Die Erbtante von Johannes van Dewatl.
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was er besitzt, und brauchte Helene weniger zu ängstigen und zu tyrannisiren. Aber mit Kranken muß man Mitleid haben und so bitte ich, thun Sie es, wenn nicht seinetwegen, so doch seiner liebenswürdigen Tochter wegen, und veranlassen Sie die Tante, ihm ebenfalls zu schreiben.
„Auch ich leide unter dieser Abreise; ich bin kein großer Verehrer unserer Tante, möchte, offen gesagt, auch nicht in den Verdacht kommen, als ambirte ich auf ihr Vermögen, denn ich habe die Erfahrung gemacht, daß nur Das rechten Werth hat, was man sich selbst erwirbt, und ich verdiene mehr, als ich brauche, aber ich vermisse Sie, Fräulein Werner, und denke mit Freude und Schmerzen an die fröhlichen, genußreichen mit Ihnen verlebten Abende.
„Mein eintöniges Dasein vergoldete plötzlich ein Sonnenstrahl, nun er erloschen ist, — wenn auch hoffentlich nicht für immer, das verhüte Gott! — sage ich wie Heine:
,J>i mein gar zu dunkles Leben Strahlte einst ein süßes Bild;
Nun das süße Bild erbliche»,
Bin ich gänzlich nachtmnhüllt?
„Heine ist ein großer Dichter und ein Pessimist, ich bin Keines von beiden, ich singe auch nicht wie die Kinder im Dunkeln, sondern stürze mich der Arbeit in die Arme, aber Vergessen finde ich nicht. So ist es mir denn eine wahre Wohlthat, zu schreiben, und diese verdanke ich Ihnen. Ich bitte Sie herzlich und inständig, geben Sie mir Nachricht und dann — Sie vergaßen in der Eile Ihrer Abreise das Versprechen zu erfüllen, — senden Sie mir die Bilder, welche Sie mir freundlichst znsagten, und senden Sie sie bald!
„Ich hoffe, das Klima von Nizza wird Ihnen Zusagen, und die armen braunen Sonnenkinder klappern nun nicht mehr fortwährend mit den Zähnen, ich hoffe ebenso, daß Sie gute Nachrichten von Fräulein Wild haben, und bitte mich derselben auf das Angelegentlichste zu empfehlen; sie möge mich nicht ganz vergessen in der Heimat. — Ihnen darf ich es sagen, — Sie wissen es ja, welch' einen tiefen und bleibenden Eindruck Ihre Freundin auf mein Herz gemacht hat: erst seit sie fort ist, fühle ich, was sie mir ist, lind daß mein Dasein ein freudloses, ja ein elendes sein würde ohne sie. Aber ich schwieg absichtlich, denn in eine Ehe stürzt man sich nicht kopfüber, ohne sich zu kennen, wenn man diese und die Person heilig hält, die man liebt. Darum ließ ich Fräulein Wild abreisen, ohne ihr von meinen kühnen Wünschen zu sprechen, damit sie Zeit hätte, fern von mir zu überlegen und sich zu prüfen, doch in der festen Hoffnung und mit der Bitte zu Gott, sie möge wiederkehren, bald, recht bald, und mich noch mit denselben freundlichen, beseligenden Blicken betrachten, wie vormals. — Wenn sie das thut, — dann will ich sprechen, dann will ich ihr sagen, daß ich sie liebe mit allen Kräften meiner Seele, und daß mein Wohl und Weh in ihrer Hand liegt.
„Sagen Sie davon kein Wort; ist es Liebe, welche Elise für mich fühlt, dann wächst die Zarte Pflanze in der Entfernung und erstarkt zu einem Baum; war es nur ein flüchtiges Gefallen, dann wird sie
verwelken und ich werde sehr, sehr unglücklich sein, aber um keinen Preis möchte ich die Entwicklung in ihrem Innern beeinflussen, denn ich habe den Mannesstolz, daß ich um meiner selbst willen und innig geliebt sein will. Sonst ist Entsagung mein Loos. Aber das verhüte Gott!
„Ich sende Ihnen und der Tante alle meine guten Wünsche und bitte Sie, Fräulein Wild von mir zu grüßen. — Ist es Ihnen möglich, mir an- Zugeben, in welcher Zeit ungefähr dieselbe hieher znrückzukommen gedenkt? — Was hat die Tante für Plane, — kehrt sie mit der milden Jahreszeit nicht auch vielleicht wieder hieher zurück? Ich würde diesen Entschluß mit großer Freude begrüßen.
„Und nun behüte Sie der Himmel! Ich bitte, antworten Sie bald
Ihrem
sehr ergebenen
Rudolf Arnstein."
Marie Werner ließ den Brief sinken, — lächelnd erst und dann nachdenklich sah sie hinaus ans das weite, leicht bewegte Meer.
„Alles liebt sich um mich her, nur ich gehe leer aus. — Welch' eine schale, undankbare Rolle, überall nichts Anderes zu sein, als die Vertraute... in meinen Jahren!"
Aber schon glitt ein warmer Schein über ihr frisches, hübsches Gesicht und machte sie unendlich reizend.
„Er liebt sie — das ist gewiß," murmelte sie, „dabei ist er stolz wie ein Spanier. .. Und sie? — welch' ein Glück! — Nun hat sie, was sie suchte, die Gute. — Glaub' ich doch wirklich, sie gäbe das ganze Geld, sie würfe es in's Meer, ehe sie den langen Doktor ließe. — Was für Geschöpfe sind wir doch!... Wenn sie das hier liest, das gießt Oel in's Feuer, aber sie soll noch warten bis heute Nachmittag nach dem Speisen, sonst rührt sie wieder nichts an, und magerer geworden ist sie ohnedem schon. — Wie Liebe Zehrt!"
Sie legte Hut und Mantille ab, schloß die Thüre zu, damit man sie nicht störte, und holte die Schreibmappe. Einen Augenblick sann sie nach, dann begann sie zu schreiben:
„Sehr geehrter Herr Doktor!
„Ihr Brief hat mir eine große Freude bereitet, ganz abgesehen davon, daß er mir eine angenehme Unterbrechung gewährte, denn gar zu kurzweilig ist's hier eben nicht; es lauern viel zu viel Schlangen in diesem Paradiese, als daß ein rechtschaffenes Frauenzimmer sich hier Wohl fühlen könnte, welches noch dazu keine andere Stütze und Gesellschaft hat, als Ihre Tante Karoline Macduff."
Hier lächelte die Schreiberin still in sich hinein.
„Außer vielen anderen Leuten, meine ich, enthält die hiesige Gesellschaft eine ganze Mnsterkarte der verschiedensten Exemplare des Auswurfs der ganzen Welt. Talmi gilt hier als echtes Gold, wenn cs nur recht funkelt, ein Jeder ist, was er scheint, und nennt sich, wie er Lust hat. Es gibt hier Grafen und Fürsten, von denen man munkelt, sie seien falsche Spieler oder noch Schlimmeres, und Marquisen und Gräfinnen von den Pariser kleinen Theatern oder