Heft 
(1885) 35
Seite
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Sherwood von Julius Grosse.

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meinem Beginnen ruhte. Ich wurde mit offenen Armen empfangen, und da der General gerade im Begriff stand, eine Dienstreise nach Odessa zu machen, nahm er mich sogleich mit bis Jelisabetgrad und schickte mich von dort mit einer Empfehlung an den Oberst Gwers nach Novomirgorod. Meine Bitt­schrift wurde angenommen, und ich trat in unser Regiment als Freiwilliger mit der Berechtigung zum Ossiziersrang nach Zwölfjähriger Dienstzeit. Alles Uebrige ist Ihnen bekannt."

Das war die Historie Sherwood's. Er stand alsbald ans und stellte sich ordonnanzmäßig vor mich hin.

Ich betrachtete diesen verwegenen Burschen mit sehr gemischten Empfindungen. Das also war der Nichtswürdige, die Schlange, die mein alter Freund Uschakoff an seinem Busen erwärmt hatte. Zwar schwebten die bittersten Vorwürfe ans meiner Zunge, doch ich hielt sie zurück. Das Geschehene war nun einmal nicht ungeschehen zu machen.

Junger Mann," sagte ich zu ihm,ich enthalte mich jedes Urtheils über Ihre Handlungsweise. Ihr Verfahren war das eines Abenteurers, aber ich will zugeben: Sie haben brav gehandelt, daß Sie sich zur Rettung Ihrer Gemahlin entschlossen haben, den Soldatenrock anzuziehen. Jndeß scheint Ihre Ent­schließung doch nur ein momentanes Aufflackern ge­wesen zu sein."

Es sind nun drei Jahre, Herr Oberst," unter­brach er mich.

Gleichviel aber es fehlt Ihnen an Charakter­festigkeit, die Prüfung bis an's Ende zu bestehen. Diese Kleinmüthigkeit ist um so unverzeihlicher, da es sich hier um das Leben und die Ehre einer Frau handelt, die Sie bis zur Selbstverleugnung liebt. Geben Sie mir das Wort, sich Zu bessern, und ich will Alles thun, um Ihnen nützlich zu sein. Für's Erste bitte ich Sie, Ihren Anzug in Ordnung zu bringen und dann jeden Mittag bei mir zu Gast Zu sein."

Sherwood war sichtlich gerührt. Er konnte kein einziges Wort Hervorbringen und verließ mich mit Thränen in den Augen.

Ich hatte Sherwood mit Absicht verschwiegen, daß General Uschakoff mein alter Freund und daß ich somit im Stande sei, früher oder später eine Vermitt­lung herbeizuführen, so schwierig sie auch schien. Vor allen Dingen war eine weitere Charakterprüfung des jungen Mannes nöthig, und ich sah mit Freuden die günstige Wirkung unseres ersten Gesprächs.

Sherwood war von diesem Tage an ein ganz anderer Mensch; er hörte auf zu trinken, kleidete sich nicht nur sauber, sondern elegant. Den Dienst ver­richtete er musterhaft, und bei allen Aufträgen be­wies er ungemeine Fähigkeiten, besonders in Sachen der geheimen Polizei, was bei meiner besonderen Dienstbranche in meinen Augen eine unschätzbare Eigenschaft war.

Auch bei den Tischgesprächen entwickelte er eine

Fülle von Kenntnissen und war der reizendste Ge­sellschafter von feinster Bildung, ein gewiegter Kopf, der, bisher eingeschüchtert und eingeengt, nur Spiel­raum brauchte, um sich glänzeud zu entfalten. Mehr und mehr erschien er mir als ein unvergleichlicher, genialer Mensch, der mit hundert Geschicklichkeiten und bestechenden Eigenschaften Jedermanns Zuneigung zu gewinneu wußte.

Auch meine Sympathieen gewann der Liebens­würdige von Tag zu Tag mehr, wenn auch bei aller Heiterkeit ihm eine gewisse Schwermuth un­überwindlich blieb. Sehr erklärlich: die Sehnsucht nach Weib und Kind peinigte ihn oft wie eine zehrende Krankheit. Mit rührender Klage erzählte er von seinem Töchterchen, das nun längst laufen gelernt und ihn gewiß nicht mehr kennen würde. Und wenn er von seiner Frau sprach, leuchtete sein Auge von Stolz und Leidenschaft. Es beruhigte mich, dabei zu erfahren, daß seine Gattin keineswegs in bedrängten Verhältnissen lebe, sondern von ihrer Schwester Tatiana nach Kräften heimlich unterstützt werde. Die Korrespondenz schien Ziemlich lebhaft, denn mit kindischer Freude zeigte mir Sherwood jeden Brief, den er empfing. Damals kam mir wiederholt der Gedanke, ihm eines Tags eine Ueberraschung zu bereiten, die schöne Nadjeschda heimlich kommen zu lassen und sie mit ihrem Gatten wieder zu vereinen.

Diese Vergünstigung sollte der Lohn sein, wenn er sich eines gewissen Auftrags würdig erzeigte, der ihm nicht bloß Ehre, sondern auch Mittel und weitere Verbindungen einbrachte.

Mit diesem Auftrag hatte es folgende Bewandtniß:

In jener Zeit traf ich bei unserem Regiments­kommandeur Gwers mit einem Gutsbesitzer im Gou­vernement Kiew, dem verabschiedeten General Alexan­der Lwowitsch, zusammen. Er brachte die Rede unter Anderem darauf, daß es bei uns in Rußland so wenig geschickte Mechaniker gebe. Deßhalb auch könne man bei uns selbst mit Aufwand großer Mittel keine Fabriken anlegen, weil im Falle der Beschädigung einer vom Ausland bezogenen Maschine nirgends ein geschickter Meister aufzutreiben sei und die Fabrik aus diesem Grund ihren Gang einstellen müsse.

Das sei auch bei ihm der Fall gewesen. Er habe einen Deutschen gefunden, der ihm eine Wasser­mühle gebaut, so lange er gelebt, blieb die Mühle im Gang und habe bedeutenden Nutzen gebracht. Seitdem der Deutsche aber gestorben, sei die Maschine verdorben und stehe nun, da sich kein Maschinist finde, um sie zu repariren.

Da ich mich erinnerte, daß Sherwood bei seinem Vater die Mechanik erlernt, schlug ich ihn zu diesem Dienste vor, und der General war sofort einver­standen. Man schickte sogleich nach Sherwood. Er übernahm die Reparatur der Mühle, und nachdem die Bedingungen festgestellt, reiste er unverzüglich auf das Gut des Generals, den Flecken Kamenka, ab. Beim Abschied gab ich ihm einige Empfehlungen an verschiedene Freunde der gastfreien Familie mit, unter Anderen an die Lieutenants Licharew und Sochatzki, die ich ihrer Tüchtigkeit halber schätzte und die Sherwood gewiß irgendwie förderlich sein konnten.