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Deutsche Roman-Bibliothek.
bezweckte. Kaum hatte sie diesen Verdacht dem alten Uschakoff beigebracht, so kam es zu stürmischen Auftritten. Schließlich stellte er dem Lieutenant das Ultimatum, entweder seinen Abschied zu nehmen und in das Ausland zu gehen, oder seiner Tochter zu entsagen. Und da Jener keine Entscheidung fand, vielleicht weil er durch gewisse Eide gebunden war, so begann Tatiana an seiner Zuneigung zu zweifeln und gab ihm selbst den Abschied. Der Lieutenant reiste ab und gleichzeitig wurde die Gouvernante entlassen. So hatte der Parteigeist ein hoffnungsvolles Liebesglück zerstört. Tatiana mochte seitdem ihren Schritt hundertmal bereut haben, denn sie liebte ihn immer noch leidenschaftlich, und in der Unmöglichkeit, ihn wieder an sich zu ziehen, welkte sie in stillem Gram dahin. Nadjeschda, die Jüngere, verstand von allen jenen Zerwürfnissen nichts und schalt oft lachend ihre Schwester eine Thörin, sich deßhalb das Herz so schwer zu machen. Damals vertheidigte ich Tatiana mit Wärme, und von dieser Stunde an wurde sie meine beste Freundin. Sie schürte und protegirte meine auskeimende Neigung für Nadjeschda niit einem Eifer, ja mit einer List und Verschlagenheit, als läge ihr ganz besonders daran, auch ihre unerfahrene Schwester in das Netz der Leidenschaft verstrickt zu sehen, damit sie nichts mehr vor ihr voraus habe. Wer kennt die Jrrgänge eines Mädchenherzens?
„Da war es eines Tages, als eine Menge gemischter Gesellschaft aus der Umgegend anlangre und Miene machte, tagelang zu bleiben, Gutsbesitzer mit ihren Frauen, Beamte und Militärs nebst ihrer Dienerschaft. Zum Glücke war der General Uschakoff auf einige Zeit verreist, und so konnten wir die Ehre ablehnen. Gleichwohl vergingen peinliche Stunden. Man schoß nach der Scheibe, man schmauste und trank, tanzte und sang. Sie kennen ja solche Heimsuchungen. Unter Anderem wurde auch ein Porträt von Hand zu Hand gegeben, das Bild eines blonden, widerlichen Hyänengesichts mit eingedrückter Nase und schiesgeschlitzten Augen, der richtige Typus eines Baschkiren voll Wildheit und Energie. Das Porträt stellte einen gewissen Wassili Davidoff dar, und ich hörte die Anspielung, daß ihm Nadjeschda bereits zugesagt sei. Er würde demnächst selbst kommen, und seine Verwandten baten im Voraus um gute Aufnahme. Mir war das Alles ein Greuel und noch unausstehlicher die Harmlosigkeit, womit Nadjeschda alles das aufnahm. Endlich gegen Abend wurden wir die Heuschrecken wieder los.
„Da begehrte Tatiana, ich möchte sie noch ein Stündchen aus dem Wasser fahren zur Einsiedelei auf der Paulsinsel. Auch Nadjeschda, die erst nicht wollte, mußte mitsahren. Es war ein schöner, warmer Sommerabend, wie nur Rußland sie kennt. Die Libellen flogen und die Mücken tanzten im rothen Licht, und in den Wäldern sangen die Drosseln. Wir hatten allerhand zu plaudern über die unwillkommenen Gäste, und die Schwestern flochten sich Kränze aus den gelben Knospen der Wasserrosen.
„Nach einer halben Stunde fuhr ich endlich direkt nach der Insel hinüber. Wir stiegen aus, und ich schritt mit Nadjeschda zu dem Häuschen aus Birken
rinde, das auf dem Hügel stand. Plötzlich hören wir hinter uns lauten Ruderschlag und wenden uns um. Tatiana war wieder in das Boot gesprungen, sie habe vergessen, Shawls und Kapuzen mitzunehmen. Damit fuhr sie lachend davon. Wir waren allein, Nadjeschda und ich allein, zum ersten Male seit langen Tagen.
„War es nun ein Zufall oder eine Spitzbüberei Tatiana's, Nadjeschda's Uebermuth schien mit einem Male verschwunden, sie wurde plötzlich ernst und befangen wie niemals zuvor.
„Stellen Sie sich die Situation vor. Zuerst scherzte ich ob des Eifers Tatiana's, daun begann ich aus meiner Jugendzeit zu erzählen, auch von dem schweren Unglück, das meine Eltern betroffen und unser Familieuglück in Elend verwandelt hatte. Nadjeschda hörte mir teilnahmsvoll zu, und ich sah eine Thräne in ihren Augen schimmern. Auch sie erzählte dann Einzelnes aus ihrer Jugendzeit und besonders von ihrer geliebten Mutter. Die Stunden vergingen, reine, heilige Stunden brüderlichen und schwesterlichen Vertrauens. Tatiana kam nicht wieder, und wir hatten ihrer bereits völlig vergessen. Plötzlich hörten wir das Glockenspiel auf der Schloßkapelle, ein Zeichen, daß es Mitternacht. Jetzt wurde Nadjeschda unruhig und gerieth in äußerste Beängstigung um ihre Schwester, der vielleicht ein Unglück widerfahren, denn ihre Absicht durchschaute sie nicht.
„Rasch entschlossen warf ich mich jetzt in das Wasser, um einen Kahn Zu holen. Ein paarmal drohten mich die Wasserpflanzen hinabzuziehen und ich mußte alle Kraft aufbieten, um lebend davonzukommen. Endlich stieg ich am Ufer empor. Da saß Tatiana im Dunkel auf einer Bank und trat mir entgegen.
„ ,Nun, Sie umgekehrter Leander, wie steht's mit Ihrer HeroN
„Ich antwortete nicht. ,Jch glaube wirklich, Sie sind auch auf der Flucht vor Ihrem Glück/ sagte sie. ,Jch meinte es Ihnen recht gemacht zu haben, und Nadjeschda hat Ihr Geständniß erwartet. Schämen Sie sich!'
„Ich gab ihr auch jetzt keine Antwort, sondern eilte zum Schloß, um den alten Kosaken Kuzmin mit einer Gondel zur Insel zu schicken und Nadjeschda zu holen; ihr Fahrzeug müsse sich losgerissen haben.
„Jubeln freilich hätte ich können, daß Nadjeschda eine Erklärung erwartet, aber was sollte dann aus uns werden? Mein Entschluß war gefaßt, meine Stelle aufzugeben und abzureisen, sobald der General znrückgekehrt. Die Wirkung des unfreiwilligen Bades hielt mich übrigens einige Tage krank auf meinem Zimmer — sehr nach meinem Wunsch. Als ich so weit genesen, um reisen zu können, beschloß ich, nicht länger zu warten, packte meine Sachen zusammen und bestellte mir durch Kuzmin eine Telega.
„Aber ich war kaum die Treppe hinab, als mir abermals Tatiana entgegentrat. ,Wohin wollen
Sie, Sherwood? Ich weiß, Sie lieben meiue Schwester, und ich habe es begünstigt. Ich will nicht, daß Nadja so unglücklich werde wie ich. Gehen Sie davon, so wird Vater sie mit dem Davidoff vermählen. Das ist ausgemacht. Was Sie sonst sagen können, weiß ich Alles. — Wir sind reich genug,