Heft 
(1885) 35
Seite
821
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Sherrvood von Julius Grosse.

8A

um frei zu wählen. Vor dem Vater nehme ich Alles auf mich. Sobald er zurückkommt, reden wir mit ihm. Er ist herzensgut und Nadja ist fein Liebling. Können Sie sie opfern wollend Unmöglich! Wenn Sie ein Mann find von Herz und Charakter, so handeln Sie als ein Mann?

Von dieser Stunde an war Alles anders. Ich will Ihnen nicht sagen, wie ich Nadjeschda wieder­sah in derselben Birkenhütte, wo ich sie damals verlassen. Worte wurden nicht gewechselt. Daß ich blieb, war meine Erklärung, und Nadja blühte auf wie eine Rose. Die Lektionen waren schon längst aufgegeben. Wir ritten wieder über Felder und Haiden, besuchten Dörfer und Kirchen und Nadjeschda beschenkte die Muschiks mit vollen Händen. Abends ruderten wir auf den blauen Wassern und blieben zusammen manche Sommernacht, wo die Sonne nicht unterging.

Damals ist Nadjeschda meine Braut geworden ohne Erklärung die Lippen sprachen von selber. Die Rückkunft des Vaters verzögerte sich aber noch eine Woche, und so lebten wir ungestört unserem Glück. Es waren goldene, unvergeßliche Tage, die einzig seligen meines armen Lebens; keine Menschen­sprache, keine Dichterznnge würde sie schildern können.

Nadjeschda war mein geworden in stürmischer Leidenschaft, wie von Furcht getrieben, daß sie doch noch einem Andern Zugesprochen werden könne. Sie wollte sich jeden Ausweg im Voraus abschneiden, und unser Bündniß galt ihr für Zeit und Ewigkeit.

Jene Tage des Glücks hatten ein Ende mit der Rückkunft des Generals. Sein mildes Wesen gegen mich schien verändert. Vielleicht war er gewarnt worden. Zwar sprach er nicht von Davidoff, aber sein finsterer Blick betrachtete mich und auch seine Tochter mit Argwohn, so daß Tatiana ihrer Zusage vergaß. Die Lage ward zuletzt unerträglich, und ich war entschlossen, Alles offen Zu bekennen, trug ich mich doch immer noch mit trügerischer Hoffnung, denn ich konnte sagen, der General hatte mich lieb­gewonnen wie einen Sohn.

Trotzdem kam es auch jetzt nicht zu dieser be­schlossenen Erklärung. An jenem Tage, dem letzten meines Traumes, war abermals zahlreiche Gesellschaft bei Tafel.

Man erzählte unter Anderem von einer Mos­kauer Dame aus fürstlichem Hause, die einein deut­schen Künstler, der irgend eine Kirche mit Fresken geschmückt, ihre Hand gereicht habe.

Melcher Simpel muß der alte Fürst geworden sein/ rief der General, ,sein Kind an einen Aus­länder wegzuwerfen. Böser Hanf, böses Linnen. Ich würde meine Tochter lieber umbringen, als solche Einwilligung Zu geben. Brütet ein Kukuk im Adler- uest, so ist's sein Tod. Wür's noch ein Adeliger, ein Militär, der den Rock des Kaisers angezogen, um Rußland zu dienen aber ein wälscher Tüncher ein Ausländer so Einer, der auf der Sonne sitzt und die Füße ans dem Monde hat das könnte mich rasend machen/ und er fügte noch manches drohende Wort hinzu, welches uns sagte, daß von dem adelsstolzen Altruffen und Edelmann nichts zu erwarten war.

Nadjeschda fühlte sich bei diesem Sturm von einer Ohnmacht angewandelt, so daß man sie in ihr Zimmer brachte. Auch der klugen Tatiana war aller Muth gesunken, und todtenblaß folgte sie den Anderen, welche aufbrachen.

Jetzt war ich mit dem alten Herrn allein.

,Ja, wenn die Katze Flügel hätte, gäb' es keine Lerchen mehr/ sagte der General. ,Sie sind ein Gentleman, Sherwood, Sie pflanzen meinen Töchtern keine solchen Grundsätze ein, daß jeder grüne Stein ein Malachit, bloß weil er grün ist. Jetzt nehmen Sie sich ein Pferd und reiten nach Smolensk. Dort holen Sie mir einen tüchtigen Arzt. Die Nadja ist leidend. Ich will wissen, woran ich bin, hier kann ich Niemand glauben. Was im Teiche der Lüge schwimmt, sind Alles faule Fische!'

Ich glaubte noch nicht, daß es dem alten Herrn Ernst sei, und wartete.

,Nun, warum gehen Sie nicht?' fuhr er auf. ,Hier muß Alles anders werden, vielleicht eine Reise in's Seebad nach Hapsal. Darüber will ich den Arzt hören. Wozu in's Ausland? Wir haben in Rußland Alles, was wir brauchen. Und Hilst das nicht, so muß sie heirathen. Freilich, die Gäule der Hoffnung traben, aber die Telega bleibt am Ort. Geht's nach Hapsal, können Sie Haushalten inzwischen. Ich hoffe, auch die Davidoffs kommen hin. Jetzt vorwärts!'

Anfangs klangen mir seine Worte verheißungs­voll. Alles konnte noch gut werden, wenn Aufschub möglich aber diese Reise. Wie konnte ich leben, ohne Nadjeschda zu sehen! Und jetzt war es sicher, daß man mich mit guter Manier los werden wollte. Die Erwähnung der Davidoffs sagte Alles, und ich sah kein Mittel, die Gefahr zu beschwören.

Als ich die Treppe hinnntereilte, um mir ein Pferd satteln zu lassen, huschte Tatiana wie ver­stört aus einem Seitenzimmer und ergriff meinen Arm.

,Um Gottes willen, James!' sie nannte mich zum ersten Male bei meinem Vornamen ,holen Sie keinen Arzt, holen Sie einen Popen, aber den aus Simianka.'

,Warum ist Nadjeschda in Lebensgefahr?'

,Das nicht, aber' sie flüsterte mir ein Wort zu, das mich wie ein Blitzstrahl berührte. Zwar Gefahr war nicht im Verzüge, aber dieß Geheimniß konnte nicht lange verborgen bleiben. Darnach han­delte ich.

Der Arzt, den ich um Mitternacht aus Simianka brachte, war jener Pope. Wir kannten uns seit einigen Monaten, und er rechnete auf die Verwen­dung der Damen hinsichtlich einer reich dotirten, längst vakanten Stelle in der Nachbarschaft. Aus­nahmsweise war dieser Pope ein nüchterner, ehren- werther alter Mann, der den bösen Weltlauf mit Wohlwollen und Nachsicht betrachtete.

Noch in derselben Nacht wurden wir in der kleinen Schloßkapelle Morgens um zwei Uhr getraut. Zeugen waren Tatiana und die alte Sascha, daun der Friseur Monsieur Parchemin und der alte Kosak Kuzmin. Allen Leuten im Schloß war Nadjeschda an's Herz gewachsen mit Ausnahme des alten Wolfs-