Die Erbtante von Johannes van Dewatt.
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bestellten sich etwas zu essen. Hier wurde die Konversation allgemein. Man sprach auch von der Erbtante. Der Doktor war nicht gerade des Lobes voll, war aber viel zu diskret, um vor einer Fremden und der Gesellschaftsdame sein Urtheil offen auszusprechen.
„Die ganze Familie war neulich versammelt und Mrs. Macduff hielt eine Rede," berichtete Marie.
„So? — Das ist seltsam, eine so alte Dame," versetzte Elisabeth aufblickend.
„Nicht die ganze Familie, Fräulein Werner," berichtigte der Doktor, „es fehlte eine junge Verwandte, die Tochter einer Schwester der beiden alten Herren, Elisabeth Steinfurt."
„Das ist mir überraschend! . . . Und warum war dieselbe nicht zugegen — warum that man ihrer nicht einmal Erwähnung?" fragte Marie mit großem Interesse. „Ich berühre doch hoffentlich keinen wunden Punkt, Herr Doktor?"
„Das schon, mein Fräulein, aber es haftet nichts an unserer Cousine, Wohl aber Vieles an uns selbst."
Mit welchen Gefühlen Elisabeth heute zum ersten Male ihrer eigenen Person erwähnen hörte, kann man sich denken.
„Die Tante und Onkel starben vor etwa sieben Jahren in einer entfernten Stadt und ließen die einzige, sechzehnjährige Tochter ohne Vermögen zurück. — Ich hatte meine Cousine niemals gesehen, kaum von ihr gehört und war damals ein junger, übereifriger Arzt. Trotzdem weiß ich, daß es mich empörte, wie . . . Doch ich darf Ihnen damit nicht den schönen Abend verderben," unterbrach er sich plötzlich, „genug, die junge Dame erhielt von meinem Vater Unterstützung, bis dieser starb. Sie war auf einem Konservatorium oder einer Theaterschule in Wien, soll nachher zur Bühne gegangen fein und ist verschollen — hier der wunde, sehr wunde und beschämende Punkt — ohne daß die Familie sich weiter um die Verlorene kümmerte. Die Steinfurts sind eben ein etwas hartes Geschlecht."
„Das bedaure ich lebhaft!" rief Marie.
„Und ich deßgleichen und um so mehr, als ich mir selbst die ernsthaftesten Vorwürfe zu machen habe; denn trotz meiner Jugend und meiner Studien hätte ich mich besser der Cousine erinnern sollen. Wenn Ihr Einfluß es vermag, bitteil Sie die Tante Karoline, daß sie in dieser Richtung etwas thut. — Ich selbst werde mit ihr mich berathen und stelle mich ganz zu ihrer Verfügung."
Er wandte sich dann zu Elisabeth.
„Sie frieren, mein Fräulein?" fragte er besorgt.
„O, nicht doch," versetzte diese, trotz ihrer momentanen Blässe, der nun ein schnelles Errötheu folgte.
„Ich bitte um Verzeihung, daß ich ein so ernstes Thema berührte, aber..."
„Sie dürfen sich nicht entschuldigen, Herr Doktor; im Gegentheil, sobald ich wieder nach Wien komme, stelle ich mich zu Ihrer Disposition, um dort vielleicht den Faden aufzunehmen, an welchem wir zu der vermißten Verwandten gelangen."
„Sie sind außerordentlich gütig und verpflichten mich zum lebhaftesten Danke," versetzte der Doktor warm.
Hier kam der Kellner und machte dem Gespräch vorläufig ein Ende. — Die Damen brachten hernach im Wagen den Doktor bis zu seiner Wohnung und fuhren in's Hotel.
„Nun, — wie gefällt Dir Dein langer Vetter?" fragte Marie neckisch.
„Er ist ein Ehrenmann und das freut mich mehr, als ich Dir sagen kann," versetzte Elisabeth mit Nachdruck.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Die Herren, welche ihren Nebenmenschen gegen hohe Zinsen gelegentlich mit ihrem Mammon unter die Arme greifen, sind ein ganz apartes Geschlecht, dem gewisse Züge schon im Aeußeren gemeinsam zu sein pflegen; das Gewerbe, welches sie treiben, steht ihnen meist auf dem Gesicht geschrieben: List, Unverschämtheit und Härte prägen sich darauf aus, Zu denen sich bei Vielen, und gerade bei den Gefährlichsten, ein Zug falscher Bonhomie gesellt, welcher den Unerfahrenen um so sicherer in die Falle lockt. — Diese Kaste der Wucherer rekrutirt sich aus allen Klassen der Gesellschaft. Es cirkulirte vor etlichen Jahren in der preußischen Armee eine Liste der gefährlichsten Leute dieses Genres, nach authentischen Quellen zusammengestellt, um vor ihnen zu warnen. Auf derselben figurirten neben etlichen Bannes und Steinmeiers die Namen einiger der angesehensten Adelsgeschlechter.
Diese Leute leben von ihrem Witz, sie saugen den Leichtsinnigen und Unglücklichen erbarmungslos das Blut aus, erfinden immer wieder neue Schliche und Ränke, um den Paragraphen des Strafgesetzes zu entgehen — und werden doch gar häufig vou ihren Opfern übervortheilt. — Verluste sind bei jedem Geschäft, aber wären sie hier nicht gerade so groß, diese Leute, die bis zu dreihundert Prozent und darüber nehmen, müßten sämmtlich in kurzer Zeit kleine Rothschilds werden.
Es gibt nämlich unter ihren Klienten, man verzeihe mir den Ausdruck, — sogenannte „Pnmpgenies", welche die Berechnungen auch der verschlagensten Geldverleiher zunichte machen, die sich große Airs geben, sehr fest und Zuverlässig austreten, die Augen jener Gierigen mit Vorspiegelungen von größter Glaubwürdigkeit blenden, anfangs bezahlen, immer größere Summen aufnehmen, durch ihre bestechenden Manieren die Gläubiger immer weiter und weiter ziehen, bis jene endlich vor der Alternative stehen, wenn die Wahrheit Zu Tage kommt, entweder dem Klienten den Hals zu brechen und dann gar nichts zu erhalten, oder ihn so lange über Wasser zu halten, bis er Gehalt bekommt und zu einer melkenden Kuh für sie wird.
Egbert von Steinfurt war ziemlich schuldenfrei nach D. gekommen; irgend Jemand hatte seine Ausstände dort in Bern bezahlt. Das Wenige, was er vom Vater erhielt, reichte aber nicht im entferntesten für seine verschwenderischen Gewohnheiten aus, er begann also sofort das alte Spiel von Neuem. Die Quittungen über die großen Summen, die er dort gezahlt hatte, und seine Andeutungen von hohen