen, das war das Beste, was er thun konnte. Wenn sie es war?!
— Sie war übrigens verteufelt hübsch geworden, fast noch hübscher, als die Gesellschafterin der Tante. Aber wo sollte eine so unbedeutende, tugendhafte Sängerin, wie die Lisa, die ihn damals hatte so abblitzen lassen, zu solchen Brillanten kommen, wie Jene an den Handgelenken und in den Ohren trug
— ganze Funkengarben schleuderten dieselben bei jeder Bewegung.
Er nahm sich zusammen, richtete sich auf und verbeugte sich untadelhaft.
„Ich bin entzückt, Sie hier zu sehen," sprach er zu Marie gewandt, „darf ich bitten, gnädiges Fräulein, mich bekannt Zu machen?"
„Herr Assessor von Steinsurt — meine Freundin Elise Wild," sprach Jene mit einer kleinen Handbewegung, vollständig in ihre Rolle eintretend. „Ein Neffe von Mrs. Macduff," fügte sie hinzu.
Die Freundin verneigte sich leicht, lächelte ein wenig und sprach ihre Freude aus, den Herrn kennen zu lernen, ebenso, wie sie das soeben dem Doktor gegenüber gethan hatte, und das so fremd, so unbefangen und mit einem solchen prononcirten Anflng