Heft 
(1885) 35
Seite
825
Einzelbild herunterladen

Aus der neuen deutschen Lyrik.

825

Aus der neuen deutschen §yrik.

M e in Rönigrei ch.

von

Fritz Weller.

(Ungedruckt.)

Ich bin zwar gekrönt nicht als König, Doch Hab' ich ein Königreich,

Dem nicht eine einz'ge von allen Den weltmonarchie'n ist gleich.

Ich herrsche darin absoluter Und freier als Rußlands Zar,

Nicht tauschte ich mit dessen großem Nein kleines Gebiet fürwahr.

Mein Haupt kann so kühnlich ich legen Zinn Schlummer zu jeder Zeit,

Bin weder von innen noch außen Von einem Erbfeind bedräut.

Dabei ist auch meine Regierung Durchaus in bewährter Hand,

Es schafft mein Minister des Innern Mit Herz, nicht bloß mit Verstand.

Er hat in Regierungsgeschästen Noch Alles mir recht gemacht,

Ist auch für mein eigenes Inn'res Gewissenhaft stets bedacht.

So hat auch als Kultusminister Den Dienst er stets treu gethan;

Ich trau' die Erziehung der Jugend Getrost seiner Leitung an.

Justiz üben immer wir Beide In gleichem gerechtem Sinn,

Für Krieg gibt's bei uns kein Portefeuille, Man lebt im Frieden dahin.

Geordnet sind stets die Finanzen, wenn freilich auch manchmal knapp,

Den Schlüssel zieht nie mein Minister Ohne mich an der Kasse ab.-

In Treue, mit Lust und mit Liebe Erfüllt er desInnern" Pflicht,

Dagegen bekümmert dasAeuß're"

weil i ch das besorge, ihn nicht.

Und weil er in jeder Beziehung So trefflich bewährt sich hat,

Hab' ich ihn für alle Zeiten Ernannt zumGeheimen Rath".

will Jemand genauer es wissen?

Es ist ich bekenn' es mit Freud': Minister des Innern mein Weibchen, Ulein Reich meine Häuslichkeit!"

Der Bettler.

von

Richard Leander.

wintertag. Die Flocken treiben Durch die enge Flucht der Gassen,

Und hernieder von den Dächern Hängen kalt und schwer die Zapfen.

Aber drin im dunklen Stübchen, wo die Mutter mit der Tochter Spinnend sitzt am warmen Herde,

Prasselt lustig auf die Flamme Und die rothen Lichter wirft sie Spielend auf den blanken Estrich.

Horch'! da klopft es an der Thüre,

Leise klopft es, doch vernehmlich wär's auch nur für Mädchenohren,

Die versteckt im Busch der Locken Lauschen und die feinsten Dinge Hören auf der weiten Erde.

Zögernd auf nach kurzem Säumen Hebt die Jungfrau sich vom Sitze;

Leise auf den Zehen schreitet Sie hinaus; da steht der Liebste Vor der Thür: Um Gottes willen,

Geh', die Mutter ist zu Hause! warte doch! Und beide Arme Schlingt sie um den Hals dem Jüngling, Drückt ihn an die Brust und küßt ihn In das Zimmer tritt sie wieder,

Schüttelt sich den Schnee vom Kleide.

war's ein Bettler?" Ja, ein Bettler, Mütterchen, ein armer Bettler!

Sag', was hast du ihm gegeben?"

Eine Kleinigkeit nur, Mutter!

Spricht das Mädchen, und erröthend Beugt sie sich und schürt das Feuer,

Daß die Flamme lohend aufschlägt Und wie goldne Mückenschwärme Tanzend über ihrem Scheitel Im Kamin die Funken fliegen.

Gib den Bettlern nicht zu reichlich!"

Mahnt die Mutter sorgend wieder,

Denn sie kommen viel zu oft."

Schweigend rückt den Stuhl zum Herde Sich das Mädchen. Schweigend greift es wieder zur verlaßnen Spindel,

Und wie sie im Kreise wirbelt, wiederholt es in Gedanken Still die Worte:Viel zu oft!"

(Aus:Deutscher Dichterwald". Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags-Anstalt.)

Deutsche Roman-Bibliothek. Xtl. 18.

104