Die Erbtante von Johannes van Dewall.
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durchaus uicht in die Rolle paßte, welche sie aus Mariens Geheiß Zu spielen hatte, und murmelte ein kaum verständliches: „Besser!"
„Nur sehr langwueilig," fügte sie gleich darauf hinzu und seufzte.
„Lassen Sie Lust und Licht in Ihre Zimmer ein und machen Sie täglich eine Ausfahrt in einem geschlossenen Wagen, gut eingehüllt natürlich," erwiderte der Doktor.
„Ihre Frau Tante langweilt sich und ich auch — zum Sterben," fiel ihm hier Marie in die Rede und trat herzu, die Zeitung in der Hand. „Solch' eine Spazierfahrt bei herabgelassenen Scheiben ist auch eben keine große Kurzweil, mein Herr Doktor."
Sie sah ihm bittend in die Augen.
„Kurz und gut, lieber Herr Doktor, wir haben einen Plan."
„Darf ich ihn wissen?"
„Ganz gewiß; wir Zählen sogar nicht wenig auf Sie."
„Ja, — wir Zählen auf Dich, mein Sohn," sprach auch die Tante und nickte mit dem dicken Kopfe.
„Ans mich?" fragte der Doktor sehr erstaunt.
„Auf Sie ganz besonders. — Wir haben nämlich hier in der Zeitung gelesen, daß im Albrechtsaal heute eine große Redoute stattfindet."
Der Doktor machte sehr große Augen.
„Ihre Frau Tante hat solchen Mummenschanz noch niemals gesehen und ich auch nur ein einziges Mal, als halbes Kind."
„Sie meinen doch nicht ernstlich," sprach der Doktor mit einem Stirnrunzeln, „liebe Frau Tante, ich glaube doch nicht, daß Sie in Ihren alten Tagen noch in Wirklichkeit das Gelüst verspüren, auf einen Maskenball und noch dazu auf einen öffentlichen Maskenball zu gehen?"
„168 — ich wuill gehen," brummte die Alte sehr bestimmt.
„Da hören Sie es selbst; Sie werden gewiß uns nicht die Freude verderben. Wer erkennt uns denn!... Wir bitten Sie freundlichste, uns die nöthigen Billette zu besorgen und uns zu geleiten."
Das Gesicht, welches der Doktor bei dieser seltsamen Zumuthung machte, war so komisch, sein Schrecken und seine Entrüstung prägten sich so deutlich aus, daß Marie das Lachen kaum verbeißen konnte.
„Ich?" fragte dieser noch einmal und streckte unwillkürlich, wie abwehrend die Hände vor. „In der That, mein Fräulein ..." Hier übermannte ihn der Gedanke, welch' eine lächerliche Figur er neben der alten, auffallenden Person.dort spielen würde, mit John hinter sich, der die Rumflasche trug, und welchen Extravaganzen sich die alte, unberechenbare Frau hingeben könnte, seine Stirn flammte ans und beinahe beleidigt fuhr er fort: „Frau Tante, verzeihen Sie mir die Bemerkung, Damen in Ihrem Alter gehören durchaus nicht auf derartige Vergnügungen. Ich kann Ihnen nur aus das Entschiedenste abrathen, dorthin Zu gehen, vor Allem aber verlangen Sie nicht, daß ich Sie begleite oder irgend etwas thue, was diesen ungewöhnlichen Schritt erleichtern würde. Wenden Sie sich deßhalb an Ihren Cousin, den Herrn Präsidenten. — Ich empfehle mich!"
Zornroth nahm er seinen Hut und ging hinaus, doch Marie eilte ihm nach und erwischte ihn im nächsten Zimmer.
„Herr Doktor!"
„Mein Fräulein."
„Sie waren sehr unartig soeben."
„Sie sehen mich entrüstet. Ich bitte dringend, reden Sie der Tante jene ganz unglanbliche Idee aus und stehen Sie selbst davon ab."
„Gestehen Sie, — Sie wollen uns nur nicht die Ehre Ihrer Begleitung schenken. Sie fürchten sich lächerlich zu machen."
„Ich habe meine Meinung offen ausgesprochen und habe derselben nichts hinzuznfügen," versetzte der Doktor beinahe barsch.
„Sie waren schon übler Laune, als Sie kamen; Sie haben irgend eine Unannehmlichkeit gehabt; ich sah es Ihnen an. Gestehen Sie es."
Der Doktor stutzte, erröthete und sah zu Boden.
„Allerdings," sprach er dann, aber in einem ganz veränderten Ton plötzlich.
„Und darf man wissen?"
Er überlegte einen Augenblick, dann hob er den Blick, sah Marie forschend in die Augen und begann mit gepreßter Stimme und offenbar nur einem unwiderstehlichen inneren Drange nachgebend:
„Wohl — es sei, mein Fräulein."
Er zog sie zu einem Sitz, nahm selber Platz und legte Hut und Schirm neben sich auf den Teppich.
„Was er nur hat?" dachte das Fräulein nicht ohne einige Unruhe.
„Wollen Sie mir offen aus einige Fragen antworten?" Hub er an.
„Wenn ich darf, ganz gewiß," versetzte Marie.
„Sie schrieben mir im vorigen Dezember, daß ich seinerzeit Aufklärungen darüber erhalten würde, warum sich Fräulein Wild unter dem Namen Herford malen ließ."
„Ganz recht, Herr Doktor, und dieselben werden Sie sicherlich vollständig befriedigen," versetzte Marie, ihm treuherzig in die Augen sehend. Aber die Wolke aus seiner Stirn vertheilte sich nicht durch diese bestimmte Erklärung. Mit Vorwurf fuhr er fort:
„Ich beschied mich, — ich habe Sie nicht um nähere Aufklärung gebeten, weil ich Ihnen glaubte und dieselben von Fräulein Wild erwartete."
„Nun — und?" fragte Marie ein wenig beklommen.
„Ich hatte, wie früher erwähnt, einen Disput mit dem Maler des Bildes, welcher durchaus eine Miß Herford gemalt haben wollte, wo doch die Ähnlichkeit eine unverkennbare war."
„Ganz recht."
„Gestern Abend nun bekam ich von jenem Herrn einen Brief; er habe die Photographie jener Dame bei Kurz im Schaukasten gesehen und beeile sich mir mitzutheilen, daß dieselbe dort ebenfalls ihren Namen, Miß Herford, angegeben habe. — In Folge dessen eilte ich dorthin, sah, daß jene Photographie identisch ist mit einer von denen, welche Sie die Güte hatten mir zu schicken, und erfuhr, daß der Lehrbursche diese und die Photographieen einer andern blonden jungen