Heft 
(1885) 32
Seite
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Die Erbtante von Johannes van Veuiatt.

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von Wiener Dialekt, daß dem Assessor ein Stein vom Herzen fiel und er sich sagte:Ich Thor! wo hatte ich denn nur meine Augen? Wo ist denn das die Lisa?" Er bekam sofort seine ganze Unbe­fangenheit und damit seine Suade zurück. Da der Platz hinter der Fremden Sessel bereits vom Doktor eingenommen war, nahm er, ohne dazu ausgefordert zu sein, hinter der Gesellschaftsdame Platz und be­gann sofort ihr halblaute Komplimente über sie selbst und ihre Freundin zu machen.

Marie rückte unwillkürlich ein wenig beiseite; sein Athem roch wie Fusel, seine Atmosphäre be­täubte sie förmlich, aber sie hielt wacker Stand und ließ sich nichts merken. Sie war sogar artiger zu ihm wie sonst, denn dieser Augenblick war für sie von hohem psychologischem Interesse, um jeden Preis wollte sie eine Störung verhindern: dort der ernste Doktor, in dessen Innerem sie so etwas wie einen Vulkan witterte, und hier der ehemalige Courmacher, dem Elisabeth eine so warme Erinnerung bewahrte. Das reizende Geschöpf dort drüben, Besitzerin von fünf Millionen Thalern und eines so lieben, treuen und anspruchslosen Herzens und zugleich die Erbtante, die ehemalige dramatische Sängerin Lisa Lutz, augenblicklich ihre Freundin Elise Wild aus Wien, wohnhaft in Blauwitz bei Bekannten und im Hotel Bellevue unter dem Namen Miß Herford be­kannt wahrhaftig, das war amüsant! Da hieß es Komödie spielen, zeigen, daß man etwas Tüchtiges gelernt hatte.

Und wenn nun gar noch eine Neigung mit in's Spiel käme? Unsinn!... Elisabeth sprach so ruhig, freundlich, so unbefangen mit dem stattlichen Vetter, daß sie sich sagen mußte, sie hätte Chimären nach- gehangen. Wenn der Doktor auch ein erhöhtes Inter­esse spürte für das schöne Mädchen, von ihrer Seite mischte sich die Liebe nicht ein; so blickt und spricht keine Frau, deren Herz nicht vollständig frei ist.

Mittlerweile ließ der Diplomat alle Minen springen, um sich bei ihr interessant zu machen, und da sie dazu ihre Gründe hatte, so ging sie mit großem Interesse anscheinend aus seine Gespräche ein.

Der Erfolg gibt Zutrauen, der Diplomat ward immer beredter und kühner, als wollte er das Herz der Dame im Sturm erobern, der Aermste, er hatte wohl alle Ursache dazu, denn seine Gläubiger singen an ihn grausam Zu torturiren, mit demselben Raffinement wie seinen Vater, nur daß sie eine andere Methode bei ihm befolgten, als bei Jenem. Während er Gesichter schnitt, bald seine Stimme Zu einem Flüstern herabsinken ließ, das beinahe ver­traulich klang, bald erhobenen Tones von seinen Vorzügen und Abenteuern sprach, saß drüben der Doktor, den Hut Zwischen den Händen, auf seinem niedrigen Fauteuil, und sprach mit Elisabeth, welche sich ein wenig nach rückwärts gewandt hatte, so daß sie im Halblicht dem Doktor fast den vollen Anblick ihres Gesichts gönnte. Er war nicht gerade be­redt, nur seine Augen waren es wider Willen, denn in seinem ganzen Leben hatte er kein weibliches Wesen gesehen, das einen solchen sympathischen und fesselnden Eindruck aus ihn gemacht hätte.

Deutsche Roman-Bibliothek. Xli. itz.

Er hatte ihr gesagt, daß er neulich das Glück gehabt hätte, sie in einem Handschuhladen zu sehen. Sie hatte gelächelt und erwiedert, sie glaube sich seiner ebenfalls zu erinnern. Dann hatte er von Marie gesprochen und von seiner Tante, und daß er erfahren habe, sie sei zum Besuch hier bei Freunden in Blasewitz, und hatte nicht ohne Geschick die Frage einfließen lassen, wie lange sie hier zu bleiben ge­dächte.

Noch etliche Wochen so lange es ihr gefiele," erwiederte Fräulein Wild. Sie sah, wie sein ernstes, dunkles Auge aufleuchtete und wie seine große, schlanke Hand mit der Grandezza eines Türken über den dicht gekräuselten, aschblonden Vollbart strich, ein Zeichen des Behagens, des Beifalls gleichsam. Sie unterdrückte nur schwer ein Lächeln. Wenn du ahntest, Vetter! Hast du denn keine Tante da­heim, eine Alte aus Indien, mit einem lächerlichen Turban, eine Tonne, mit einem Baß und rollenden, stupiden Augen? Doch so ein ernster, wahrhafter Mann, wie konnte der ahnen, daß man mit ihm Komödie spielte, ein Doktor, der am Krankenbette sorgsam den Puls fühlt, das entfliehende Leben festznhalten sucht, der daheim studirt, einsam, mit Fleiß, um seinem Wissen neue Schätze hinzuznsügen. Was würde derselbe thun, ahnte er, er würde mystifizirt?!

Ein Schatten flog über ihre strahlende Stirn und verlor sich in dem Gewirr leichter Löckchen, ihr Auge blickte plötzlich ernsthaft: würde er nicht zürnen, sie verachten gar, den Staub von seinen Füßen schütteln und sich abwenden? Doch nicht, denn was sie that, sie that es ja eines bestimmten und guten Zweckes wegen. Sie brauchte sich nicht zu schämen vor sich und ihm. Schon lächelte sie wieder.

Während des ganzen folgenden Aktes saß er andächtig an ihrer Seite, mit getheiltem Interesse bald die reizende Erscheinung, bald die Bühne be­trachtend, ihr ab und zu eine Antwort gebend auf eine zugeflüfterte Bemerkung. Er freute sich über ihr fachgemäßes Urtheil. Entschieden war sie musikalisch begabt. Er selbst war ein großer Liebhaber der Musik, ein tüchtiger Cellist zugleich in müßigen Stunden.

Gegen das Ende des Stückes wandte sie sich wieder zu ihm herum, fragte ihn freundlich, ob er viel Praxis hätte, sah ihn an mit ihren schimmern­den Augen, in deren Hintergrund stets ein ernster Gedanke zu leuchten schien, und fragte ihn ans über D., über die Kunstschätze, und freute sich im Stillen über fein achtungsvolles, ritterliches und echt männliches Wesen. Sie täuschte den Doktor; denn was Jener für das unbewußte Aufleuchten eines tieferen, zarteren Gefühls hielt, war nur die Freude über seine Geradheit und die Hoffnung, einen guten Menschen gefunden zu haben, eine Stütze einen Halt.

Die Oper war aus, inan erhob sich, die Lampen erloschen.

Wenn der Herr Doktor uns noch ein wenig be­gleiten wollen, wird es uns eine Freude sein," sprach Marie in dem Gedränge der Garderobe.

Guten Abend, mein Herr," sagte zu derselben

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