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Deutsche Roman-Bibliothek.
Zeit mit Förmlichkeit Fräulein Wild Zum Assessor, „ich Hab' mich halt gefreut, die Ehre gehabt zu haben."
„Wenn das gnädige Fräulein gestatten wollten," setzte dieser an.
„Nein — ich bitte. Ich will Sie Ihren übrigen Bekannten nicht entziehen," war die bestimmte Antwort.
Sie deutete leicht auf einige Offiziere, welche scharf herüber sahen.
„Donnerwetter — ist das nicht die sogenannte Frau von Bredau!" rief einer derselben ziemlich laut. Es hatte sich nämlich herausgestellt hinterdrein, daß jene bewußten beiden Damen nicht Frau von Bredau und ihre Cousine aus Berlin gewesen waren, und die Gegenpartei hatte die Wette bezahlen müssen.
„Unsinn! — Die würden Steinsurt gut haben absahren lassen!" — Der Grund war triftig, Stein- furt selbst sollte ihnen sagen, wer sie waren.
„Was der Mensch für einen fabelhaften Anlauf hat," sprach der Dürftige mit seiner dünnen Stimme, „erst die Erbtante und nun die Beiden da für's Herz."
„Er ist blau, der gute Pfeil! — Führt ihn fort, nehmt ihn unter eure Obhut, sonst erregt er wieder öffentliches Aergerniß und wird wieder kalt gestellt."
Ein Hüne nahm ihn unter dem Arm und zog mit ihm davon. Die Anderen stellten sich neben einander an die Wand und ließen die Damen mit Anstand vorbeidefiliren.
„Heda — Steinsurt! — wer war das eigentlich?"
„Eine Dame aus Wien und die Gesellschaftsdame meiner indischen Tante!" versetzte dieser kurz.
„Kann man denn die Alte nicht 'mal zu sehen bekommen? Bringen Sie sie doch 'mal mit zu Stephani," sagte Rothkirch.
„Kann uns ein Bänkchen legen, bei der jetzigen Ebbe sehr angenehm."
„Laßt ihn, er ist schlechter Laune heute, — Fräulein Salomon liegt ihm in den Gliedern..." Schallendes Gelächter!
„Eure Witze sind schal," brummte der Assessor, fuhr in seinen Paletot und ging mit großen Schritten davon. — Er fand weder die Damen, noch den Doktor unterwegs und machte sich in Folge dessen ärgerlich auf den Heimweg. Mittlerweile hatte der Doktor mit den Damen die Straße erreicht und geleitete dieselben. Der Eindruck, welchen Fräulein Wild heute Abend auf ihn gemacht hatte, wäre beunruhigend für ihn gewesen, hätte er nicht in ihren Augen etwas wie ein dem seinen gleichartiges Interesse zu entdecken gemeint. Er hatte daher ein Gefühl, als ginge er in Wolken; so eigenthümlich leicht und freudig war dem ernsten Manne noch niemals zu Muthe gewesen und nur der eine Gedanke trübte ihm den Genuß der Gegenwart, der: wann werde ich sie Wiedersehen? ... Er war ein wenig schweigsam, wie alle Leute, bei denen ein wahres und tiefes Gefühl zum Durchbruch kommt.
„Welch' ein herrlicher Abend!" sprach Elisabeth, als sie, dem Menschengewühl entronnen, langsanier und bequemer zu schreiten begannen auf dem freien Platze. Hoch oben stand der volle Mond über den Wipfeln des Parks und leuchtete ihnen, während
reges Leben um sie pulsirte. Helles Licht siel aus dem Cafe Stephani und Verkäufer und Verkäuferinnen mit Blumen umschwirrten sie. Der Doktor bot jeder der Damen einen Strauß an.
„Ja — ein herrlicher Abend," sprach er daun ebenfalls und blickte auf Fräulein Wild.
„Viel zu schön, um jetzt schon heim zu gehen und in den heißen Stuben zu sitzen," kam ihm Marie in ihrer hübschen, lebhaften Weise zu Hülse. „Weißt Du was, Elise, bleib' heute Nacht in der Stadt und laß uns irgendwo zu Abend speisen, — wenn der Herr Doktor nämlich nichts Anderes vorhat, — denn von all' dem Sehen und Hören bin ich tüchtig hungrig geworden."
„Gut, speisen wir," erwiederte Elisabeth und freute sich im Stillen über das freudig überraschte Gesicht ihres Begleiters.
„Es wird mir ein großes Vergnügen sein, noch länger in Ihrer Gesellschaft zu verweilen," versetzte dieser, an seinen Hut greifend und sich verneigend, dann strich seine Rechte unwillkürlich wieder über den vollen Bart.
„Wie wäre es dort drüben?" fragte Marie und deutete hinüber nach dem glänzenden Kaffeehause.
„Ich würde mir einen andern Vorschlag erlauben: im Hofgarten, kaum zehn Minuten von hier, liegt der Jägerhof, dort ißt man ausgezeichnet und im Freien und findet ein anderes Publikum."
„So so! — Nun, wir geben uns ganz unter Ihren Schutz, Herr Doktor."
„Das dürfen Sie unbedingt, mein Fräulein," sprach er warm und mit glückstrahlenden Augen. „Ich schlage vor, wir nehmen einen Wagen."
„Ja — einen Wagen, das ist lustig!"
Der Doktor rief einen Zweispänner heran, man stieg ein, passirte das Gitter und fuhr den breiten Hauptweg hinunter, Zwischen Boskets und Hellen Lampen, welche die nächste Umgebung wie grünes Gold schimmern ließen.
Während des Fahrens hingen seine Augen wie gebannt an seinem Gegenüber, ohne aber natürlicherweise demselben lästig zu werden.
Elisabeth hatte den Schleier zurückgeschlagen und genoß mit langen Zügen die laue, parfümirte Luft, den ganzen poetischen Zauber des Augenblicks. — Unwillkürlich verloren sich ihre Gedanken dabei in die Vergangenheit; sie dachte au die laugen, bösen Jahre, welche sie verlebt hatte, au ihre bescheidenen Vergnügungen während ihrer Lehrzeit, an das heiße Indien, das wie ein Traum nun mit all' seinen Erinnerungen weit hinter ihr lag, Zuletzt an die selbstgewählte Rolle, welche sie jetzt spielte. — Schweigsam saß sie da, mit leicht geöffneten Lippen, und wenn in gleichmäßigen Zwischenräumen das Lampenlicht über sie hinhufchte, sah der Doktor ihr schönes, nachdenkliches Gesicht und fühlte dann jedesmal ein neues Gefühl des Entzückens.
Um so lebhafter plauderte und beobachtete Marie Werner, damit die Stille nicht etwa peinlich würde.
Schnell gelangte man zum Ziele; dort unter den hohen Bäumen faßen noch viele Menschen beim Abendbrod oder einem guter:, kühlen Trunk. Ar: einem der kleinen Tische nahmen sie Platz und