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Deutsche Noman-Sibtiothek.
füngers Iwan, der auch wohl den Verräther gespielt haben mochte.
„Die beiden Aeltesten, Sascha und Kuzmin, fnn- girten als Brautvater und Brautmutter und hielten die Brautkrone über Nadja, während Tatiaua und Parchemin mir den gleichen Ehrendienst erwiesen.
„Nadjeschda war verweint, aber sonst ruhig und gefaßt, als wenn Alles so sein müßte und ihr in den Sternen bestimmt sei. Als doch die Gemüths- stimmung sie übermannen wollte, flüsterte ihr Tatiaua zu: ,Es ist ja Alles nur vorläufig. Der Vater wird Vernunft annehmen, wenn das Unabänderliche einmal geschehen ist?
„In derselben Nacht noch sind wir Beide abgereist, und der alte Kuzmin war unser Jswoschtschik. Unsere Reise ging nach Smolensk, wo die Damen von den großen Jahrmärkten her manche Bekanntschaften hatten, darunter auch die Familie eines Handelsmannes Abramowitsch, der ein großes Haus am Bazar besaß und gewohnt war, die einzelnen Wohnungen an Meßfreunde und andere Reisende zu vermiethen.
„Unser Vertrauen zu dem braven und ehrlichen Manne wurde auch nicht getäuscht. Wir erhielten aus unfern Wunsch vorläufig auf ein halbes Jahr einige bequeme und anständig möblirte Räume.
„Unvergeßlich bleibt mir die Ankunft in der fremden, lärmenden Stadt — die Ankunft mit einer jungen, schönen Frau, die ich aus vornehmem Hause entführt. Welche Verantwortung lag ans mir und welche Sorge für die Zukunft? Aber im ersten Rausch des überirdischen Glücks wiesen wir alle trüben Gedanken weit weg und lebten nur der Gegenwart und uns selbst.
„Jndeß schien mir ein Versuch der Versöhnung unumgänglich, schon Nadjeschda's willen. Gleich in den ersten Tagen schrieb ich meinem Schwiegervater. Hier sehen Sie noch den Wortlaut des Briefs, den ich in meiner Brieftafel entwarf:
„.Herr General! Da Sie erklärt haben, Sie würden des Lebens Ihrer Tochter nicht schonen, wenn sie einen Ausländer heirathete, fo hielt ich es für meine Pflicht, sie vor Ihrem Zorn in Sicherheit zu bringen. Nadjeschda ist mein Weib geworden vor Gott und Menschen, denn wir haben den Segen der Kirche empfangen. Sie selbst haben es leider verhindert, daß ich in aller Form um Ihre Tochter anhielt. Vergeben Sie unserer Eigenmacht und meiner Kühnheit. Bisher hatte ich geglaubt, Ihre Hochachtung und Ihre Liebe gewonnen zu haben, und an diese appellire ich mit bewegtem Herzen. Ich bin ein Engländer, vorläufig ohne Amt, aber Sie kennen mich hinreichend, um zu wissen, daß ich wohl im Stande bin, mir eine Stellung zu erringen und Ihre Tochter glücklich zu machen. Ich bin demüthig, aber stolz genug zu sagen: es war des Himmels Wille, daß Nadjeschda den armen Abenteurer zu ihrem Gemahl erwählte. Verfolgen Sie uns nicht. Wir flehen um Ihre Vergebung und Ihren väterlichen Segen. Sollten Sie aber Gewalt anwenden, um uns zu trennen, so wissen Sie, daß Sie nur zwei Leichen finden werden?
„Unterschrieben war der Brief von uns Beiden.
„In peinlicher Spannung warteten wir nun von Tag zu Tag. Bei jedem Wagen, der vor dem Hause hielt, bei jedem Klopfen an unserer Thür schreckten wir auf, als nahe das Schicksal. Meine Pistolen waren geladen. So vergingen sechs qualvolle Wochen; endlich kam ein Schreiben Tatiana's. Alles schien verloren.
„Der General hatte in seiner maßlosen Wuth eine Art von Schlaganfall erlitten und war einige Wochen krank und darniedergelegen. Dann begann das Strafgericht. Tatiana und die alte Sascha entzogen sich kaum seinen Mißhandlungen, Kuzmin und den Friseur traktirte er mit der Jagdpeitsche und sämmtliche Muschiks auf dem Gute wurden geknutet. Nadjeschda galt ihm als gestorben und verdorben; niemals mehr durfte ihr Name genannt werden, sie war im Voraus enterbt und verstoßen, es sei denn
— so lautete die höhnische Klausel — daß der Kaiser selbst ihm, dem General, befehle, den Ausländer und Bettler als Schwiegersohn anzunehmen.
„Die Wirkung des Briefs auf Nadjeschda war erschütternd, aber da man uns mit Verfolgung verschonte, kehrte bald der Lebensmuth zurück.
„Was soll ich Ihnen sagen von diesem Jahr des Glücks und des Elends? Wir besaßen für den Anfang wohl Subsistenzmittel genug, denn Nadjeschda hatte ihre Ersparnisse und Schmncksachen mitgenommen, und so lebten wir, wenn nicht auf großem Fuß, doch standesgemäß. Auch jene Familie Abramowitsch stand uns mit gutem Rath und mannigfacher Hülfe treulich bei, so daß jene schwere Stunde, wo ich Vater wurde, glücklich vorüberging. Aber dieß Ereigniß, welches uns beseligte, brachte zugleich neue Verpflichtungen und neue Sorgen. Ich verlor den Mnth nicht und versuchte Allerhand, um festen Boden zu gewinnen. Eine Zeitlang arbeitete ich bei einem Advokaten, dann beim Architektor, gab auch Unterricht in einem Lyceum, aber alles das war nur von kurzer Dauer. Sobald mau erfuhr, daß ich eine junge Dame aus vornehmem Stande entführt habe, fürchtete man Verwicklungen und entließ mich.
„Nachdem Alles fo mißglückt zuletzt zeichnete ich Porträts und schnitt Silhouetten aus — wurde nach reiflicher Berathung beschlossen, daß ich Militärdienste nehmen sollte, um den Offiziersrang zu erlangen. Dieß schien das einzige Mittel, um dereinst den General zu versöhnen.
„Dieser Entschluß war vielleicht die heilloseste Thorheit, die ich jemals begangen. Was sind zwölf Jahre für eine junge Familie? — ein halbes Leben
— und was hatte inzwischen meine arme Frau zu erwarten? O, es war unverantwortlich, himmelschreiend, daß ich das nicht bedacht. Aber die entfernte Möglichkeit der Versöhnung schien uns immer noch wie eine Erlösung. In Rußland rechnet man anders als sonst, und wer nach Sibirien verbannt wird, ist glücklich, wenn er erwarten darf, nach Zwölf Jahren dem Leben zurückgegeben zu werden.
„So riß ich mich denn mit blutendem Herzen von Weib und Kind los und reiste nach Moskau zurück, um beim General Staal einzutreteu, der mir früher schon seine Vermittlung angeboten. Alles gelang, als wenn der Segen des Himmels auf