Issue 
(1885) 34
Page
811
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

Die Erdtante von Johannes van DewaU.

811

Entschlüsse faßte. Die Antwort kann man sich denken: mit tausend Freuden hieß man sie will­kommen.

Das war Mariens Werk. Schwankend zwischen Furcht und Hoffen rieb Elisabeth sich auf, diesem Zustande mußte ein Ende gemacht werden, unter jeder Bedingung. Ihre Furcht war eine Chimäre. Außerdem wenn sie den Gegenstand ihrer Nei­gung sah, würde sie genesen. Um dieß zu können, hielt sie es für passend und beredete Elisabeth dazu, noch für eine kurze Zeit ihre Komödie fort- zusetzen. Wie ein Wiedersehen und Aussprechen herbeiznsühren sei, das würde sich finden. Wäre Elisabeth einfach als Elise Wild zurückgekommen ohne ihre Verwandten, es hätte schwer gehalten, von einer Annäherung den Schatten des Unpassenden ab- zustreisen.

Kann: war des Onkels Brief in ihren Händen, so reiste John nach London, um einen Theil der großen Bagage zurückzuholen, und kaum war er mit derselben zurück und Alles wohl vorbereitet, so brach man auf nach Deutschland.

Zweiullddreißigstes Kapitel.

Der stille, langentbehrte Zauber eines deutschen Winters umgab mit einem Male die aus heißen Zonen Heimgekehrte, tausend Erinnerungen weckte er in dem Herzen derselben, an ihre Kinderzeit, an ihre Schuljahre und an ihre längst verstorbenen Eltern. Ihre elegisch gestimmte Seele vibrirte wunderbar, Weinen und Lachen traten in ihre Seele beim An­blick des'Schnees.

Zwar waren einige Flocken schon in Nizza ge­fallen und in Paris sah sie Straßen und Dächer mit Reif bedeckt, dann aber kamen Wochen mit Regen und Schmutz; auch auf der Reise hatte es gestürmt und geregnet. Als sie aber jetzt in Deutschland zum ersten Male erwachte und die Gardinen znrückschob, schüttelte Frau Holle die Betten, daß es eine Freude war; wie im lustigen Tanze wirbelten die großen weißen Flocken durcheinander, es wurde Einem beinahe schwindlig, wenn man längere Zeit hineinsah in das Getreibe oder gar einzelne Flocken verfolgen wollte.

Wie oft hatte sie nicht gerade so gestanden und so geschaut in früheren Jahren, seit sie denken konnte!... Dieses weiße Tuch, das sich wob aus Millionen von Flocken, es deckte nun die Gräber ihrer Eltern, die sie so sehr geliebt hatten. Leb­haft standen Beide plötzlich vor ihrer Seele, die gute, sanfte Mutter, mit ihren großen, treuen Augen und der arme, von Kummer gebeugte Vater. O, wären sie noch am Leben, dann wüßte sie doch, was sie mit ihrem vielen Gelde anfinge, dann wollte sie ihnen den Rest ihres von Sorgen geplagten Daseins versüßen und hätte selbst eine sichere Stelle, wo sie ihr Haupt niederlegte.

Du wirst Dich erkälten," mahnte Marie, noch ein wenig verschlafen, von ihrem Lager aus.

Elisabeth hing sich ein warmes Tuch um und schaute wieder hinab auf den verschneiten Hof und Garten, ans die von der weißen Last herabgebogenen

Zweige der Bäume und auf die Dächer, auf welchen die frechen Spatzen sich lärmend im Schnee tummelten.

Dort unten, aus dem Rasen, der jetzt bedeckt war vom Wintertuche, hatte sie neben ihm gestanden, dort hatte Rudolph seinen Arm um sie geschlungen und sie zum Tanze geführt. Dort war sie so glück­lich gewesen für wenige kurze Stunden! . .. Jetzt wußte sie, daß er liebte, aber nicht sie, die falsche Tante, die falsche Miß Herford, die ehemalige Schau­spielerin Lisa Lutz, sondern ein Fräulein Wild, die gar nicht existirte. O, wie schwer sie litt unter diesen Gedanken!

Hab' ich Dir nicht gesagt, Du würdest Dich erkälten, Leichtsinnige," sprach Marie, welche leise zu ihr getreten war.Du schauerst... Du wirst Dich krank machen und dann muß der Doktor kom­men. Allons, in's Bett!"

O, laß mich noch ein wenig, es wird mir nicht schaden," bat Elisabeth.

Da sieh' das ist ein Wetter für Solche da, aber nicht für indische Tanten," scherzte Marie und deutete hinab, wo eben die Stallthüre aufging und der Lieutenant mit seinem Affenpintscher heraus­trat. Sie nahm sie beim Arm, zog sie fort und deckte sie warm zu.

Ich habe nämlich einen Plan," fuhr sie fort, den würdest Du mir verderben, wenn Du Dir den Schnupfen holtest. Mein Vorschlag wird Dir gewiß gefallen, ich möchte nämlich einmal im Schlitten fahren."

O ja im Schlitten!" rief Elisabeth freudig einstimmcnd.

Bleib' ruhig liegen und höre Zu . . . John läßt Niemanden herein, Du bist angegriffen von der Reise, arme Tante. Derweilen schmuggle ich Dich hinunter und wir machen verschleiert eine lustige Fahrt mit einander, fahren auch beim Doktor seinem Hause vorbei."

O Marie, führe mich nicht in Versuchung!"

Thue mir nur den einzigen Gefallen und falle nicht zu guter Letzt noch ans der Rolle. Du weißt doch, was Lewitzki in Wien uns stets predigte: die Kunst, der Effekt muß sich steigern bis zu Ende, der Darsteller muß immer größer werden, wachsen förmlich hinauswachsen aus der Nolle gegen den Schluß hin, damit das Publikum immer mehr illusionirt und fortgerissen wird und am Ende ein lebhaftes Bedauern empfindet, wenn der Vorhang fällt."

Und den Applaus darüber vergißt. Ach! liebe Marie, Hütte ich doch niemals Komödie ge­spielt!"

Nun, das ist schön, Undankbare! . . . Hättest Du dann Deinen charmanten Vetter kennen gelernt in Bern und wärest Dil jemals mit dein Doktor in Berührung gekommen?!. . . Siehst Du, Herzel, Niemand ist im Stande, Dich gesund zu machen, wie Der. Nein, werde nicht roth und schau' nicht weg. Brauchst Dich gar nicht zu schämen. Aber das merke Dir, verliebte Leute sind wie die Kinder, nicht zurechnungsfähig; sie bedürfen eines Mentors, sonst machen sie Dummheiten . .. Dein Mentor bin ich und ich fordere strengen Gehorsam."