Heft 
(1885) 34
Seite
797
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Aus der neuen deutschen Lyrik.

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sich seit einiger Zeit sehr schlecht auf. Ich habe ihm Arrest diktiren lassen, aber es Hilst nichts. Außer­dem können wir ihn nicht entbehren. Seine Sprach- kenntnisse und ausgezeichneten Fähigkeiten im Rech­nungswesen sind so eminent, daß wir ihn dulden müssen, wie er ist. Zwar haben wir unser strenges Angenmerk, daß er seinen Anzug in Ordnung hält, aber es ist Alles umsonst. Er hat sich dem Trünke ergeben ärger als zuvor."

Ich brach die Unterhaltung ab und ließ Sherwood rufen. Ich fühlte ein gewisses Mitleid mit dem jungen Mann, der seinem Verderben entgegenging, und konnte den Wunsch nicht unterdrücken, ihn wo­möglich zu retten. Eine Minute später stand Sher­wood vor mir, und ich betrachtete ihn genauer.

Der junge Mann mochte ungefähr achtundzwanzig Jahre zählen; trotz seiner Verwahrlosung war etwas Vornehmes in seiner ganzen Haltung zu erkennen. Dazu seine wirklich saszinirende Schönheit. Unter Millionen Russen hätte man diesen graziösen Wuchs, diese freie, von Locken umgebene Stirn, dieses tiefe, fast schwärmerische Auge vergebens suchen können. Sicher hatte dieser verkommene Apollino schon bessere Tage gesehen und war nicht zu so traurigem Loose erzogen.

Nachdem ich die Thür des Kabinets geschlossen, sprach ich lange und mit Wärme auf ihn ein, um sein Vertrauen zu gewinnen.

Lange erhielt ich keine Antwort. Sherwood stand schweigend und mit niedergeschlagenen Augen vor mir, von Zeit zu Zeit athmete er schwer und zer­knitterte mit der Hand seine Dienstmütze. Endlich rannen Thränen aus seinen Angen. Nun kannte ich diesen Zustand bei Wüstlingen hinlänglich, um mich nicht täuschen zu lassen; dennoch erschien es hier der ungekünstelte Ausdruck wahrer Reue zu sein. Und so ließ ich ihn ausweinen.

Endlich, als er ruhiger geworden war, sagte Sherwood:Herr Oberst, der Antheil, den Sie an mir nehmen, verpflichtet mich zu rückhaltloser Offen­heit. Ich fühle, wie tief ich gesunken bin und wie wenig ich mich rechtfertigen kann. Die Helle Ver­

zweiflung hat mich so weit getrieben, daß ich die Herrschaft über mich selbst verloren habe. Setzen Sie sich in meine Lage. Ich trat in das Regiment, lediglich in der Absicht, so bald als möglich den Offiziersrang zu erhalten. Nicht meinethalben allein einem angebeteten Wesen sollte es Rettung bringen, einer Frau, die aus Liebe zu mir ihre ganze Existenz geopfert hat. Nun diene ich schon drei Jahre ohne die geringste Hoffnung auf Avancement. Nirgend ein Ausweg aus dieser entsetzlichen Lage des Elends und der Armuth. Und dazu bin ich gezwungen, mein Geheimniß Allen Zu verbergen. Wahrlich, man sollte es verzeihlich finden, daß mir kein Mittel blieb, um Gram und Verzweiflung zu betäuben, als der Trunk. Sie sehen nun, was aus mir geworden ist. Allerdings gab es einen Ausweg. Ich konnte deser- tiren und hätte es auch längst ausgesührt. Ich war entschlossen, in's Ausland Zu fliehen, zu den Griechen, die um ihre Freiheit kämpfen. Dort hätte ich Kar­riere gemacht oder den Tod gefunden; was liegt an mir sonst. Niemand hilft den Verstoßenen und Verlorenen!"

Ich muß gestehen, die Worte des jungen Mannes gewannen mich. Seine sympathische Stimme, seine gebildete Ausdrucksweise berührten mich angenehm, und mein Entschluß, ihm zu Helsen, war gefaßt.

Beruhigen Sie sich, mein Bester," sagte ich und bot ihm Platz an meiner Seite.Ich will Ihr Vertrauen nicht erzwingen, aber wollen Sie mir Ihre Erlebnisse mittheilen, so gebe ich Ihnen mein Wort, alle mir zu Gebote stehenden Mittel aufzubieten, Ihre Lage zu verbessern." Dann bot ich ihm Tabak, und da der Samowar auf dem Tische stand, eine Tasse Thee.

Sherwood war von diesem Beweis meines Wohl­wollens sichtlich überrascht. Es that ihm wohl, endlich einmal frei reden zu können.

Er besann sich eine Weile, dann begann er zu erzählen. Seine Befangenheit schwand mit jedem Wort mehr und mehr, und ich will versuchen, seinen Bericht in aller Kürze mitzutheilen.

(Fortsetzung folgt.)

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Aus der neuen deutschen Lyrik.

Allerheiligen. Von H. jplaß.

(Ungedruckt.)

Tief im dunklen Thale Rauscht der Wasserfall, Pell im Sonnenstrahle Ruh'n die Pöhen all'.

Auf den grünen Matten Goldne Lichter glüh'n, Graue Abendschatten Ucber Wälder zieh'n.

Rächt in hehrer Feier Breitet feucht und sacht Ihren Friedensschleier lieber Berg es pracht.

Still in dich versunken, Pehre Gotteswelt,

In mein Perz ein Funken Deiner Größe fällt,

Und vor deiner kühlen, Ernsten Majestät All' mein stolzes Fühlen In ein Nichts vergeht.

Lehr' es mich empfinden, In dir aufzugeh'n, wie ein Pauch in Winden Spurlos zu verweh'n!