Die Erbtante von Johannes van Dewatl.
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Eitelkeit zog seiner Weltklugheit eine Binde über die Augen. Er überlegte hernach nur noch, daß die Tante, sicherlich über diese Aufmerksamkeit hoch erfreut, Hand nnd Beutel öffnen würde, und wie eres anfangen könnte, den verd ... ten Blutsaugern ^ und 6 etwas abzudrücken und es so einzurichten, daß er nicht auch noch obendrein die Schulden seines Vaters bezahlen mußte. Was blieb daun für ihn selbst!
Erst gegen Morgen schlief er ein. Zwei Stunden meinte er höchstens geträumt zu haben, als der Diener ihn weckte. Es war acht Uhr und Zeit, au seine Toilette zu denken. Schlaftrunken erinnerte er sich an das, was er vorhatte, mit einem Fluch zwischen den Zähnen stand er auf und begann sich anzukleiden. Er schaute hinaus, es war ein schöner, sonniger Tag, Karola war bereits im Garten, von seinem Fenster aus konnte er ein Stück des Pavillons übersehen.
Er rasirte sich und arrangirte sein Haar so verführerisch wie nur möglich, er bereitete sich würdig vor auf den wichtigen Schritt, den er zu thun im Begriff stand. Er besah sich zuletzt noch einmal im Spiegel, war zufrieden mit sich und ging hinunter. Eine duftende Theerose siel als Opfer, er schwenkte sie genial, siegesbewußt iu seiner Hand, begrüßte Karola und den Vater nnd steckte sie iu's Knopfloch. Eine Weile später kam dann auch Frida langsam näher, mißmuthig nnd träge ließ sie sich an dein Frühstückstisch nieder. Der Präsident blickte auf, richtete sein strenges Auge eine Weile strafend auf sie, sprach aber kein Wort, denn er liebte es nicht, sich des Morgens zu echausfiren.
Karola hielt heimlich unter dem Tischtuch eine Weile laug die Hand ihres Bruders iu der ihren und sah ihn aufmunternd an, sie fand ihn geradezu verführerisch heute. Auch Frida fiel die gewählte Toilette des Bruders auf, aber sie war viel zu indolent, um zu fragen, ob dieselbe zufällig sei oder etwas zu bedeuten habe. Sie grollte mit der ganzen Welt, denn Lieutenant Rothkirch beharrte dabei, ihr nicht zu schreiben.
Nichts ahnend von der Ehre, welche ihr heute zu Theil werden sollte, kam nach einer Weile Marie Werner herunter in den Garten. Karola und Egbert sahen einander an nnd Beiden begann das Herz zu pochen.
Sie sah entzückend aus, wie eine thansrische Knospe, in ihrem hübschen, hellgrünen Morgenkleide, welches am Halse ein kleines Stück des weißen Teints sehen ließ und aus dessen halblangen, mit einer Spitze eingefaßten Aermeln die reizendsten und appetitlichsten Arme herausschauten, welche man nur sehen konnte.
Harmlos begrüßte sie die kleine Gesellschaft und nahm neben Karola Platz. Man erkundigte sich nach dem Befinden und den Wünschen der Tante nnd begann dann ein heiteres, oberflächliches Gespräch. Trotz aller Sucht, zu gefallen, war der Assessor merkwürdig still, ihm war etwas eng um's Herz, bei aller Selbstüberhebung hatte er ein gewisses, den Athem beengendes Gefühl, gleich dem Rekruten vor dem Beginn einer Schlacht.
Marie sixirte ihn einige Male und richtete ein
neckisches Wort an ihn wegen der schönen Theerose, welche in seinem Knopfloche stak; es hätte des Zu- nickens Karola's gar nicht bedurft, mit einer galanten Floskel bot er sie der jungen Dame an. Sie nahm dieselbe, sog langsam den Duft ein und bedankte sich. — Das war ein gutes Vorzeichen; sie steckte sie aber nicht in's Haar oder an ihre Brust — am Halse trug man damals noch keine Blumen wie heutzutage — sondern legte sie neben sich auf den Tisch.
Der Vater und Frida erhoben sich nach einer Weile und ließen die Drei allein. Karola gab ihrem Bruder abermals einen Wink, stand dann ebenfalls auf unter dem Vorwände, dem Vater noch etwas sagen zu müssen, und verließ mit hochklopfender Brust den Garten, alle möglichen guten Wünsche finden Bruder vor sich hinstammelnd.
Marie empfand nicht den leisesten Zwang bei diesem tots-a-tete mit dem Assessor, ja sie bemerkte nicht einmal dessen zerstreutes Wesen, so völlig gleichgültig war er ihr; um so größer war daher die Ueber- raschung, als dieser, kaum daß Karola außer Sehweite war, sich eigenthümlich zu benehmen begann, mit Blicken und Bewegungen, sich vor und zurück neigte und offenbar einen Anlauf nahm zu irgend einer Mittheilung.
„Mein gnädiges Fräulein," begann er mit einer- gewissen Hast, „ich bin dem Zufall außerordentlich dankbar, daß er mir die Gelegenheit verschaffte, für- einige Minuten wenigstens mit Ihnen allein sein zu können."
Marie blickte aus. — „Aha!" dachte sie, „jetzt kommt eine kleine Anleihe, ich soll den Fürsprecher machen bei der Tante, Herr Leichtsinn."
„Trotzdem ich Diplomat bin," fuhr Jener mit künstlicher- Emphase fort, „so liebe ich doch die geraden Wege, bin ich ein abgesagter Feind von allen krummen Linien."
„Sie? — Als Diplomat ist das allerdings ein wenig seltsam, Herr Assessor!" versetzte Marie etwas spöttisch.
„O, mein gnädiges Fräulein, Diplomat war und bin ich nur in politischen Geschäften, niemals aber, das schwöre ich Ihnen, in der Liebe!"
„In der Liebe?" rief sie überrascht, mit weiblicher Schlauheit, aber sogleich den Jrrthum ermessend, den sie begangen hatte, und ahnend, was nun kommen würde. — Sie unterdrückte Zorn und Ekel; klug wie eine Eva fand sie sogleich das Richtige heraus, was hier zu thun sei und mit der ganzen Kunst einer dramatischen Größe machte sie sich daran, den Anfall geschickt zu pariren. Trotzdem aber konnte sie nicht verhindern, daß ihre Stirn, Hals und Wangen sich rötheten und daß der anmaßende Herr dieses Inkarnat für jenes bewußte verführerische Roth hielt, was den Freier zu den schönsten Hoffnungen berechtigt: das Morgenroth der Liebe, welches dem schüchternen Ja vorausleuchtet.
Ehe das Fräulein es sich versah, schaute er sich scheu nach rückwärts um, bog er vor ihr das Knie, streckte die Rechte beschwörend in die Luft und preßte die Linke auf das Herz.
„Mein Fräulein, ich liebe Sie! — Ich möchte sagen, ich liebte Sie vom ersten Augenblick des Sehens