Heft 
(1885) 34
Seite
799
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Graf petöfy von Theodor Fontane.

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Und der nennt sich?"

Ein liebenswürdiger Egoist Zu sein. Ehedem durftest Du das. Aber Du bist heute nicht mehr Der, der Du vor einem Jahre warst, und hast heute kein Recht mehr, so bongre malgrs von Deinem gewohnheitsmäßigen Zweiten Dezember zu sprechen."

Ich verstehe Dich nicht."

O, Du verstehst mich sehr gut; ich seh' es an dem Zucken um Deinen Mund. Aber ich kann Alles, was ich Zu sagen habe. Dir schließlich in einem ein­zigen Worte sagen und dieß eine Wort ist ein Name."

Hat sie geklagt?"

Mit keiner Miene; solche Naturen klagen nicht. Aber ob sie nun geklagt hat oder nicht, das bleibt bestehen: Du muthest ihr mehr zu, als sie tragen kann. Und wenn ich vorher von Wien sprach und von unserer Abreise dahin, so heißt das einfach: sie muß aus dieser Einsamkeit heraus."

Einsamkeit. Was heißt Einsamkeit? Ich Hab' es in ihre Wahl gestellt, ob sie Besuch haben wolle oder nicht, und Hab' ihr beispielsweise von Phemi gesprochen. Sie hat es aber abgelehnt. Das war, ehe ihr kam't, ja, ehe wir wußten, daß ihr kommen würdet. Nun seid ihr seit einem Monat hier, und jeder Tag ist so bunt wie das Laub im Park draußen und so plapperhaft wie ein Elsternest. Ist das Einsamkeit? Du bist hier, Egon ist hier, und znm Ueberslnß ot pour eombler Io boullour, sorgt auch noch der Himmel für entführte Kinder, für Schiffbrnch und Abenteuer."

ERn deßhalb," unterbrach hier die Gräfin und verließ langsam das Zimmer. Es war fast, als ob sie darauf gerechnet habe, von ihm zurückgernsen zu werden.

Aber seine Verwirrung war zu groß, so groß, daß er in Schweigen verharrte. Sein Auge röthete sich, wie es stets geschah, wenn ihn ein Gegenstand erregte; dann warf er die Cigarrette durch die Balkon­thür, nahm ein Buch, das auf dem Nebentische lag, und blätterte mit dem Finger über den Rand hin, wie wenn man über ein Spiel Karten fährt. Er war bis in's Tiefste getroffen. Aber feine vertrauens­selige Natur überwand es wieder, und indem er eine Zeitnngsspalte hastig mit dem Auge durchlief, ohne sich im geringsten um den Inhalt zu kümmern, sprach er vor sich hin:Es ist Judith, wie sie leibt und lebt, und ich werde sie nicht ändern. Die hellste Seele von der Welt und dabei passionirte Schwarz­seherin. Ueberall geheimnißt sie was hinein. Das hat sie sich von den Pfaffen angenommen, die sich nichts vorstellen können ohne Dunkel, Komplot und Jntrigue. Welche Widersprüche leben doch in unserer Natur; sie selbst hat nie den kleinsten Höllenfaden gesponnen, und wenn der Himmel der Hölle Preis wäre, sie würde diesen Faden nicht spinnen können. Aber weil sie von Jugend auf gehört hat, es gebe dergleichen in der Welt, so sieht sie's nun überall, llebrigcns ist es leicht, Rath zu schaffen. Egon hat sich eben verabschiedet, und so paßt es für heute nicht; aber was heute nicht paßt, paßt morgen, und morgen mit dem Frühesten werd' ich ihn stellen und ihm rund heraus erzählen, was der Tante Judith auf der Seele brennt."

Er wiegte sich, als er so sann, in dem Schaukel- ftuhle hin und her und ging dabei das Gespräch, das er mit Judith gehabt hatte, noch einmal durch. Wie verlies es doch? Ich hatte von Egon ge­sprochen. Aber Egon war nicht das letzte Wort... Schiffbrnch und Abenteuer sagte ich und dann ant­wortete Judith: ,eben deßhalbll"

Er sprang auf und schlug sich vor die Stirn. Wenn..." Aber er wurde seiner Erregung aber­mals Herr.Unsinn! Es ist Judith; e'68t tout. Woher will sie's wissen? Als ob sie mit im Boot oder wohl gar mit in dem räucherigen Fährhaus gewesen wäre. Sie braucht Geschichten und macht sie sich, das ist Alles. Und am Ende warum nicht? Die Menschen machen sich ihre Götter, warum sollen sie sich nicht auch ihre Geschichten machen? Be­dürfnis und Angebot, das alte Lied. Uebrigens freu' ich mich auf das Gesicht, das Egon..."

In diesem Augenblick trat Andras ein, um den Frühftückstisch abzuräumen.Der weiß es," schoß es dem Grafen durch den Kopf, und ehe er noch einen bestimmten Plan fassen oder zu reiferer Ueber- legung kommen konnte, fuhr es schon aus ihm heraus: Andras, mein Junge, ich habe Dich so gut wie noch nicht gesehen, seit Du mit aus dem See warst. Hast Dich tapfer und brav gehalten, hat mir die Gräfin erzählt, und Graf Egon..."

Der Junge lächelte.

Sieh', das hör' ich gern, Andras, und Dil kannst Dir auch etwas wünschen, jetzt gleich oder wenn Du 'mal groß bist und eine Braut hast, hier oder in Wien. Aber hübsch muß sie sein, hörst Du! Bist ja selber ein hübscher Jung'. Und dann heirathest Du sie .. ."

Will nicht, Graf."

Will nicht. Was heißt will nicht? Du wirst schon wollen. Und dann kommen wir Alle zu Deiner Hochzeit, ich und die Gräfin und Graf Egon. Ja, die Gräfin und Graf Egon auch; die gehören ja jetzt zusammen, weil sie zusammen in dem Boot und in der Gefahr waren. Und Gefahr schließt die Men­schen zusammen, das weiß ich ... Und Du hast nichts auf dem Herzen? Und hast mir nichts zu sagen, Andras?"

Nein, Herr."

Und weißt nichts?"

Nein, Herr."

Und willst auch nichts wissen?"

Andras hatte seinNein, Herr" schon ein drittes Mal auf der Zunge, besann sich aber rasch und sagte, während er sich vor dem Grafen aufrichtete: Was, Herr?"

In dem Tone lag etwas, was den Grafen be­schämte.

Nichts," sagte dieser ruhiger.Es ist gut so. Wir gehen in dieser Woche noch nach Wien. Und Du mit."

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Eine Woche später war man wieder in Wien.

Der Graf hatte noch am selben Tage, wo sein Gespräch mit Judith stattgefundeu, seinen Entschluß ausgesprochen, als Reisemarschall voraufgehen und