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Deutsche Roman-Bibliothek.
„Lisel — Lisel! — Du kommst mir heute ganz seltsam vor," sprach Marie, sie von der Seite anschauend, mit einem kleinen Schelm um den rosigen Mund, während ihre Augen ernst und forschend blickten. — „Ich glaube gar, Du machst Dich noch krank mit allen Deinen Selbstquälereien. Und wenn Du dann elend bist, dann ist kein Doktor hier!..." Elisabeth erröthete sichtlich, ihre Augenlider Zuckten nervös.
„Nun, — glücklicherweise habe ich wenigstens eine Arznei für Dich .. . Hier lies, Du schwer von Eros' Pfeil Getroffene, und athme freier." Sie nahm Elisabeth's Hand, nickte ihr zu. — „Das lies und werde gesund!"
Sie griff in die Tasche, warf Elisabeth den Brief in den Schooß und machte sich wieder an's Blumensuchen, obgleich hier gar keine zu sehen waren.
„O! — warum gabst Du mir ihn nicht früher?!" rief Elisabeth vorwurfsvoll, als sie die Schriftzüge erkannte.
„Du hättest voraussichtlich keinen Bissen angerührt heute Mittag und Du fällst vom Fleisch!" rief Jene und entfernte sich immer weiter.
Heftig bewegt, mit Thränen des Glücks in den Augen saß Elisabeth da und las den Brief immer auf's Neue und küßte ihn, drückte ihn an ihr stürmisch klopfendes Herz und lispelte den Namen des Geliebten.
Was hatte sie nicht um ihn gelitten, und wer ermaß nun ihr Glück, — und ihre Sehnsucht!
Einunddreißigstes Kapitel.
Seit jenem Nachmittage war Elisabeth von einer seltsamen Unruhe beherrscht, war so verändert, daß Marie, ihre beste Freundin, sie kaum wieder erkannte. Ihre sonst so gleichmäßige, angenehme, von Menschenliebe und Heiterkeit durchwärmte Stimmung war dahin; bald weinte sie, bald lachte sie, bald gab sie sich den ausschweifendsten Besorgnissen hin, bald sang sie, hell und schmetternd wie eine Lerche im Mai.
Jenen Brief hatte sie behalten und Marie erinnerte sie natürlich mit keinem Worte an das Zurück- geben. Er war ihr Talisman, ihr größter Schatz. — „Ich glaube, ihre fünf Millionen find ihr nicht so lieb, als das Stück Papier," sagte diese oftmals zu sich selbst, mit einem fast naiven Staunen, denn so oft sie auch die Liebhaberin gespielt und gesungen hatte auf den Brettern, die Liebe so unter der Lupe zu beobachten, hatte sie noch niemals Gelegenheit gehabt.
Das war ja ein wahrer Feuerbrand... wer hätte das geahnt! ... Ob ,sie es wohl auch einmal so treiben würde, wenn ihr Stündlein schlug?
Die Korrespondenz mit dem Doktor ging jetzt lebhafter, auch hatte man gleich sehr beruhigende Briefe über London nach D. geschrieben, so daß dort Alles in Ordnung war. Der Doktor schrieb auch häufig wieder, aber niemals wieder so offen wie in seinem ersten Briefe; dagegen las man die Sehnsucht nach der Geliebten zwischen den Zeilen nur zu deutlich heraus, hiedurch wurde aber natürlicherweise auch Elisabeth's Sehnsucht jedesmal wieder
lebhaft angeregt... die Aermste, sie hätte Flügel haben mögen und Zitterte dennoch vor einer Entscheidung.
Marie versuchte es vergeblich, sie zu zerstreuen, trotzdem sie erfinderisch genug war, nur wenn sie von D. und vom Doktor Zu sprechen begann, lebte Elisabeth auf, und wenn sie dieselbe versicherte, wenn der Doktor sie liebe, werde er sie sicherlich auch recht beurtheilen, fiel sie ihr um den Hals.
Schon jetzt aber sah die kluge Freundin, daß ein solcher Zustand auf die Dauer unhaltbar sei, daß ihre Tage in Nizza deßhalb gezählt waren, hätte sie nicht ernstlich gefürchtet, daß nach einem längeren Aufenthalt in Italien ein nordischer Winter Elisabeth's Gesundheit ernstlich schaden könnte; sie würde derselben gleich zu einer Abreise nach D. gerathen haben, so aber hielt sie es für angemessen, Zeit zu gewinnen, den Januar und Februar womöglich noch auf einer Uebergangsstation zu verbringen. Sie machten Ausflüge nach Mentone und San Remo, damit Elisabeth neue Eindrücke in sich ausnähme, sie fuhren selbst nach Genua und Florenz, aber überall blieben sie nur kurze Zeit, nirgends hatte die liebende Seele Ruhe.
Gegen Ende Dezember kam ein Brief vom Doktor, welcher diese ganz besonders anfregte: Jener schrieb, er sei zu dem Maler des Porträts von Fräulein Wild gegangen, um, wenn möglich, sich eine Kopie desselben zu verschaffen; man hätte ihn abschläglich beschieden, mit dem Bemerken, die Dame heiße nicht Fräulein Wild, sie sei eine Miß Herford, cs läge seinerseits entschieden hier ein Jrrthum vor.
Marie erschrak, so heftig erbleichte Elisabeth; — auch das noch! — Warum mußte der Doktor aber auch zu dem Maler gehen? ... Hatte sie ihm nicht Photographieen genug gesandt von dem Gegenstände seiner Glut!
Nur schwer gelang es ihr, die Freundin zu beruhigen. Dem Doktor schrieb sie zurück, das Alles hätte seine Richtigkeit; beim Wiedersehen würde Fräulein Wild es ihm persönlich auseinandersetzen. Schon im März glaube sie, daß dieselbe nach D. reiste, setzte die Schlaue hinzu. Es kam das Weihnachtsfest — die Tante schickte reiche Geschenke nach D. an die Verwandten, auch an den Doktor natürlich, das alte Jahr machte dem neuen Platz, man war schon ein gutes Stück im Januar, da fing Elisabeth ernstlich an zu kränkeln — die Sehnsucht zehrte an ihr, sie hatte weder Appetit noch Schlaf.
„Wenn wir uns in kleinen Etappen auf den Heimweg machten," dachte Marie, „vielleicht würde sie gesünder." An dem Eifer, mit dem Elisabeth ihren Vorschlag aufnahm, konnte sie von Neuem ermessen, wie es in derselben anssah. Nur den einen Gedanken kannte sie noch, nur den einen Wunsch!
Sie fuhren nach Marseille und von dort nach Paris. — Zu Anfang Februar kam sehr überraschend dann ein Brief an in D., worin die Tante Karoline klagte, das Klima in England sage ihr nicht Zu, und ansragte, ob sie wohl noch auf einige Zeit Gastfreundschaft bei ihrem lieben Vetter Konrad genießen könnte, bevor sie für die Zukunft bestimmte