Die Erbtante von Johannes van Dewatl.
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„Ich bin gar nicht mehr ich selbst!"
„Ich muß Dich schminken, so blaß siehst Du aus! . .. Courage, Schatz!"
Sie küßte sie zärtlich, lachte sie an und trieb allerhand Possen mit ihr, um die Schwermüthige zu zerstreuen.
„Himmel, Hab' ein Einsehen und gib, daß mein Herz niemals Liebe spürt," ries sie zuletzt ganz verzweifelt und schüttelte die kleinen Hände.
Sie hatten sich dann in kostbare Pelze gehüllt, der Portier händigte ihnen die Schlüssel zu der separaten Loge ein, die er ihnen besorgt hatte, hob sie in den Wagen und wünschte ihnen viel Vergnügen.
Sie gingen direkt hinauf, ohne sich in die Garderobe zu begeben, legten ab und saßen nun an der Brüstung, ganz gleich gekleidet, mit drei rothen Rosen an der Brust, und schauten hinab in das Getümmel der Masken.
Elisabeth war wirklich zu Muthe wie einem Rekruten vor der Schlacht, ihr Herz war heute schwer wie Blei, um so übermüthiger war Marie, die Musik und der Trubel weckten ihre Ausgelassenheit, auch war sie froh, daß die lästige Komödie nun endlich ein Ende nehmen sollte, und Zwar ein eben so überraschendes wie gutes; sie zweifelte nicht daran. Sie kannte ja auch nur wenig die Männer. — Allerdings der Eine ist nicht wie der Andere. Sie klingelte und bestellte Wein — Champagner.
„Komm', — trink' Dir Courage, — llalk auck llalk, Tante Macduff," sprach sie scherzend und schenkte ein. Elisabeth trank und Zum ersten Male heute Abend lächelte sie.
„Unser Endymion ist noch nicht da, — trinken wir aber mittlerweile auf sein Wohl, und daß er meinen Liebling sehr, sehr glücklich macht!"
Sie stießen leise an und nahmen wieder Platz.
Neben ihnen ging die Logenthür, man vernahm Männerstimmen und unterschied einige Male deutlich die Worte: „Durchlauchtigster Herr."
„Du, — wir bekommen vornehme Nachbarschaft," flüsterte Marie hinter ihrem Fächer und wandte sich vorsichtig herum, ihre Neugierde zu befriedigen. Sie kam aber nicht ganz auf ihre Kosten: es waren drei Herren, welche sich soeben niederließen, zwei ausfallend kleine, sehr unbedeutende Herren, von denen der Eine eine auffallende Aehnlichkeit mit einem Mops hatte, und ein Dritter mit einem martialischen Barte und ordinären Zügen.
„Wenn das da Durchlauchten sind, dann sind wir znm mindesten Hoheiten," scherzte Marie und sah ein wenig triumphirend aus. „Aber auf so einem Maskenball ist Alles Mummenschanz."
„Dort steht er," flüsterte Elisabeth, welche unverwandt hinuntergesehen hatte in den Saal.
„Der Doktor — wo? — Himmel, Lisel, was bist Du blaß!"
„Dort, neben dem Eingang, am Pfeiler."
Sie richtete ihr Glas dorthin.
„Ja — da ist er, — jetzt sehe ich ihn ebenfalls ... O, mein schöner Herr. . . wenn Sie ahnten! . .. Wie finster er dasteht... Ich bitte Dich, noch einen Schluck Wein, dann gehen wir
hinab und spielen ein wenig Sommernachtstraum, wir peinigen ihn mit unseren spitzen Zungen. — An's Werk, an's Werk!" trieb sie.
Sie drehten ihre Dominos um, so daß die rosa Seite nach außen kam, und gingen hinab, um den Doktor Zu iutriguiren. — Seine Antworten waren, wie wir erfuhren, so unbefriedigend, daß die beiden Schmetterlinge davon flatterten.
Hinter dem Doktor fort zog ein dichtes Gewühl von Masken, denn zwischen den Pfeilern und der Wand war der Raum für den Verkehr, innerhalb der Säulenreihe der Tanzsaal, so daß dieser gewissermaßen aus seinem Posten ans neutralem Terrain sich befand. Urplötzlich fuhr derselbe aus seiner steifen Haltung auf und drehte den Kops heftig herum. — Unglaublich! Ganz deutlich hatte er soeben eine bekannte Stimme vernommen; diese tiefen, heiseren Gutturaltöne, sie konnten nur der Kehle der Tante Karoline entstammen. — Also war dieselbe gegen seinen Rath dennoch hier. — In der That, er sah dort eine korpulente weibliche Gestalt sich schwerfällig in der Menge fortbewegen, eine Zierliche daneben, offenbar Marie Werner.
Er war indignirt, sein erster Impuls war Zu fliehen, damit er nicht Augen- und Ohrenzeuge ihrer Absurditäten würde, dann aber überlegte er, wie unerfahren die Beiden waren auf solchem Terrain, und daß es deßhalb doch wohl seine Pflicht wäre, sie von Weitem her unerkannt Zn überwachen.
Eben war er im Begriff ihnen nachzugehen, als er vor sich einen schlanken, schwarzen, weiblichen Domino bemerkte, dessen Augen ihn hinter der Maske hervor unverwandt anschauten. Ein Ausruf entfuhr ihm und unwillkürlich streckte er den Arm aus: au der Brust trug jener Domino zwei hellrothe und eine dunkelrothe Rose.
„Fräulein Wild!" rief er und erfaßte die kleine Hand. — Wie lauter Jubel zog es in sein Herz.
„Still, still!" flüsterte Jene zurück und ihr Finger legte sich bedeutungsvoll auf den Mund.
Sie standen da und sahen sich in die Augen, — vergaßen ganz den Lärm und das Gedränge um sich her und wo sie waren, dann führte er ihre Hand an seine Lippen, zog sie durch seinen Arm und begann vorwärts zu schreiten, auf's Gerathewohl. Er hatte sie, sie hing au seinem Arm, die Geliebte, nun war die ganze Welt mit einem Male eitel Sonnenschein und dieser Ballsaal hier ein Paradies.
„Wie habe ich mich nach diesem Augenblick gesehnt!" sprach er feurig, „warum ließen Sie es mich nicht wissen, daß Sie hier sind? . . ."
Ihre Augen senkten sich vor der Glut, die die seinen ausströmten, schnell zu Boden, doch entzog sie ihm die kleine, bebende Hand nicht. — Im Gegen- theil, er fühlte einen zarten Gegendruck, der den so gemessenen, ernsten Mann vollends elektrisirte.
Vermöge seiner Körperlänge übersah der Doktor das Gewoge im Saal, er bemerkte im Hintergründe desselben mehrere offene Thüren; dorthin zog er die Geliebte. Sie betraten eine Flucht von Speisezimmern, nur wenige Personen saßen hier an den gedeckten Tischen, denn es war noch früh am Tage, das Fest hatte kaum begonnen. Er Zog die Nichiwiderstrebeude