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Deutsche Noman-Bililiothek.
„Thue, was Du willst, Du warst immer die Bessere uud Klügere von uns Beiden," erwiederte Elisabeth mit einem Seufzer.
„Nun, das ist brav! — das Kompliment weise ich zurück, aber den Gehorsam acceptire ich. — So höre denn: wir fahren hernach einmal bei dem Doktor vorbei, noch mehr, ich schicke eine Karte hinaus und bitte ihn zu kommen; — ich habe nämlich Halsschmerzen. Ich opfere mich, denn mit Dir will er bekanntlich nichts zu thun haben."
Elisabeth sah sie mit großen Augen an, aber sie schwieg.
„Ich thue das, damit Du heute wie ein vernünftiger Mensch zu Abend speisest, denn wirklich etwas mehr Fülle thut Deinen Wangen noth. Nun, die Liebe zehrt und that's zu allen Zeiten, sogar schon im klassischen Alterthum."
„Ich weiß es, ich sehe sehr häßlich ans."
„Geschmackssache! — Ich werde dem Doktor natürlich auch von Deinem Rheumatismus erzählen und Du kannst ihn wieder einen langen Faulenzer schimpfen."
„Marie!"
„Jedenfalls wird er das Gespräch auch auf Fräulein Wild bringen; da werde ich ihm die schönsten Sachen erzählen. Eins nur bitte ich Dich, schau' ihn nicht gar so verliebt an, wenn er kommt, er erschrickt sonst — für alles Andere garantire ich. Mich muß er täglich besuchen, wo möglich zweimal, damit Du Dich an seinen Anblick erst wieder gewöhnst. — So... ich stehe jetzt aus und mache Toilette; John
besorgt um elf Uhr den Schlitten. Apropos —
um einen Anspasser sind wir ärmer. Karola vertraute mir gestern Abend in aller Eile in Zähren schwimmend an, ihr armer Bruder wäre nicht zu
Hause, — er hätte Pech gehabt... er brummt
wegen Schulden."
„Das bedaure ich," versetzte Elisabeth lebhaft, sich aus den Ellenbogen aufrichtend. „Aber davon später, gut.. . fahren wir Schlitten . . . Seit langen Jahren that ich das nicht mehr."
Sie war mit einem Sprunge aus dem Bett, umarmte Marie zärtlich und begann sich anzukleiden.
„Nun bitte den Himmel mit mir, daß Alles gut geht," sprach sie, ihre Hände gegen die Brust drückend.
„Das will ich, Schatz. — Verlaß Dich ganz aus mich — Du kriegst Deinen Doktor!... Er müßte ja keine Augen im Kopfe haben und kein Herz, — von Deinen fünf Millionen will ich gar nicht einmal sprechen! ... Wenn er wahrhaft liebt, — und daran ist kein Zweifel, — so wird er niemals glücklicher sein, als in dem Augenblicke, wo er Dir Deine vermeintliche Schuld verzeihen kann. — Aber nun an's Werk; jetzt frühstücken wir, dann hüllen wir uns warm ein und fahren durch die Stadt." So geschah es und Elisabeth schien förmlich aus- znleben, seit sie heimatliche Lust athmete, ihre Wangen waren sanft geröthet von der frischen Luft und ihre Augen glänzten.
„Wie die Liebe Dich verklärt," neckte sie Marie.
Sie fuhren an des Doktors Hause vorbei und am Nachmittage stellte derselbe sich ein, auf das Freudigste überrascht über die schnelle Rückkehr. Als der lange Herr hereintrat, — wie hätte er da ahnen
können, wie laut und sehnsüchtig das Herz der unförmigen Gestalt dort in dem halb finsteren Winkel der Stube klopfte! — Er ergriff mit Wärme der Gesellschafterin Hand, sie war ihm eine treue Freundin gewesen in schweren Tagen, ihr Anblick erinnerte ihn an die glücklichsten Stunden seines Lebens, außerdem, er hatte von derselben wichtige Aufschlüsse zu verlangen.
Erst als er diese begrüßt hatte, wandte er sich zur Tante, welche über das schlechte Klima in England klagte, sich so stellend, als wüßte sie nichts von Mariens Verrath.
Wie schwer wurde es ihr heute, ihn zu belügen, und wie er nun ihre Hand ergriff, wie mußte sie an sich halten, um sie nicht an ihr Herz zu pressen! Mit Erstaunen vermeinte der Doktor Verwirrung in den Zügen der alten Dame zu lesen. — „Sie schämt sich, daß sie lügt," dachte er gleich hinterher, „und sie hat Recht."
So schnell wie möglich machte er sich dann von ihr frei und wandte sich wieder zu Marie zurück, sich nach deren Befinden erkundigend. Dann aber, nachdem er ihren Zustand für völlig unbedenklich erklärt hatte, konnte er nicht länger widerstehen, — er fragte nach Fräulein Wild. Die Wärme und Sorge, mit der er dieß that und seine Blicke dabei, entschädigten die falsche Tante reichlich für den auferlegten Zwang. Sie lag in ihrer Ecke, stumm und ohne sich zu regen, die lächerliche Gestalt, und beobachtete mit einem unaussprechlichen Gefühl von Glück und Liebe eine jede seiner Mienen, ein jedes Wort und dankte Gott, daß er sie wieder mit dem geliebten Manne die gleiche Luft athmen ließ. Noch einmal spielte Elisabeth die seltsame Komödie vor ihren Verwandten in den nächsten Tagen, sich leidend stellend dabei. Dann beschloß Marie ein Ende zu machen, denn sie bemerkte, wie die Kraft ihrer Freundin erlahmte.
Von Neuem redete sie dieser Muth ein, bat sie, ihrem Rathe sich anzuvertrauen, und freute sich, zu finden, daß Zuversicht und die alte Energie in das Herz derselben zurückgekehrt waren, und daß sie entschlossen war zu handeln. Noch einmal wollte sie die Tante spielen, aber das mußte das letzte Mal sein — nachher wollte sie sich niemals wieder verstellen.
Dreiunddreitzigstes Kapitel.
Man war damals mitten in der frohen Zeit des Karnevals. Als der Doktor eines Morgens kam, früher als sonst, um sich nach Mariens Befinden zu erkundigen, fand er sie mit einer Zeitung in der Hand. Sie bemerkte, daß der Vetter nachdenklich, ja beinahe düster aussah und in einer gewissen, kaum unterdrückten Erregung war, — das paßte wenig zu ihren Plänen.
Auch die falsche Tante bemerkte diese Verstimmung und das arme, selbstquälerische Herz fiel ihr gleich noch tiefer in die Schuhe; sie vermochte kaum ihre Stimme zu beherrschen, als der Doktor sie fragte, wie sie sich befände.
„Schlecht," wollte sie sagen, — besann sich aber glücklicherweise noch zur rechten Zeit, daß das