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(1885) 34
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Deutsche Noman-Bibliothek.

aus Lerchenfeld. Sie sehen im Jardin publique, im Kasino und am Strande alle Nationen, Sprachen und Hautfarben vertreten und bemerken bald, daß sie in zwei Punkten Alle sich gleichen: ein Jeder will sich amüsiren und blenden! Die Frauen machen exotische Toiletten, die Männer sind frech und verletzen oder verjagen jede anständige Frau durch ihre unverschämten Manieren.

Wir wohnen hier im Fremdenviertel in einer- hübschen Villa, mit einer köstlichen Aussicht ans Stadt und Meer, und der November ist hier so sonnig und belebend, wie bei Ihnen der Mai oder Juni. Und das ist ein Trost, denn außer einer täglichen Spazierfahrt haben wir keinerlei Zerstreuung.

Sie verstehen nun, Herr Doktor, daß ich eine ungemeine Freude über Ihren Brief empfinde. Er versetzt mich in bessere Zeiten zurück oder gibt meiner Phantasie eine willkommene Anregung, mich in die­selben zu vertiefen.

Ich will ihn nun der Reihe nach beantworten.

Was zunächst unsere schnelle Abreise von D. anbetrifft, hier die Erklärung: Sie wissen, daß Ihre Frau Tante vor Ihrem Eintreffen geschrieben hatte, sie beabsichtigte bei beiden Brüdern zu wohnen, unter bestimmten Bedingungen, die ihre Lebensweise noth- wendig machte. Ich sage Ihnen nun aber nur für Sie allein, wie Sie ja überhaupt der Einzige vor: Allen sind, der weiß, daß wir uns hier befinden im Vertrauen, daß Ihre Frau Tante einen solchen Widerwillen gegen den Herrn Kommerzienrath Leopold in der Zeit ihres Dortseins faßte, daß sie mehr und mehr entschlossen war, nicht unter sein Dach zu gehen. Wahrscheinlich in Folge davon, daß er, wie Sie sagen, Kenntniß von einem größeren Geschenk seitens der Tante an seinen Bruder erhalten hat und diesen beneidete oder beargwöhnte, begann er die gute alte Dame zu quälen, spielte den Beleidigten, bombardirte sie mit Briefen, kurzum, bestand mit Hartnäckigkeit darauf, daß diese zu ihm zöge.

Zu gutherzig, um offen zu verletzen, aber fest entschlossen, dieses nicht Zu thun, gebrauchte die Tante zuerst die Ausrede, sie habe gehört, seine Villa sei feucht, und ergriff, als er dieses mit Entrüstung als eine böswillige Verleumdung erklärte, die Flucht. Ich hätte Ihnen gern früher eine Aufklärung gegeben, aber man hatte es mir untersagt. Die Gründe, welche man angab, als man seinen plötzlichen Ent­schluß ankündigte, waren die von Ihnen in Ihrem Briese erwähnten. Mit dem Frieren der beiden Sonnenkinder hatte es übrigens seine Richtigkeit, die Geschäfte aber hatten keine Eile. Ein reellerer Untergrund war wohl noch eine gewisse Unruhe, die Ihre Tante befällt, wenn sie lange an ein und dem­selben Orte ist, sie ist gewöhnt zu reisen.

Aus Furcht, hauptsächlich vor dem Onkel Leo­pold, gaben wir Fersengeld, gaben wir an, nach London zu reisen. Unser großes Gepäck wurde wirklich dorthin expedirt und John fuhr mit bis Calais. Nachdem er aus eine höchst drollige Art den bösen Onkel, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, der Tante zu folgen und eine Erklärung von ihr zu fordern, ans eine falsche Fährte zu leiten ge­wußt, traf er uns in Straßburg, wohin wir gereist

waren, ohne daß der Verfolger eine Ahnung davon hatte, daß wir ihm entwischt waren. Das erfuhr er vermuthlich erst am nächsten Tage in London, denn der böse John, mit dem der Onkel, um ihn ansznforschen, nicht zu stolz war, ein Glas Wein in: Hotel Maurice zu leeren, hatte den Hartnäckigen unter den Tisch getrunken und ihn dann um sieben Uhr Abends aus den Dampfer gebracht, ihn dort sicher festgestaut und in aller Stille den Rückweg angetreten.

Er erzählte uns das mit seiner trockenen Drollig­keit, er hätte von Köln aus einen ganzen Wagen gemiethet, hinter dessen herabgelaffeuen Stores wir Anderen verborgen sein sollten, auch angegeben, wir blieben in dem Wagen bis zur Abfahrt des Dampfers, was um so glaubwürdiger klang, als der Schienen­strang bis unmittelbar an den Landungsplatz geht und die Passagiere zum großen Theil dort ein- oder aussteigen. Kurzum, wir waren ihn los und fuhren in kleinen Etappen über Lyon nach Marseille, hier gab die Tante mit schwerem Herzen, begleitet von John, ihre beiden indischen Diener auf einen Dampfer der Gesellschaft Rubbatini, um sie sicher in ihre Heimat zu spediren, da sie fürchtete, das europäische Klima könnte sie tödten. John begleitete sie bis Suez, von wo aus sie sicher waren, Landsleute auf dem Schiffe zu treffen. Mit Empfehlungen an den Anwalt in Kalkutta gingen sie an Bord. John traf uns hier in Nizza, wo wir uns unterdessen häuslich eingerichtet haben. Wir befinden uns sogar in dem Besitz eines eigenen Fuhrwerks seitdem. Unter uns, ich sehne mich trotz Allem lebhaft nach D. zurück und ich vermuthe, der Tante geht es nicht viel besser; sie behauptet, sie könne die feuchte Lust nicht vertragen, ihre rheumatischen Leiden verschlimmerten sich, und schimpft über Theuruug und zudringliche Menschen. Sie thut das nicht mit Unrecht, denn mit unglaublicher Frechheit suchen allerhand vornehme und geringe Abenteurer zu der indischen Millionärin zu gelangen. So hoffe ich denn bestimmt, daß sie mit dem Beginn des Frühjahrs nach D. zurückkehrt. Ich bearbeite sie ein wenig in diesem Sinne, im eigenen Interesse.

Sehr leid thut es mir, daß sich Ihre Ver­wandten dieser allerdings etwas sluchtähulichen Ab­reise halber allerhand Gedanken machen, ich werde dafür sorgen, daß dieselben beruhigt werden. Aus ihren Briefen, die wir über London erhielten, klang eine derartige Besorgniß allerdings heraus, aber nicht so offenkundig, daß sie uns bis jetzt zu einer Berichtigung veranlaßt hätte; das soll nun gleich und in der liebenswürdigsten Form nachgeholt werden, verlassen Sie sich daraus. Und nun zu dem interessan­testen Theile Ihres Brieses! Zuerst danke ich Ihnen für das Vertrauen, welches Sie mir schenken; es beglückt mich hoch und doppelt, denn ich liebe Elise zärtlich und weiß kein zweites Wesen aus der Welt, das zugleich durch seinen vortrefflichen Charakter und Herzenseigeuschaften so hoch in meinen Augen stünde, als sie. Ich freue mich nein, ich danke dem Himmel, daß Sie sie lieben, und würde trotz eines Gefühls von Eifersucht, welches nur zu natürlich ist, sehr glücklich sein, wenn sie dieses Gefühl in