Heft 
(1885) 34
Seite
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Deutsche Noman-Bititiothek.

alte Herr sah so drohend aus, daß ich das Gespräch abbrach. Erst bei der letzten Flasche wagte ich eine Aeußerung über seine glückliche Situation als Groß­grundbesitzer und zugleich eine Frage nach seinen Töchtern.

An der Telega des Glücks traben die Rosse der Sorge," ries der Alte,und was gehen Dich meine Töchter an ? Wie heißt es von den Kindern?

Wenn sie klein sind, treten sie der Mutter auf den Nock, und wenn sie groß geworden, auf das Herz, Nitschewo! Trink', Bruder, und zum Teufel alles Hauskreuz!" Und er hob das Glas und hatte Thränen in den Augen.

Beim Abschied sagte er:Ich mag Dir nichts erzählen. Wenn man einen Berg abträgt, wird wieder ein Berg daraus. Vielleicht schreib' ich Dir einmal, vielleicht auch erfährst Du's von Anderen. Menschenzungen sind wie Sturmglocken, und was Du heute der Wolga sagst, sagt die Wolga morgen dem kaspischen Meer, Nitschewo!" Und dann von diesem Thema abspringend, fuhr er fort:Ich bitte Dich, Feodorowitsch, was sind wir Bojaren heut? vor hundert Jahren noch die Herren im Land und jetzt Lakaien fremder Ideen, Nachäffer, Hanswürste, die ihren Pelz mit bunten Lappen flicken angesressen bis in's Mark von der fremden Pest, das nennen sie dann die neuen Freiheitsideen. Man möchte sich die Ohren abbeißen, wenn man's hört, und wir haben noch leicht daran zu tragen. Aber der Kaiser!

Auch ihm machen diese Windmühlenstürmer das Herz schwer. Wirst Wohl davon wissen. Mache die Augen auf. Hier im Süden in Charkow und Tult- schin, ist's noch schlimmer als im Norden. Ver­schwörung überall und am meisten in der Armee. Auch das Volk ist wie besessen natürlich, wenn dem Zaren das Herz pocht, hat Rußland das Fieber. Da reden sie von Käferfraß, von Ueberschwemmnng, bah wir leiden an geistiger Ueberschwemmnng, das ist's. Dieser heillose französische Krieg! Dort sind sie Alle toll geworden, und die besten Köpfe am meisten. Ja, wenn die Hechte nur fliegen könnten, würden die Geier schwimmen. Heilige Mutter Gottes von Kasan, was haben wir erlebt seit zwölf Jahren! Drei Dutzend Siege und den Sturz des Korsen, aber seine Ideen leben unbesiegbar fort und haben uns Zermalmt und auf's Haupt geschlagen. Gib nur Acht, wir gehen bösen Zeiten entgegen, da muß Jeder sein Haus bestellen. Leb' wohl, morgen treffen wir uns wieder!"

Und mit eiligen Schritten ging er davon und sprang in seinen Wagen. Dann wandte er sich noch einmal um und rief mir zu:

Apropos, Oberst. Die guten Gedanken und die hinkenden Schafe kommen immer hinterdrein. Du kannst in meinem Haus wohnen ans der Mias- nitzkaja, so lange Du willst. Das Palais steht leer. Lebe wohl!"

Das war nun recht gut gemeint, aber auch meine Abreise stand bevor. Am andern Tage übrigens ließ sich der alte Herr nicht mehr sehen, und auch meine Nachfrage in seinem Palais war umsonst. Es war kein Zweifel mehr, dem trefflichen Uschakoff war Schweres widerfahren. Seine Deklamationen

gegen die Neuzeit waren mir längst bekannt, denn der alte Herr zählte von jeher zu den Altrnssen. Aber seine Ausfälle schienen eine ganz besondere per­sönliche Spitze zu haben.

Einige vorsichtige Fragen bei gemeinschaftlichen Bekannten wurden ausweichend beantwortet. Von einem sogenannten Familienskandal verlautete nichts. Man sprach von Uschakoff und den Seinen überall mit der größten Hochachtung. Nur Einer, ein Handels­mann, mit dem ich verschiedene Geschäfte hatte, wollte wissen, daß die Verlobung der ältesten Tochter Uscha- koff's zurückgegangeu und daß die jüngere plötzlich verschwunden sei. Ob ein Verbrechen vorliege oder eine Entführung, wisse Niemand zu sagen.

Tief bewegt von dem Wiedersehen des alten Chefs und Freundes reiste ich bald darauf über Charkow nach Novomirgorod und ich fand es in meiner neuen Stellung beim Bug'schen Ulanenregiment behaglicher, als ich gefürchtet hatte. Trotzdem aber der Verkehr mit meinen neuen Kameraden, wie die Eindrücke der anmuthigen kleinen Stadt mit ihren Rebenhügeln mich zerstreuten, immer kehrte die Frage wieder: Wer konnte es sein, der den Frieden jener glück­lichen, hochangesehenen und reichbegüterten Familie zerstört hatte?" Das Haus Uschakoff war immer gastfrei gewesen, und die großen Jagden aus Trappen und Hühner versammelten alljährlich eine große An­zahl von Fremden und Einheimischen und besonders des Adels der Umgegend. Was konnte bei so leb­haftem Verkehr Alles möglich gewesen sein?

Aber das war es nicht allein, was mich be­unruhigte. Jene geheimnißvollen Andeutungen Uscha- koff's bestätigten sich. Eine schwere, unheimliche Wolke der Unzufriedenheit schien in der Lust zu schwebeu. Wiederholt wareu mir duukle Audentungeu zugekommeu über Umsturz und Verschwörung, aber das Unfaßbare entzog sich jeder näheren Prüfung.

So mochten einige Monate vergangen sein, und ich fand das Gleichgewicht meiner Stimmung wieder, besonders, seitdem ich mich den Arbeiten des Ver- waltungskomites des Regiments widmete.

Da war es eines Tags, als mir ein Schreiber in der Kanzlei des Komites durch seine unangemessene Haltung ausfiel. Schon vor einigen Wochen bemerkte ich in der Front des Regiments einen Unteroffizier, der durch die Zartheit seiner Gesichtszüge wie durch das Vornehme und Distinguirte seiner ganzen Er­scheinung sehr merklich von den gemeinen Soldaten abstach. Damals erfuhr ich bei näherer Erkundigung vom Eskadronskommandeur, er sei ein Ausländer, heiße Sherwood und diene als Freiwilliger mit der Berechtigung zum Offiziersrang nach zwölfjähriger Dienstzeit.

Und nun traf ich denselben Menschen, aber total verändert, in der Kanzlei. Er saß da mit verschlafenen Augen, wirrem Haar, durchgeriebenen Ellenbogen und zerrissenen Stiefeln, aus denen die bloßen Zehen hervorsahen der ganze Mensch ein Bild der Ver­kommenheit und Verwahrlosung.

Ich ließ sofort den Kanzleidirektor rufen, um die Ursache dieser Veränderung zu erfahren.

Ich wollte schon längst mit Ihnen darüber reden," antwortete der Direktor.Sherwood führt