Die Erbtante von Johannes van Dervatl.
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vernommen: „LranZ^ anck ^ater," sprach hinter ihm eine tiefe, rauhe Frauenstimme. Er schaute sich um, beinahe entsetzt — aber nur ein einzelner weiblicher rosa Domino saß an dem nächsten Tische, eine schlanke Gestalt, die sich eine losgegangene Falte ansteckte.
„Haben Sie nicht gehört?" fragte er vollständig mystifizirt.
„Was sagen Sie, lieber Herr Doktor?"
„Ich vermeinte... die Stimme der Tante zu hören."
„Unmöglich, dieselbe sitzt oben sicher in der Loge."
„Aber ich schwöre Ihnen!..."
„Ich versichere Sie, daß Sie mich dürsten lassen."
„Um Verzeihung!... So träume ich denn im Wachen! Seltsam!... Kellner! ..."
Der Wein kam, der Doktor berührte ihn kaum. Jener rosa Domino war aufgestanden und hatte sich entfernt.
Eine Lust zum Jntriguiren und Necken überkam Marie, der sie gar nicht widerstehen konnte. — Der Doktor war eben auch gar zu komisch in seiner Verzweiflung, so zwischen Furcht und Hoffen.
„Und nun bitte ich noch um einen Tanz," sprach sie, nachdem sie ihr zweites Glas geleert hatte.
Der Doktor erhob sich finster — sie traten an.
Mitten im Tanzen aber hielt derselbe plötzlich inne.
„Ich bin das Opfer eines unwürdigen Scherzes," sprach er beleidigt, bog sich kühl zurück und ließ den Arm seiner Dame fahren. — Er hatte, mitten im Gewühl, soeben wieder ein gutturales: „llolln, llalk rmä llalk/ vernommen, auch war seine Tänzerin unbedingt nicht mit der, mit welcher er vorhin getanzt hatte, identisch... So etwas merkt man sehr genau.
„Aber Herr Doktor — Sie träumen am Hellen Tage," sprach Marie und schob die Larve zurück. — „In Betreff der Tante... einen Augenblick nur bitte ich zu verziehen, ich werde nach ihr sehen."
Der ernste Herr wußte gar nicht, wo ihm der Kops stand. — Also gab es zwischen Himmel und Erde doch noch Dinge, welche seine Schulweisheit sich nicht zu erklären vermochte: thatsächlich hatte er die Stimme der Tante soeben wieder gehört, — dreimal nun schon, und doch war es unmöglich, daß dieselbe die beiden letzten Male in seiner Nähe gewesen war. Das ging dem gelehrten Herrn denn doch über den Spaß.
„Sie sitzt ruhig und trinkt," sprach Marie, zurückkehrend. „Aber nun schützen Sie keine Ausreden vor, mein Herr Doktor, und lassen Sie mich nicht länger so müßig stehen."
Er umschlang ihre Taille, begann zu tanzen und hielt abermals ein. Sein ganzes Gesicht strahlte plötzlich hinter der Maske.
„Elise!" ries er, mit Frage und Jubel im Ton.
Die Maske hob sich ein wenig, — ja, in der Thai, dießmal war es die Geliebte, die erröthend, glücklich ihn anlächelte.
Wie vom Blitz getroffen stand der Doktor da und hielt ihre Hand fest in der seinen. Ohne Zu bedenken, wo er war, drückte er dieselbe abwechselnd an Herz und Mund und begann Zu sprechen, aber
die Ueberraschnng und das Glück raubten ihm völlig die Gedanken. — Er zog sie fort aus dem Gedränge der Tanzenden und nur das Eine wußte er: jetzt hatte er sie und niemals wollte er sie wieder von sich lassen! Willenlos ließ sich Elisabeth von ihm leiten.
Der Doktor steuerte den Speisesälen zu, plötzlich aber hing ein zweiter schwarzer Domino mit drei Rosen au seinem linken Arm und schüttelte diesen herzhaft.
„Warum wollen's denn da hinein?" fragte derselbe im reinsten Wiener Dialekt, „in der Loge oben ist's viel hübscher und ungestörter. — Gestatten Sie, daß ich Ihnen die meinige zur Verfügung stelle, schöne Maske."
Der Doktor sah sie an und lächelte. Es fing in ihm an zu dämmern; man hatte einen Maskenscherz mit ihm gemacht und er war ein sehr ungeschickter, schwerfälliger Mensch gewesen. O, wie dankbar er jetzt Marie war! — Nur das mit der Tante konnte er sich nicht erklären.
Sie stiegen die Treppe hinauf und betraten die Loge. Rechts und links nebenan war es lebendig; bei Durchlauchts klapperten die Gläser und Flaschen beinahe bedenklich, aber wenn man im Hintergründe blieb, konnte man weder von dem Publikum im Saal, noch von den Nebenleuten gesehen werden.
Rudolph Steinfurt ergriff Elisabeth's beide Hände und sah sie an, verschlang sie förmlich mit den Augen. Er vergaß dabei, daß er noch maskirt war. Sie machte sich frei und zog die Larve herunter; dabei bemerkten Beide, daß man sie allein ließ, — Marie hatte sie diskret verlassen. — Noch ein Blick, noch ein Druck der Hand und — wie es gekommen war, wer mag es wissen — Elisabeth ruhte au seiner Brust und er bedeckte sie mit heißen Küssen, ihren Namen murmelnd und die zärtlichsten Liebesworte. — Sie verging beinahe vor Wonne unter seinen Liebkosungen und lange dauerte es, ehe sie sich endlich denselben entzog, ganz glühend vor Scham und Liebe.
„Wie habe ich diese Stunde herbeigesehnt!" sprach er mit einem langen, zärtlichen Blicke.
„Ersehnt habe ich sie auch . .. ersehnt und gefürchtet !"
„Gefürchtet — Du?" rief er, seinen Arm um ihre Hüfte legend.
Sie nickte und sah dann zu ihm auf.
„Ja; — denn ich habe Dir Aufklärungen zu geben, — Dir zu beichten; ich bin Dir Rechenschaft schuldig und obgleich ich weiß, daß all' mein Handeln Nothwehr war, meine Absichten gut waren, weiß ich dennoch nicht, ob Du die Mittel, die ich wählte, zu billigen vermagst, — darum hatte ich Furcht vor Dir und dieser Stunde."
Sie saßen auf dem kleinen, mit Plüsch überzogenen Sopha im Hintergründe der Loge und sahen sich in die Augen, tiefer und immer tiefer und inniger. Endlich schüttelte er sanft das Haupt.
„Ich müßte ein schlechter Patholog sein," sprach er, „wenn ich mich täuschte, — ich meine, diese Augen lügen nicht."
„Sie logen... doch, doch!" sprach sie mit Nachdruck.